"Siamo tornati" – "Wir sind wieder da": In Bozen startete der Schulbetrieb eine Woche vor den anderen Schulen in Italien.
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Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte und seine Bildungsministerin Lucia Azzolina wiederholen es seit Tagen wie ein Mantra: "Das Datum der Wiederaufnahme des Unterrichts, der 14. September, ist nicht infrage gestellt. Die ganze Regierung konzentriert ihre Kräfte darauf, eine sichere Rückkehr in die Klassenzimmer zu garantieren."

Vorerst geglückt – und zwar schon eine ganze Woche vor dem für Italien angekündigten Termin – ist der Schulbeginn in Südtirol: Wegen der auch für den Bildungsbereich geltenden Autonomierechte der nördlichsten Provinz des Landes kamen die Schülerinnen und Schüler dort flächendeckend schon am Montag erstmals seit März wieder zusammen. Am Dienstag startete dann der reguläre Unterricht – ebenso wie auch vereinzelt an Schulen in anderen Regionen des Landes, etwa in der Lombardei.

Acht Millionen Schulpflichtige

Der Schulbeginn stellt zurzeit größte Herausforderung für die italienische Regierung dar – und er bereitet Conte nicht geringere Sorgen als der wirtschaftliche Wiederaufbau nach dem Covid-19-Desaster.

Acht Millionen italienische Schülerinnen und Schüler haben seit Anfang März kein Klassenzimmer mehr von innen gesehen – die schulfreie Zeit dauerte länger als in jedem anderen Land der Welt. Der Grund: Italien war als erstes europäisches Land von der Corona-Pandemie getroffen worden, und als der Lockdown nach drei Monaten am 3. Juni wieder aufgehoben wurde, lohnte es sich nicht mehr, den Schulbetrieb wieder aufzunehmen: Zwei Wochen später hätten ohnehin die langen, drei Monate dauernden Sommerferien begonnen.

Acht Millionen italienische Schülerinnen und Schüler haben seit Anfang März kein Klassenzimmer mehr von innen gesehen.
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Nicht nur für Eltern und Schüler, sondern auch für Experten ist es nun höchste Zeit, die Kinder in die Klassen zurückkehren zu lassen. Doch trotz der langen Vorbereitungszeit sind zahlreiche Probleme ungelöst.

Allen voran geben die steigenden Covid-19-Fallzahlen zu denken: Zwar steht Italien im Vergleich zu fast allen europäischen Nachbarländern immer noch gut da, doch mit täglich rund 1000 Neuansteckungen haben die Fallzahlen wieder ein Niveau erreicht, das Epidemiologen Sorgen bereitet.

Die ausgiebigen Feiern zu Ferragosto (15. August) sowie das sorg- und meist auch maskenlose Strand- und Partyleben haben dazu geführt, dass sich in den vergangenen Wochen vorwiegend junge und schulpflichtige Italiener mit dem Virus angesteckt haben: Das Durchschnittsalter der Neuinfizierten ist auf 29 Jahre gesunken. Die Regierung hat deshalb schon nach Ferragosto die Reißleine gezogen und Discos und Clubs wieder geschlossen.

Einzelpulte und Lehrkräfte fehlen

Neben der neuen Ausbreitung des Coronavirus stehen einer sicheren Wiederaufnahme des Schulbetriebs aber auch noch etliche praktische Hindernisse an den Schulen entgegen. Um in den Klassenzimmern die vom Bildungsministerium vorgegebene Sicherheitsdistanz von einem Meter zwischen den Schülern zu gewährleisten, mussten landesweit 2,4 Millionen Einzelpulte bestellt werden. Die vollständige Auslieferung werde am 14. September noch nicht erfolgt sein, musste Ministerin Azzolino unlängst einräumen. Weiter fehlen noch rund 20.000 neue Schulräume, die ebenfalls zur Gewährleistung der Sicherheitsabstände notwendig wären.

Ein weiteres Problem: Es müssen noch 50.000 neue Lehrkräfte angestellt werden, da die unumgängliche Verkleinerung der Klassengrößen sowie die Staffelung des Unterrichts einen deutlich höheren Personaleinsatz voraussetzen. Und als wäre das noch nicht genug: Tausende ältere Lehrer und Lehrerinnen, die sich vor einer Ansteckung und einer schweren Erkrankung fürchten, haben Gesuche um Dispensation eingereicht.

Probleme mit Öffis

Hinzu kommt das Problem des Schulwegs: Die Transportkapazitäten der öffentlichen Verkehrsmittel sind in ganz Italien noch immer auf 50 Prozent beschränkt. Dies wird es vielen Schülern erschweren, pünktlich zum Unterricht zu erscheinen. Einzelne Regionalpräsidenten haben deshalb die Regierung aufgefordert, die Platzbeschränkungen in den Zügen, Bussen, Trams und U-Bahnen zu lockern, zumal ja in den öffentlichen Verkehrsmitteln die Maskenpflicht herrsche.

Auch in Turin (Bild) und Mailand begann an einigen Schulen der Betrieb – der offizielle Start soll dann möglichst überall am 14. September sein.
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Trotz Bedenken von Gesundheitsexperten hat die Regierung in Rom nun beschlossen, dass die Transportkapazitäten auf bis zu 80 Prozent erhöht werden können.

Die Gefahr, dass Schulen angesichts der noch ungelösten Probleme zu neuen Infektionsherden werden könnten, ist deshalb nicht von der Hand zu weisen. "Bei acht Millionen Schülern werden unausweichlich einige darunter sein, die infiziert und gleichzeitig symptomfrei sind", betont Antonello Giannelli, Präsident der italienischen Schulleiter.

Ebenso unausweichlich werde es sein, dass wohl in einzelnen Fällen ganze Schulen unter Quarantäne gestellt werden müssten. Um die Ergreifung derartiger Maßnahmen möglichst zu vermeiden, werden sich die italienischen Schülerinnen und Schüler daran gewöhnen müssen, im Unterricht und auf dem Pausenhof Gesichtsmasken zu tragen.

Zu diesem Zweck sollen an Italiens Schulen ab dem 14. September jeden Tag elf Millionen Masken verteilt und 170.000 Liter Desinfektionsgel nachgefüllt werden. Sofern die Lieferungen eintreffen. (Dominik Straub, 8.9.2020)