Vermissen werden wir sie, die Strandcafés.

Foto: Nana Siebert

Am Ferientag Nummer zwei holte ich den Zwölfjährigen aus dem Camp im Waldviertel wieder ab. Er hatte dort gehüstelt, und man wusste ja nicht genau. Ohne negativen Covid-19-Test durfte er nicht wieder zurück. Auf der Fahrt nach Wien Richtung Labor kamen mir beinahe die Tränen. Aha, das wird er also sein, unser Sommer. Es war ja nicht so, dass ich extra eine Pandemie gebraucht hätte für einen komischen Alltag. Ich konnte das auch so. Ich steckte die Corona-Zeit gut weg, fand ich, weil mir als unstrukturierter Person oft etwas passiert, womit ich nicht gerechnet habe. Ich bin das gewohnt. Aber das, was die Nerven mit der Zeit anknabberte, war das Homeschooling neben dem normalen Weiterarbeiten. Die Kinder und ich klebten aneinander, Tag und Nacht. Immer. Dauernd. Wochenlang. Deshalb lag meine Hoffnung auf der Ferienzeit, die hatte uns jetzt einfach zu entkrampfen, so war der Plan.

Und jetzt schien der zu wackeln.

Breitmaulfrosch

Die Dame vom Labor sah aus wie eine Imkerin und ließ ein Wattestäbchen in den Rachen meines Kindes verschwinden. Er machte ein leichtes Kutzgeräusch, dann war der Spuk vorbei. Der Test war negativ, natürlich, und das Kind am nächsten Tag wieder fröhlich bei seinen Freunden im Waldviertel. Doch der Schreck darüber, wie schnell sich etwas ändern konnte, immer noch, der saß. Ich hatte das Gefühl, jeden Tag intensiv mit Erlebnissen füllen zu müssen, von denen wir dann gegebenenfalls über Wochen zehren konnten.

Ich holte die Kinder aus dem Camp, und wie von Zauberhand wurden wir weitergereicht von einem zum anderen, von Freunden, die übers ganze Land verteilt waren. Wir fuhren mit Schutzmasken im Bus über Bergstraßen, groteskerweise dicht gedrängt, man konnte schier das Virus auf den Aerosolen winken sehen. Wir sahen den Lech entspringen, weit oben auf dem Berg, und wir wanderten ihn entlang, bis er zum großen Fluss wurde. Ich sah die Almwiesen meiner Kindheit wieder, und meine Buben konnten sich nicht daran sattsehen. Wir besuchten ein Konzert von Toni Knittel und seiner Margit, die mit ihrer Band Bluatschink so viel für das Lechtal getan haben. Ihr Youtube-Kanal wurde von den Kindern gelikt, und zwischen Nirvana und Billie Eilish wird nun auch der Breitmaulfrosch mitgegrölt.

Dann hatte ich zwei Wochen für mich, ich war ganz baff, dass das klappte. Ihr Papa wollte den Kindern das touristenfreie Venedig zeigen. Bald kamen Fotos vom Gondelfahren auf absurd klarem Wasser in den Kanälen der Lagunenstadt. Später welche von kroatischen Fischrestaurants und Poolspaß. Ich blieb derweil in Wien und machte all das, was ich mir vorgenommen hatte. Ausmisten. Die Steuer. E-Mails löschen. Am Buch weiterschreiben.

Scherz. Ich bin nur bei meiner Freundin am Neufelder See herumgehangen und habe das Nichtstun konsumiert wie eine Süchtige die Nadel. Es gab dort Gespräche darüber, ob man unsere besondere Zeit vergleichen konnte mit der von jemandem, der beispielsweise um 1900 geboren wurde. Der mit 45 zwei Weltkriege hinter sich gehabt hatte, plus eine Pandemie mit der Spanischen Grippe, sowie mehrere Staatensysteme. Nein, wurde beschlossen. Keine Zeit ist vergleichbar. Und jeder hielt jetzt halt das aus, was er vermochte.

Ferienfische

Ich holte die Kinder vom Seehof am Goldegger See ab, wo sie mittlerweile gelandet waren, braungebrannt und, wie mir versichert wurde, nun der perfekten Köpfler und Saltos mächtig. Ich merkte, die Kinder beobachteten genauer als früher, was um sie herum geschah. So wurde es dem Achtjährigen unangenehm, wenn jemand Fremder zu nahe an ihn herantrat oder ihm gar die Hand geben wollte. Mir gab das einen Stich. Das Unbedarfte in ihm war verschwunden.

Nächste Station war Fieberbrunn, mein Heimatdorf in Tirol und ewiger Sehnsuchtsort. Es gab Dauerregen. Den Kindern war so fad, dass sie Pappendeckelroboter bastelten. Ich besuchte meine alte Moidi, bei der ich als Kind so viel Zeit verbracht hatte. Hier tat es das erste Mal weh, nicht umarmen zu dürfen. Beim Kaffee schielte ich hie und da auf ihre liebe Hand. Ich wollte sie ergreifen. "Des naxte Moi", sagte sie und gab mir so etwas Kostbares, worauf mich wirklich bis zum nächsten Jahr freuen konnte. Sie sagte, ihr Alltag wäre kaum verändert, sie ging ohnehin kaum mehr aus dem Haus. Angst hatte sie keine. Immer schon sei man an irgendetwas gestorben.

Wir reisten ab in den Pinzgau und in die Chancenlosigkeit, was die Babyelefanten betraf. In Maria Alm waren derart viele Kinder im Ferienhaus meiner Freundin, dass wir uns eine freiwillige Quarantänezeit überlegten, denn das konnte beim besten Willen nicht gutgehen. Die Kinder erzählten den anderen vom Testen des Zwölfjährigen zu Sommerbeginn, mittlerweile ging die Story schon so, dass ihm in alle Öffnungen gefahren worden war, mit großen stählernen Instrumenten und festgehalten von vier Leuten. Was die anderen halt hören sollten, um laut zu kreischen. Wir wateten durch kalte Flussbäder, bewanderten spektakuläre Wildwasserklammen und Berge mit lustigen Waldrutschen. Grüßten holländische Wanderer, deren bei der Hitze heroisch getragene Masken sinnlos unter den Nasen wackelten. Langsam stellte sich Erholung ein. So ging’s doch eh. Man fuhr mit Mund-Nasen-Schutz in der Gondel. Oder musste ihn aufsetzen, wenn man durch ein Restaurant ging. Aber sonst war es wie immer. Ich ließ einen Moosbeerschmarren so fulminant anbrennen, dass allen schlecht wurde. Schöne Zeiten, wenn so etwas Banales ein Wochenhighlight wird.

Alles ein wenig zu real

Dann kam der Anruf. Eine Freundin lag im Krankenhaus, weil sie eine Corona-Infektion mit schwerem Verlauf hatte. Sie war in meinem Alter. Raucherin, wie ich. Mir war das auf einmal zu realistisch. Ich wurde nervös, es waren noch Abenteuerangelcamps für die Kinder geplant in der Südsteiermark. Sollten wir nicht einfach nach Wien fahren und das Schicksal nicht weiter herausfordern? Wir hatten doch unseren privilegierten Spaß. Während andere Familien nur in den Parks saßen und sich überlegen mussten, wie es denn überhaupt weitergehen konnte, finanziell. Familiär. Ich hörte von für immer geschlossenen Geschäften. Jeden Tag las ich Postings auf Facebook, mit der Bitte um Umschuldungsideen. Oder Weiterbildungen.

Es waren die Kinder, die mich da rausholten. Sie schworen, Tag und Nacht Maske zu tragen, wenn sie nur ins Camp fahren durften. Sowie mir jeden Tag Hühnersuppe zu kochen, sollte ich krank werden, weil sie mich angesteckt haben. Der Achtjährige versprach auch schöne Blumen für mein Grab, falls ich es nicht schaffen sollte. Meine Freundin rief an, es ging ihr schon besser. Und sie fand, sie hätte es gut getroffen mit dem Timing, denn nun war für Kroatien eh eine Reisewarnung ausgesprochen und sie hatte gebucht gehabt. Sie klang wieder fröhlich. Ich war froh.

Irgendwann im Sommer, irgendwo in Österreich. Schön ist es.
Foto: Nana Siebert

In der Südsteiermark duftete es nach Süden, die Kinder waren selig beim Zelten in der Nähe vom Waldschacher See mit dem gelassenen Campleiter Reinhard, der nicht einmal mit der Wimper gezuckt hätte, wäre ihm Sars-CoV-2 persönlich und in Menschengröße gegenübergestanden. Ich ließ es mir derweil gutgehen. Picknickte in den Weingärten von Gamlitz. Las Fustel de Coulanges Der antike Staat und fand es beruhigend, wie kreativ Menschen sind, wenn es um die Verbesserung ihrer Umstände geht. Selbst wenn die Ausgangslage so mies ist wie die eines Leibeigenen. Ich stellte fest: Es waren gute Ferien.

Und nun? Wir haben den Sommer feierlich beendet. Einmal noch war Felsenspringen am schönen Ottensteiner Stausee angesagt. Dort sieht es kanadisch aus, man muss gar nicht wegfliegen. Jetzt ist das Herbstgefühl dran. Ich würde es den Kindern gönnen, einen normalen Unterricht zu haben. Es würde ihnen guttun. Für mich bitte einen normalen Arbeitsalltag, ohne Nachtschichten. Man wird sehen. Ich habe viel geschlafen und so viel gesehen. Und sie sind gut zu spüren, die Bande der Freundschaften, die sich in den Ferien intensivieren konnten. Niemand ist allein.

Was also soll passieren?