Manchmal darf man dann einfach "Danke, Welt!" sagen, sich freuen – und stolz sein. Denn manchmal funktioniert alles so, wie man es sich gewünscht hat. Oder geplant? Nein.

Denn dass es auch mit und trotz der besten Vorbereitung anders kommen kann, habe ich vor zwei Wochen in Waidhofen an der Ybbs erlebt und hier beschrieben. Mit diesem Zementblock im Kopf dann nach Podersdorf zu fahren war nicht einfach. Im Gegenteil. Aber wenn dann vom ersten Schwimmzug bis zum letzten Laufschritt Party ist, ist das nicht doppelt, sondern dreifach schön. Tri-Schön.

Darum: Danke, Welt.

Danke, Podersdorf.

Foto: thomas rottenberg

"Party" heißt aber nicht, dass es ein Spaziergang ist. Ein Halbdistanz-Triathlon sind 1,9 Kilometer Schwimmen, 90 Kilometer am Rad zu fahren und dann noch ein Halbmarathon. Oder eine der anderen Distanzen des "Austria-Triathlon", Österreichs wohl traditionsreichster Tri-Veranstaltung: Egal ob Sprint (750 m Schwimmen, 20 km Rad, 5 km Laufen), Olympische (1,5/40/10), Halb- (siehe oben) oder Langdistanz (3,8/180/42), Spaziergang ist das keiner.

Wenn doch, hat man die Übung falsch verstanden – oder sehr eigenwillig interpretiert: Ein bisserl "schaun, was geht" sollte ein Wettkampf dabei schon sein. Man muss sich ja nicht abschießen. Aber nur in der Komfortzone dahinzudackeln stelle ich mir auf Dauer fad vor. Andererseits: jeder und jede so, wie er oder sie will.

Foto: thomas rottenberg

Denn auch wenn da an diesem Wochenende etwas mehr als 2.000 Menschen an einem der insgesamt vier Bewerbe teilnahmen, wenn es natürlich Siegertreppchen, SiegerInnenlisten, Pokale, Medaillen und auch StaatsmeisterInnentitel (im Bild: meine Vereinskollegin Jacqueline Kallina) gibt, tritt man hier und überall sonst gegen einen Gegner, eine Gegnerin, an: sich selbst.

Die anderen AthletInnen? Wetter? Strecke? Umfeld? Technischer Klimbim? Pannen und Imponderabilien? Ja eh. Aber vor allem ist da der eigene Kopf. Die Abfolge von "I want. I can. I will". Und das Erlebnis, dass das mehr als ein abgelutschter Sager ist, wenn im Kopf irgendwer oder irgendwas den Schalter umlegt.

Foto: screenshot

Genau das war mir nämlich vor zwei Wochen passiert: In Waidhofen an der Ybbs hatte mein Kopf mir einen bösen Streich gespielt. Beim "Riverthlon", einer supersympathischen Schwimm- und Laufveranstaltung, (die ich all jenen, die sowas mal probieren wollen, herzlichst empfehlen kann), hatte es mir den Vogel rausgeschossen. Einfach so. Aus dem Nichts. "Brainf_cked", nannten es meine Freunde danach: Aus dem nichts heraus ging nichts mehr. Im Wasser. Ich wusste zwar "ich kann das", konnte mir aber beim Plötzlich-Nichtkönnen zuschauen.

Mit diesem Debakel im Kopf aufhören, ist schon hart genug. Aber wie kriegt man das – und die Angst davor, dass das wieder passiert, danach aus dem Kopf?

Foto: thomas rottenberg

Ja, eh: Der Neusiedler See ist derzeit knietief. Aber darum geht es nicht. Auch in Waidhofen war niemand eine Sekunde in Lebensgefahr: Alleine und unbeobachtet wäre der Sprung in den Fluss unverantwortlich und dumm gewesen – aber im kontrolliert-überwachten Setting ist das was anderes. Und auch im "harmlos" seichten Neusiedler See passten die Leute von der Wasserrettung auf wie die Haftlmacher: Schon bei einer Kreislaufschwäche genügt knöcheltief.

Foto: thomas rottenberg

Was Kreislauf- und andere körperliche Probleme und die Streiche, die einem der eigene Kopf spielen kann, gemein haben, ist: Es gibt fast immer Vorzeichen. Eine Vorgeschichte. Aber wir schauen weg. Verdrängen.

Es gibt Studien, die besagen, dass bis zu zehn Prozent aller Marathonläufer mit präventiv eingeworfenen Schmerzmitteln auf die Strecke gehen. Das fällt vielleicht nicht unter Doping, ist aber dumm: Der Grat zwischen dem Leiden, das man sich unterwegs zumutet, und dem Erkennen, was idiotisch, gefährlich und Raubbau am eigenen Körper ist, ist schmal.

Foto: thomas rottenberg

Darauf, zu lernen, bei physischen Symptomen "vernünftig" zu sein, also auf sich zu hören, ist ein zentraler Teil des Sportmachens. Egal, ob Spazierengehen oder Ultralauf. Aber der Kopf? Ich habe keine Ahnung, wie oft ich an dieser Stelle schon darüber schwadroniert habe, dass Sport, dass Laufen, immer auch als Metapher für das herhalten kann, was im Leben sonst passiert, zählt, passt oder nicht passt.

Aber wenn es mir dann bei einer Übung, die ich draufhabe, die ich liebe und auf die ich vorbereitet bin, im Kopf den Stecker zieht, kommt das "plötzlich und aus dem Nichts"? Menschen, die mich wirklich kennen, verdrehten nach Waidhofen nur die Augen.

Foto: thomas rottenberg

Das Problem an K.-o.-Schlägen ist weniger die Niederlage an sich. Klar tut das weh. Aber das geht vorbei. Das echte Problem ist das Wiederaufstehen. Der Umgang mit der Angst vor dem, was beim nächsten Mal passieren wird.

Und zwar unabhängig davon, wie sehr man sich darauf vorbereitet und freut.

Die einfache Lösung wäre da natürlich "Nicht nach Podo"-Fahren gewesen. Weil ja nur verlieren kann, wer startet. Aber einfache Lösungen sind selten nachhaltig. Und da wäre ja auch noch die Sache mit der Metapher. Dem Spiegel, den ich – Sie, wir, jede und jeder – uns vorhalten, sobald wir irgendein Projekt ins Auge fassen: In Podersdorf nicht an den Start zu gehen war keine Option. Keine Lösung. Es nicht zumindest zu versuchen – das wäre die wahre Niederlage gewesen.

(Im Bild: die Startaufstellung zur Sprintdistanz am Sonntag)

Foto: thomas rottenberg

"Du hast Uhrenverbot." Ein guter Coach ist mehr als einer, der Bausteine aus seinem Setzkasten zusammenwürfelt und das dann "Trainingsplan" und Betreuung nennt: das können Bücher, Apps und Onlinepläne auch. Aber wissen diese Tools, wer Sie sind? Wie es Ihnen geht? Schauen die Ihnen beim Auslesen und Interpretieren der Zahlen ihrer Trainingsapps in die Augen? Reden die mit Ihnen? "Uhrenverbot", verordnete mir Harald Fritz. "Nein, auch nicht abgeklebt, mit einem Nur-die-Zeit-läuft-Screen oder sonst wie: Du macht das ohne Uhr. Nimm den Druck raus. Genieß es einfach."

(Im Bild: Harald beim Anfeuern meiner Vereinskollegin Henrike)

Foto: thomas rottenberg

Um mich nicht in Versuchung zu führen, ließ ich meine Garmin am Freitag in Wien. Ich fühlte mich nackt. Richtig nackt. Wie oft man auf die Uhr schaut, wie sehr man sich drauf verlässt, Mails, Anrufe oder Nachrichten am Handgelenk zu spüren, wie automatisch man die Uhr beim Bäcker ans Bankomatterminal hält – all das merkt man erst, wenn sie zu Hause liegt.

Aber wirklich heftig war es dann Samstagfrüh: Ich startete in der zweiten Halbdistanz-Welle. 10:15. Am Steg, beim Leuchtturm, musste ich um 9:45 sein.

(Im Bild: Athleten der zweiten Langdistanz-Welle sehen vor dem Start der ersten Welle beim Schwimmen zu.)

Foto: thomas rottenberg

Aber: Wann ist es 9:45? Wenn das Handy im Wohnwagen liegt, Ihr Buddy (ich war mit meinem Backwaterman-Buddy Ed Kramer da) bei der Langdistanz lange vor Ihnen startet und Sie ihn natürlich zum Start begleiten und also viel zu früh am Gelände sind, wird das Fragen nach der Uhrzeit zum Eisbrecher: in Wechselzonen, in Startblöcken, findet man mitunter Menschen ohne Laufschuhe. Aber ohne Uhr?

Foto: thomas rottenberg

Druck rausnehmen bei einem Wettkampf ist nicht einfach. Schließlich sieht man ja, wo man ist, ob man vorne oder hinten liegt. Aber die Corona-Settings verhinderten genau das. Gestartet wurde in mehreren Wellen. Halb- und Langdistanz, Männer und Frauen getrennt.

In jedem Block wurde dann im 5-Sekunden-Abstand gestartet. Natürlich holte man andere ein oder wurde überholt – aber die typische Tri- Rudelbildung, das Gedränge, die (viele Menschen vom Triathlon abhaltenden) Tri-Schlägereien bei Start und Wendebojen blieben aus. Für Beobachter war es so gut wie unmöglich, zu sagen, wer während des Rennens tatsächlich vor wem lag – aber zum "Druckrausnehmen" war das super.

Als ich startete, waren die Bedingungen super. Ein bisserl ablandiger Wind, ein bisserl Wellen, ein bisserl Strömung. Bei den ersten Blöcken, etwa zwei Stunden vor mir, war das Wasser noch fast spiegelglatt gewesen. 24 Minuten hatte die Spitze (hier im Bild) für die erste der beiden 1,9k-Schwimmrunden gebraucht.

Auch auf der ersten und zweiten 30-Kilometer Radrunde (die Volldistanzler fuhren sechs) war es windstill. Noch.

Foto: thomas rottenberg

Das mit dem Wind ist wichtig. "Podo" kann auch anders. Das gehört hier dazu – auch wenn man es alle Jahre wieder vergisst: Der Seewinkel ist ein Gebirge. Ein Bergmassiv, bei dem sich die Hangneigungen permanent ändern: Es wird hier immer steiler.

Man sieht es nicht, spürt es aber. Denn die Burgenländer kanten die gesamte Landschaft auf: Sie schalten den Wind ein.

"Der Wind ist dein Freund, er macht dich stark", lautet ein Stehsatz des Radtrainings. Ich antworte: "Wer solche Freunde hat …", lege mich tiefer auf den Aero-Lenker, fluche und schwöre mir spätestens auf der dritten Podersdorf-Runde, dass mein nächstes Hobby Sudoku wird. Oder Makramee. Dann frage ich mich, ob ich statt Kettenöl Blei in Kette und Schaltung gegossen habe, schaue alle drei Sekunden, ob ich Luft in den Reifen habe. Ich zweifle an meiner Zurechnungsfähigkeit – und bin trotzdem glücklich.

Aber ich greife vor.

Foto: thomas rottenberg

Denn vor dem Radfahren wird geschwommen. Und auch wenn es mir nach Waidhofen beim Hallen- und Freiwassertraining im Wasser besser denn je ging, wenn ich (für meine Verhältnisse halt) richtig schnell war, ist das jetzt was anderes. "Genieß es", höre ich Harald, während ich unter dem Leuchtturm stehe und auf das Handzeichen des Rennrichters warte: und Los!

(Im Bild: der Start der Sprinter am Sonntag)

Foto: thomas rottenberg

Schwimmen kann ein Traum sein. Wenn man im "Flow" ist, ist es ruhig, zügig und meditativ. Auch im Wettkampf – und vom ersten Zug an: Ich habe mich im Wasser selten wohler gefühlt als jetzt. Bammbamm – bammbamm – bammbamm: Der Rhythmus passt intuitiv. Ich weiß, dass ich leicht ablandigen, auffrischenden Wind (und Strömung) im Rücken habe – aber auch draußen, wo es parallel zum Ufer geht, ist alles easy.

Und auch gegen die (stärker werdenden) Wellen zurück: superfein. Bis zur Beachflag im Wasser, 100 oder 200 Meter vor dem Strand, muss geschwommen werden. Gut 200 Meter davor spüre ich, wenn ich den Arm nach unten strecke, schlammigen Boden: Technisch sauber schwimmen zahlt sich aus. Die Zeit? Egal. Es fühlt sich gut an. So könnte ich ewig weiterschwimmen.

Foto: Markus Steinacher/www.markus-steinacher.at

Beachflag. Aufstehen, beim Reinlaufen den Neo aufmachen und halb ausziehen. Ich strahle – und erinnere mich dran, mir auch jetzt keinen Druck machen. Zum Gaudium der Rennrichter und Zuschauer stelle ich mich kurz unter die Stranddusche. Dann esse und trinke ich, trockne mir die Füße ab, ziehe (was vollkommen unnötig ist) Socken an, schmiere mich mit Sonnencreme ein, gehe aufs Klo – und nehme erst dann das Rad. "Gib Gas!", ruft jemand. "Genieß es!", hat Harald gesagt.

Foto: Markus Steinacher

Auch wenn ich den immer stärker werdenden Wind am Rad verfluchte, wusste ich doch, während ich mich in der Wechselzone noch einmal mit Sonnencreme einlaminierte, dass er mir beim Laufen fehlen würde. Denn zu den Besonderheiten von Podersdorf gehört es, dass man am Rad das Gefühl hat, weggeblasen zu werden – und sich dann beim Laufen in der "Hölle" (gefühlt) kein Lufthauch regt. Oder der Wind wie ein Heißluftgebläse daherkommt.

Wer in Podersdorf von der "Hölle" spricht, übertreibt übrigens nicht: Der Ortsteil, durch den es hier geht, heißt tatsächlich so. Auch wenn da kein Ort ist, sondern nur Staub, Hitze und Sonne. Und vor allem: Kein Schatten.

Auf der Halbdistanz muss man zweimal, auf der Volldistanz viermal durch die Hölle.

Overpace ich? Ich schaue auf die Uhr. Ooops, da ist ja keine. Ich habe keine Ahnung, wie schnell oder langsam ich bin – egal: Ich laufe nach Gefühl, und es geht mir gut. Richtig gut.

Foto: thomas rottenberg

Nach dem Laufen in Podersdorf hat jeder und jede neue beste Freunde: An einigen Stellen stehen Anrainer mit dem Gartenschlauch. Dankedankedanke!

Aber schon hundert Meter weiter würde ich am liebsten umdrehen und zurücklaufen. Nochmal abduschen. Oder noch besser: stehen bleiben – und nie wieder aus dem Wasser gehen.

Foto: thomas rottenberg

Auch bei den Labestellen sieht man deshalb das immer gleiche Bild: einen Becher Wasser in den Körper – zwei über den Kopf. Oder gleich eine ganze Flasche.

Foto: Markus Steinacher/www.markus-steinacher.at

Das Ziel. Endlich. Auch wenn ich nie ganz "auf Anschlag" war, wenn mich das für viele wohl grotesk anmutende "Genieß es!" der Schinderei tatsächlich ständig begleitete, ist die Ziellinie immer ein "endlich".

Ich schaue nach oben. Da steht mein Name, meine Zeit. Ich habe kein Gefühl, wie lange ich unterwegs war. Es ist zwar egal, aber es passt.

Gleich darauf fliegt meine Vereinskollegin Mel ins Ziel. Sie schaut rauf zur Uhr – und lacht laut los: neue persönliche Bestzeit. "Ich hab die Uhr zu Hause gelassen. Eine spontane Entscheidung heute Früh. Ich hatte so viel Stress – da hab ich beschlossen, mir den Kopf freizulaufen."

Foto: thomas rottenberg

Halbdistanzen sind zwar keine halben Sachen, aber eben doch nur die Hälfte vom Ganzen. Auch wenn die Elite auf der Langdistanz Spitzenzeiten hinlegte (an der Diskussion, ob und wieso Triathlonstrecken in Österreich oft ein bisserl kürzer als anderswo, aber doch in der Norm-Toleranz der internationalen Verbände, sind, beteilige ich mich hier nicht) und ich insbesondere meiner Vereinskollegin Jacqueline Kallina zum Staatsmeisterinnen-Titel mehr als herzlich gratuliere, passiert das, was Langdistanzrennen für mich ausmacht, später. Viel später.

Etwa wenn da ein Vater (ein Arzt aus Niederösterreich) im Ziel auf seine Tochter wartet …

Foto: thomas rottenberg

… oder ein italienischer "Finisher" zwei Meter hinter der Ziellinie seiner Freundin einen Antrag macht.

Auch wenn das mittlerweile (so wie das Einlaufen mit Kindern an der Hand) fast ein "Standard" ist und von Veranstaltern bei echten Massenevents nicht gern gesehen oder sogar unterbunden wird, ist es eine Frage des Fingerspitzengefühls, das bei "familiären" Events zuzulassen.

Und auch wenn ich oder Sie das schon zig Male gesehen haben: Für die, die gefragt wird, für den, der fragte, ist es ein "First". Einzigartig. Unvergesslich.

Nur das zählt.

Womit wir – wieder einmal – bei der Metapher von Sport und echtem Leben wären.

Foto: thomas rottenberg

Epilog.

Es war mein dritter Triathlon in Podersdorf und meine zweite Halbdistanz hier. Ich bin schon 2017 durch die Hölle gelaufen. Damals (mit 5:19:43) deutlich schneller als heuer (5:33:24) – aber darum ging es nicht.

Denn heuer war schöner.

Und wichtiger.

Danke, Welt.

Mehr Bilder vom "Austria-Triathlon" finden Sie auf den Facebook-Seiten von Markus Steinacher (www.markus-steinacher.at) und Tom Rottenberg

(Thomas Rottenberg, 9.9.2020)

Weiterlesen:

Das unerreichte Ziel oder: Ein K.-o.-Schlag in der Ybbs

Foto: thomas rottenberg