Das zeigen die Republikaner, die zu einer Filiale der Trump-Organisation geworden sind, so der Politikwissenschafter Jan-Werner Müller im Gastkommentar.

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Lara Trump, Jared Kushner, Eric Trump, Donald Trump Jr. und Tiffany Trump vor dem Weißen Haus. Vom Wahlerfolg des Familienoberhauptes hängen auch ihre Existenzen ab.
AP Photo / Evan Vucci

Der jüngste nationale Parteitag der Republikaner war aus vielen Gründen skandalös – vom Missbrauch des Weißen Hauses als Wahlkampfkulisse und der dreisten Verlogenheit seiner Sprecher bis hin zur Parade der Trump’schen Familienmitglieder. Bei diesem geschmacklosen Spektakel der Grand Old Party, die zu einer Filiale der Trump-Organisation geworden ist, stach ein schockierender Aspekt besonders ins Auge: Die Partei hatte kein Programm zu bieten. Offensichtlich besteht das einzige Ziel der Republikaner darin, die America-first-Agenda des Präsidenten enthusiastisch zu unterstützen.

Die Vermeidung eines politischen Programms könnte als kluge Strategie betrachtet werden, um die Partei von Donald Trump zu isolieren. Sollte er im November besiegt werden, könnten die Parteimitglieder ihre Hände reinwaschen und behaupten, er sei nur ein unbeliebter Staatschef, der verloren hat. Plausibler ist aber, dass die giftige Polarisierung und die extreme Parteilichkeit in Amerika eine neue Ebene erreicht haben. Mindestens eine der beiden großen politischen Parteien wurde völlig ausgehöhlt und erfüllt ihre grundlegende demokratische Funktion nicht mehr.

Diese Funktion erfordert nicht nur, dass Parteien den Wählern eine Wahl bieten, sondern auch, dass sie regeln müssen, wie politische Kämpfe geführt werden. Der Sinn der Demokratie ist nicht, zu jedem Thema einen Konsens zu finden, sondern mit widersprüchlichen Interessen und Verpflichtungen umzugehen. Aber wenn Parteien oder Politiker die Legitimität anderer Kandidaten offen dämonisieren oder leugnen, können Demokratien zusammenbrechen. Solche Taktiken sind die Spezialität rechtsgerichteter Populisten, die Kulturkriege führen, um alle Konflikte auf die Frage der Zugehörigkeit zu reduzieren. Also kümmert sich Trump nicht um die Argumente seiner Gegner, sondern verunglimpft alle Kritiker als "unamerikanisch".

Unbeliebte Wirtschaftsagenda

Wie die Politikwissenschafter Jacob S. Hacker und Paul Pierson gezeigt haben, geht der Hang der Republikaner zum Kulturkrieg größtenteils darauf zurück, dass ihre wirtschaftspolitische Agenda überaus unbeliebt ist. Da sie die Steuern für die Reichen gesenkt haben und angesichts der Covid-19-Pandemie kläglich gescheitert sind, müssen Trump und seine Partei potenzielle Wähler von materiellen Anliegen ablenken.

Dieser "plutokratische Populismus" ist, wie Hacker und Pierson zeigen, das Ergebnis der völligen Unfähigkeit der Republikaner, neue politische Ideen zu finden. Es geht ihnen lediglich um die immergleichen Steuersenkungen und unklugen Deregulierungen. Eine stimmige – und angekündigte – Alternative zum Affordable Care Act ("Obamacare") können sie nicht bieten.

Ebenso wie die Partei ihre Identität an die Kulturkrieger der rechtsextremen Fernsehkanäle und Webseiten ausgelagert hat, hat sie ihre intellektuelle Arbeit an die Thinktanks delegiert, von denen die meisten eher daran interessiert sind, ihre Geldgeber zu befriedigen, als allgemein beliebte und effektive politische Vorschläge zu entwerfen.

Dies sind natürlich nicht nur amerikanische Probleme. Überall im Westen wurden die traditio nellen Parteien durch Neubewerber herausgefordert, die meist keine ernsthaften internen Debatten führen. In den Niederlanden hat die Partei des rechtsextremen Populisten Geert Wilders nur zwei offizielle Mitglieder: Wilders selbst und eine Stiftung, deren einziges Mitglied wiederum er selbst ist. Auch die britische Brexit-Partei prahlt mit über 110.000 zahlenden Unterstützern, ist aber tatsächlich nur ein Unternehmen mit beschränkter Haftung mit vier Angestellten und nur einer registrierten "Person mit wesentlicher Kontrolle": dem allgegenwärtigen Brexiteer und ständigen Polarisierer Nigel Farage.

US-Präsident Lyndon Johnson beobachtete einst, dass das, "was der Mann auf der Straße will, keine große Debatte über grundlegende Themen ist, sondern er will ein wenig medizinische Versorgung, einen Teppich auf dem Boden, ein Bild an der Wand". Aber wie Johnsons Demokraten auf die harte Tour lernen mussten, kann sogar "ein wenig medizinische Versorgung" grundlegende Konflikte auslösen.

Notwendige interne Debatte

Solche Wettkämpfe über die Prinzipien einer Partei werden am besten nicht nur mit der gegnerischen Partei ausgefochten, sondern auch in einer offenen, pluralistischen internen Debatte. Wenn mit Disputen so umgegangen wird, ist es wahrscheinlicher, dass die Verlierer die Niederlage akzeptieren und gegenüber der Partei loyal bleiben können. Massenhafte Beifallsbekundungen, wie sie die Republikaner für Trump veranstalten, neigen hingegen dazu, einige Parteimitglieder in Richtung Ausgang zu treiben.

Das Markenzeichen einer gut funktionierenden Partei ist die Fähigkeit, langfristig Menschen mit stabilem parteipolitischem Engagement anzuziehen. Paradoxerweise flößt eine Partei, die ihren Mitgliedern Kritik ermöglicht, ohne sie als Verräter zu brandmarken, ihren Anhängern tiefere Loyalität ein.

Es geht nicht darum, innerhalb der Partei partizipatorische Demokratie zu idealisieren. Aber gibt es einen Grund dafür, warum beispielsweise die Verfassungen von Deutschland, Spanien und Portugal einen internen Parteipluralismus vorsehen? Indem dieses Modell die Menschen an demokratische Debatten gewöhnt und zu der Sichtweise zwingt, dass auch die andere Seite recht haben könnte, verkörpert es das, was im Zeitalter der Polarisierung verlorengegangen ist.

Parteien, die im Innern autoritär sind, regieren wahrscheinlich auch autoritärer als andere. Ein System gut funktionierender politischer Parteien reicht für die Demokratie nicht aus, aber es ist notwendig. Obwohl der Staat den Parteien nicht vorschreiben kann, intensive interne Diskussionen zu führen, könnten und sollten strengere Richtlinien für innerparteilichen Pluralismus und Verantwortlichkeit vorgeschrieben werden. Unternehmen mit beschränkter Haftung und Familienunternehmen haben zwar ihre gesellschaftliche Funktion, aber diese besteht nicht darin, Politik zu betreiben. (Jan-Werner Müller, Übersetzung: Harald Eckhoff, Copyright: Project Syndicate, 6.9.2020)