Alain Cocq engagiert sich schon seit langem politisch.

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"Der Weg zur Befreiung hat begonnen", schrieb Alain Cocq am Freitag um Mitternacht, als er seine letzte Mahlzeit zu sich nahm. "Und glaubt mir, ich bin glücklich darüber."

Der 57-jährige Franzose aus der Burgunderstadt Dijon leidet seit Jahren unter einer sehr seltenen, degenerativen Krankheit. Seine Blutwege und Organe versagen nach und nach, wie Cocq aus seinem Krankenbett schilderte. "Alle zwei, drei Sekunden durchzucken mich kleine elektrische Stöße. Meine Morphin-Dosen sind auf dem Maximum. Ich werde wie eine Gans mit einem Schlauch ernährt. Wenn es nur noch darum geht, wie ein Depp die Decke anzuschauen und zu warten, dass alles zu Ende geht, dann sage ich: Nein."

"Lasst mal die Grabreden"

Dass der Schwerkranke die sozialen Netze über die Details seines letzten Kampfes informiert, ist nicht makabre Selbstinszenierung eines Todgeweihten und auch kein Selbstbeweinen: Luzid beantwortete Cocq am Wochenende mitfühlende Facebook-Kommentare: "Hey Freunde, lasst mal die Grabreden, ich bin noch nicht tot!"

Vielleicht hat es etwas mit Lebenssinn zu tun. Cocq will mit seinem Schicksal für eine bessere Sterbebegleitung werben. Der politisch engagierte Franzose – er ist Mitglied der "Behinderten Demokraten", der Sozialistischen Partei sowie Sympathisant der "Gelbwesten" – hatte im Rollstuhl jahrelang EU-Hauptstädte aufgesucht, um sich für eine Exit-Lösung wie in der Schweiz einzusetzen. Unlängst bat er Präsident Emmanuel Macron, zu veranlassen, dass ihm ein Barbiturat für ein schmerzloses Ableben verabreicht werde. Der Staatschef schrieb zurück, er sei an die französischen Gesetze gebunden und könne dem Ersuchen nicht stattgeben, da die aktive Sterbehilfe in seinem Land untersagt sei.

Sequenzen in der Rückblende

Cocq lässt sich aber nicht von seinem Unterfangen abbringen. Im Gegenteil: Er geht nun aufs Ganze. Er hat eine Live-Kamera eingerichtet, mit der sein Ableben via Facebook-Konto mitzuverfolgen ist. Facebook hat allerdings das Live-Video gesperrt, was in Frankreich zu einer heftigen Debatte geführt hat. Cocq will nun einzelne Filmsequenzen als Rückblende einspielen.

Abgesehen davon verzichtet er seit Freitag auf Nahrungsaufnahme und lehnt lebensverlängernde Maßnahmen ab. Am Montag war er dehydriert und stark geschwächt. Laut einer Vertreterin des Verbandes "Handimaispasque" (Behindert, aber nicht nur) verlor er immer wieder das Bewusstsein. (Stefan Brändle, 7.9.2020)