Schule in Zeiten der Pandemie: Anders, als durch vorsichtiges Austesten, wird es wohl nicht gehen.

APA / Helmut Fohringer

Es war im Frühling 1986, als der große deutsche Soziologe Ulrich Beck die Diagnose von der "Risikogesellschaft" stellte und den "Weg in eine andere Moderne" skizzierte. Die gesellschaftliche Reichtumsproduktion erzeuge systematisch auch wissenschaftlich-technische Risiken. Seien es Umweltgefahren, die Atomkraft oder auch Umstrukturierungen der Arbeitsverhältnisse. Das alles gehe mit dem Verlust von Sicherheit einher. Beck schrieb das 1998 im Buch "Weltrisikogesellschaft. Auf der Suche nach der verlorenen Sicherheit" fort.

Nun sieht sich die Welt wieder auf dem Weg – in eine andere Moderne? "Neue" Normalität? Welches Leben? Es ist nicht absehbar, was nach dem Virus kommt, wie die einzelnen Gesellschaften, denen das Coronavirus schmerzhaft zu verstehen gibt, dass sie nicht vereinzelt, sondern vereint sind als Angriffsziel des unsichtbaren Aggressors aus der Luft, dann aussehen werden.

Gefahrenverwaltung

Dabei ist Sars-CoV-2 – das unterscheidet das Virus substanziell von den "menschengemachten" Risikofaktoren, die etwa den Klimawandel befeuern – eine biologische Risikoursache. Die Natur zeigt ihre riskante Natur. Und das, was Beck als Trend zur Individualisierung beschrieben hat, besorgt das Coronavirus im Alleingang: Jeder und jede kann getroffen, befallen, infiziert werden.

Die entscheidende Frage ist: Welches Risiko kann und will eine Gesellschaft für wen eingehen? Dazu braucht es Gefahrenverwaltung, wie Beck es nannte. Während einer Pandemie wichtiger denn je: wissenschaftlich basiert, politisch moderiert. Ein zentraler Bereich ist die Schule, die nun startet – bei einigen durchaus angstbesetzt.

Was also tun? "Die Überall-Frage, was tun, ist naturgemäß schreibtischscheu", meinte Ulrich Beck. Aber auch in Corona-Zeiten findet das Leben nicht (nur) am Schreibtisch (im Homeoffice) statt. Gefragt sind Angst- und Risikomanagement mit Realitätssinn. Das Ziel der Regierung, die Schulen unter allen (pandemisch legitimierten) Umständen möglichst offenzuhalten, ist zweifellos richtig. Ebenso wie den Schulbetrieb bestmöglich geschützt möglichst "normal" ablaufen zu lassen. So wie das Leben draußen auch. Selbst wenn viele da offenbar eine befremdliche Doppelstrategie praktizieren, etwa wenn Eltern ihre Kleinkinder zwar lustig mit bunten Masken in vollen Shoppingtempeln bespaßen, sich aber echauffieren, wenn es um schützende Masken in der Schule geht.

Vorsichtiges Austesten

Überhaupt verwundert die recht weitverbreitete Nonchalance, mit der viele die Schulen am liebsten weiter geschlossen halten würden, wohingegen ihnen etwa die Öffnung der Fitnessstudios nicht schnell genug gehen konnte. Aber Fettabbau ist dann doch ein anderes Corona-Folgen-Kaliber als Bildungsverlust.

Es wird ein vorsichtiges Austesten sein. Anders geht es gar nicht, wenn wir uns und die Kinder nicht verbarrikadieren wollen. Die Schulen sind letztlich nur so sicher wie ihr Umfeld. Also wie wir alle.

Die Schule ist keine Insel in der Pandemie – weder eine, auf die man sich vor dem Virus retten kann, noch eine, auf der es besonders gefährlich lauert. Corona ist überall. Und vermutlich hat keine Schülergeneration so sehr verinnerlicht, was Weltrisikogesellschaft heißt, wie die aktuelle. Jetzt hilft nur "organisierte Verantwortlichkeit", die jede einzelne Person in die Pflicht nimmt. Dann kann der Schulbetrieb funktionieren – so sicher oder unsicher wie das Leben insgesamt durch Corona eben geworden ist. (Lisa Nimmervoll, 6.9.2020)