Der Mann ist weltberühmt, wenn man ihn kennt. Dan Penn, eine Legende des Soul, meldet sich zurück.

Der Ruf alter weißer Männer ist ruiniert. Ihnen wird die Verantwortung am Übel der Welt angelastet. Das mag in vielen Fällen stimmen, besitzt aber die Unschärfe der Verallgemeinerung. Nehmen wir Dan Penn. Der ist 78, weiß und sieht aus, wie man sich einen Redneck aus dem US-Hinterland vorstellt: Latzhose, schmale Lippen, Baseballkappe und ein Stinkeauto aus vergangenen Zeiten. Niemand wäre überrascht, wenn ihm eine Schrotflinte aus der Hose rutschen würde, während er aus seinem Pick-up steigt. Doch Penns Waffe ist eine andere. Es ist die Zärtlichkeit. Auch dazu sind weiße alte Männer fähig.

Penn stammt aus Vernon im US-Bundesstaat Alabama und ist Songwriter, Musiker und Produzent. Irgendwo in diesem Text wird das Wort "Legende" fallen müssen, na bitte. Als solche nimmt er im Schrein der Soul Music einen Ehrenplatz ein. Ausgerechnet ein Weißer hat in den 1960er- und 1970er-Jahren für und mit schwarzen Sängerinnen und Sängern etliche Klassiker des Fachs geschrieben und produziert. Die eigene Karriere hat er darob lange vernachlässigt, erst 1973 erschien sein Debüt Nobody’s Fool. Es gilt als geheimes Meisterwerk des an solchen nicht armen Fachs des Deep Soul.

Gemütlich durch die Dekaden

Bis zum nächsten Werk dauerte es dann gleich wieder über 20 Jahre. Auf Do Right Man (1994) sang er Songs, mit denen er in der goldenen Ära des Soul zum Beispiel Aretha Franklin ihren ersten Nummer-eins-Hit beschert hatte. Lieder, mit denen Größen wie James Carr, Percy Sledge oder Wilson Pickett unsterblich wurden. Auch Otis Redding oder Janis Joplin wurden bei Penn fündig.

Dan Penn - Topic

Fast 1200 Einträge für Songwriting und Arrangements weist ihm die Musikplattform Discogs zu, über hundert Produktionen von Künstlern wie den Box Tops, Solomon Burke oder Esther Phillips. Darunter befinden sich Welthits genauso wie nahezu Unbekanntes. Sie sind Abbild von Penns Karriere: weltberühmt und unbekannt zugleich.

Nun veröffentlicht Dan Penn wieder ein neues Album: Es heißt Living At Mercy und ist beseelt von jenem einfühlsamen Geist, dem Lieder wie At The Dark End Of The Street, Do Right Woman Do Right Man oder I’m Your Puppet entsprungen sind. Es ist sein erstes mit voller Band seit einem Vierteljahrhundert.

Das Yin und sein Yang

Dabei schien sich schon vor 20 Jahren eine Renaissance anzukündigen. Damals ging er mit seinem Freund und kongenialen Mitstreiter Spooner Oldham auf Tour, und es entstand das nun erstmals auf Vinyl erschienene Live-Dokument Moments From This Theatre.

Oldham ist das Yang zu Penns Yin. Ein maulfauler und begnadeter Keyboarder, dessen Kundenstock von besagter Aretha Franklin über Bob Dylan bis zu Neil Young und querfeldein zurückreicht. Auch ihn umweht die Aura einer Legende.

Dan Penn - Topic

Zwar finden sich jedes Mal Generationen von Pop-Royals im Publikum ein, wenn die beiden irgendwo auftreten, Veröffentlichungen von Penns neuem Material fanden dennoch ohne größeres Publikum statt. Im Eigenverlag produzierte er einige CDs, die er über eine Homepage aus der Internetsteinzeit verkaufte.

"Zeig ihnen, wie man den verdammten Song singt"

Über Desinteresse an seiner Person konnte er sich dennoch nie beschweren, zu groß ist sein Einfluss. In den letzten Jahren wurden seine alten Demos aus den 1960ern veröffentlicht. Das sind Aufnahmen, die viele glauben ließen, Penn wäre ein Schwarzer. Das kam so: Wenn ein Sänger mit einem Song im Studio nicht zurechtkam, hieß es: "Penn, geh raus und zeig ihm, wie man den verdammten Song singt."

Dann schlurfte diese hagere Hitmaschine selbst ans Mikro und legte los. Diese Demos wurden aufgenommen und aber nicht veröffentlicht, dabei sind es Rohdiamanten, wie die Sammlungen seiner Fame Recordings beweisen.

Kleine Dramen, große Gefühle

Living On Mercy zeigt nun, dass der als Wallace Daniel Pennington geborene Underdog nichts verlernt hat. Seine Songs sind triefende Beziehungsdramen. In ihnen lodert zwar nicht mehr der Irrsinn jungen und haltlosen Begehrens. Vielmehr punktet der bei Nashville lebende Veteran mit Lebenserfahrung und der Zärtlichkeit, die seinen Vortrag so besonders macht.

The Last Music Company Ltd.

Er suhlt sich im Blue Motel, resümiert, dass Things Happen, und tröstet sich mit See You In My Dreams. Kleine Dramen, große Gefühle: Darin ist Penn ein Meister, der seiner Bedeutung für die Soul Music damit ein Dutzend neuer Einträge hinzufügt. Die Instrumentierung ist klassisch, die Orgel weist den Geschichten den Weg und besorgt die Atmosphäre. Zu ein paar Zwischensprints lässt er sich hinreißen, übertreiben tut er es nicht.

Früher blieb er im Studio unter Mithilfe von Amphetaminen oft tagelang wach, war ein wilder Hund. Heute braucht er seinen Schlaf. Denn selbst wenn er nicht musiziert, tourt oder produziert, treibt er sich rum: Auf Schrottplätzen frönt er heute, trocken und zu Gott bekehrt, seinem letzten Laster: "I’m just a junkyard junky (sic!)", sang er vor ein paar Jahren, "trying to fix my car." Dabei klingt er sehr im Reinen mit sich. (Karl Fluch, 7.9.2020)