Schrödingers Katze (Symbolbild) ist weder tot noch lebendig, solange niemand in die Schachtel schaut. Schrödingers Mutter ist zu Hause bei den Kindern – und gleichzeitig in der Arbeit, solang die Schulpolitik zu Corona-Zeiten unverändert bleibt.

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Corona hat die gute alte Frauenzeit eingeläutet: dieses heimelig horrorhafte Biedermeier, dem man schon lange zu entkommen geglaubt hatte und das aus Balanceübungen am Hamsterrad zwischen Küche und Kind besteht. Statt der Kirche gibt es Homeoffice. Und durch die hei ligen Hallen des Marktes zieht jetzt der Geruch frischgebackenen Brotes.

Das neue Schuljahr ist auch frischgebacken, aber nicht ganz so schmackhaft. Nix ist fix, aber alles möglich. Die Mutter wird nicht länger einfach nur Mutter sein. Sie mutiert zu Schrödingers Mutter.

Schrödingers Mutter ist zu Hause bei den Kindern und zugleich in der Arbeit. Sie arbeitet konsequent an ihrer Karriere und am Gesundheitsstatus ihrer Familie. Ihr Kind bleibt bei Krankheitssymptomen dadurch zu Hause und nicht zu Hause. Ihr Partner – sollte sie einen solchen an der Hand haben – hilft ihr mit den kranken Kindern und hilft ihr nicht mit den kranken Kindern, weil auch er in der Arbeit anwesend sein muss.

Wenn Schrödingers Mutter Sex hat, trägt sie eine Maske oder auch keine. Was Schrödinger zum Sex von Schrödingers Mutter gesagt hätte, müsste man Sigmund Freud fragen, aber Freud ist eindeutig tot.

Schrödingers Mutter ist hingegen weder tot noch lebendig, solange die Kiste aktueller Schulpolitik zu Corona-Zeiten unge öffnet und vor allem unverändert bleibt. (Julya Rabinowich, 6.9.2020)