Markus Hengstschläger hat ein Buch geschrieben.

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Der um sich greifende Einsatz von Künstlichen Intelligenz(KI)-Systemen wurde lange vor allem als rein technologisches Thema begriffen. Mittlerweile rücken gesellschaftliche und soziale Fragen rund um die Digitalisierung stärker in den Mittelpunkt, in Österreich seien die Diskussion aber noch nicht breit angekommen, so Markus Hengstschläger bei der Präsentation eines neuen Buches zum Thema.

Der Algo ist überall

Wenn beispielsweise anhand von Nutzer-Verhaltensdaten im Netz trainierte Algorithmen nicht nur dafür eingesetzt werden, welches Produkt im Internet als nächstes angeboten wird, sondern etwa auch an der Vorauswahl an Jobangeboten, Partnervorschlägen, Nachrichten oder medizinischen Behandlungsoptionen beteiligt sind, wird ihr potenzielles Einwirken in die Gesellschaft greifbar. Noch bilde sich die schwelende Diskussion über all das in Österreich nicht unbedingt in der Mitte der Gesellschaft ab, sagte Hengstschläger, ehemaliger stellvertretender Vorsitzender des Rat für Forschung und Technologieentwicklung (RFT), und Herausgeber des neuen Sammelbandes "Digitaler Wandel und Ethik" am Montag vor Journalisten. Mit dem Buch wolle man hier Anreize setzen.

Viel Gesprächsstoff

Tatsächlich bietet das Thema viel Gesprächsstoff: Noch bis vor wenigen Jahren wurde die "Digitalisierung in sehr rosafarbenem Licht" gesehen, konstatierte Alexander Bogner vom Institut für Technikfolgenabschätzung der Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Nun werde auch zunehmend klar, wie das Phänomen auch die Demokratie unter Druck setze, so der Forscher, der als Mitautor in dem Band u.a. darlegt, welche Mechanismen hier dahinterstecken. So beförderten bekanntermaßen Social Media-Kanäle mitunter die Meinungsverinselung, was gehörige Schärfe in vielfach "unmoderierte" Debatten und eine Tendenz zur Stärkung der gesellschaftspolitischen Ränder bringe.

Verantwortung abgeben

Dazu komme auch eine gewisse Neigung von Menschen, Verantwortung an zu sehr vermenschlichte KI-Systeme abzugeben, sagte die Philosophin Anne Siegetsleitner von der Universität Innsbruck. Die Frage der Verantwortlichkeit in Zeiten von KI und der Tendenz zum breiten Datensammeln und -analysieren (Big Data) beantwortet die Wissenschafterin bei der Vorstellung des Bandes einem eindeutigen "Nein, die Verantwortung des Menschen wird nicht weniger, sondern mehr".

Warnung vor "Datafizierung"

Vor einer unkritischen "Datafizierung" in der Medizin warnte Barbara Prainsack von der Universität Wien: In dem unbändigen Drang zum Informationssammeln werde nicht immer daran gedacht, zu welchem Zweck diese verwendet werden. Gerade im Bereich der "datenintensiven Medizin" stellen sich tiergreifende Fragen, wer denn von Errungenschaften profitiert oder unter schlecht umgesetzten Anwendungen leidet. Das "menschliche Element" dürfe bei der Technisierung nicht verloren gehen, so die Politikwissenschafterin, die auch in der österreichischen Bioethikkommission sitzt. In letzteres Gremium sollte laut Hengstschläger in Zukunft auch die "Komponente des digitalen Wandels stärker einfließen".

Wie gut sind KI-Systeme gemacht

Ob KI-Systeme zum Nutzen oder Schaden der Gesellschaft eingesetzt werden, liege vor allem auch daran, wie gut sie gemacht sind und zu welchem Zweck sie eingesetzt werden, erklärte Sepp Hochreiter, KI-Pionier von der Universität Linz. "Forscher müssen sagen, was ein Algorithmus kann und nicht kann", denn vielfach wüssten Menschen gar nicht, was KI eigentlich ist. "Wir brauchen hier auch mehr Leute, die sich auskennen", sagte der Linzer Informatiker, der wie auch Hengstschläger die geplante neue Technische Uni (TU) in der oberösterreichischen Landeshauptstadt mit Fokus auf Digitalisierung grundsätzlich positiv beurteilte.

Konzept noch nicht ausgegoren

Ob diese Einrichtung dann tatsächlich auch genügend zusätzliche KI-Auskenner mit sich bringt, lasse sich noch nicht beurteilen: Das Konzept hinter der Linzer TU sei nämlich "noch nicht ausgegoren", sagte der nur "sehr peripher" in das Projekt involvierte Hochreiter. Auch der gebürtige Linzer, Hengstschläger, bezeichnete die Initiative der Bundesregierung und der OÖ Landesregierung als "gar keine schlechte Idee", zu der aber noch viele Fragen offen seien. Wie sich die Finanzierung und Einbettung in das Hochschulsystem dann darstellt, müsse begleitet werden, so Hengstschläger bei seiner "letzten Amtshandlung" als Forschungsrats-Mitglied. (APA, 7.9.2020)