Vokaler zauber der Extraklasse: Asmik Grigorian (Cio-Cio-San) und Freddie De Tommaso (Pinkerton).

Pöhn

Jene Dame, die – Anna Netrebko nicht unähnlich – ihre Karriere von Salzburg aus als besessener Teenager auf Weltformat hob, ist hier die schüchterne Braut, die sich traut. Asmik Grigorian gibt als Cio-Cio-San die Unterwürfigkeit in Weiß, deren Gefolge eine sehr bunte Menschenskulptur darstellt, die mit Fächern hoffentlich virenfreie Luft versprüht.

Eingehüllt in Höflichkeitsritualen, kriecht Cio-Cio-San quasi Richtung Vermählung mit dem Amerikaner Pinkerton. Es ist zunächst nicht zu bemerken, dass Grigorian auch hier eine emotional aufgewühlte Figur darstellt. Im Gegensatz zur Salome ist bei Cio-Cio-San alle Energie bewusst nach innen gekehrt. Erst nach und nach, wenn ihre Beziehungsträume von Demütigungen zermalmt werden, wird bei dieser Ex-Geisha in einem tragischen Crescendo wütende Verzweiflung geweckt.

Nur noch Suizid

Es bleibt jedoch das autoaggressive Element der dominante Wesenszug dieser Figur; Grigorian lässt daran keinen Zweifel. Sie ist die introvertierte Tragödin, die um ihre Würde kämpft und am Ende Selbstachtung nur noch im Suizid findet. Wenn sie die Rituale des öffentlichen Verhaltens ablegt und im Privaten zu einer aufbegehrenden Figur heranreift, fallen allerdings für kurze Augenblicke die Hüllen einer Emotionen bändigenden Haltung.

In diesen dramatischen Passagen ist Grigorian in ihrem vokalen Element. Sie lässt die Spitzentöne expressiv als Dokumente der Verzweiflung aufblühen. Diesen vitalen Momenten des Aufbegehrens, stehen dann zierliche Gesangsgesten gegenüber. Ganz fahl und kühl, als wollte sie in Leid verschwinden, klingt diese Stimme, die auch in diesem intimen Momenten Präsenz zeigt. Es ist keine überbordend lyrische Stimme, aber nach anfänglich leicht fragilen Momenten wächst Grigorian zur großen Gestalterin heran. Sie ist, wenn man so will, jenes Gesamtkunstwerk, das Oper sein kann, eine szenisch-musikalische Einheit, die sich als intensives Kammerspiel der Gefühle präsentiert.

Viel Tradition

Grigorian prägt somit diese Arbeit des verstorbenen Oscar-Preisträgers Anthony Minghella ("Der englische Patient") und seiner Frau Carolyn Choa, welche die Version für Wien aufgefrischt hat. Die Inszenierung will allerdings mehr sein als das Porträt einer in Tradition Gefangenen, sie will vielleicht zu viel sein. Dominiert wird die Regie von einem über der Bühne schwebenden Spiegel, der die Szenen doppelt, was zu einem markanten finalen Suizidbild mit blutroten Stoffbahnen führt.

Essenziell auch einer Art "Filmleinwand", aus der einige Figuren kommen und die für die farbliche Grundatmosphäre sorgt. In diesem Rahmen changiert die Inszenierung zwischen minimalistischer Theatergestik, poetisch-klaren Bildern und einer überbordenden Farbpracht, die an Filmrevuen Hollywoods mit ihren choreografischen Pointen erinnert. Die rituelle japanische Gestik ist bisweilen präzise ausinszeniert, die Konsequenz eines Robert Wilson aber fehlt. Stattdessen hält immer dann szenische Konvention Einzug, wenn die Herren aus Amerika erscheinen.

Kind als Puppe

Vor allem der vokal phänomenale Freddie De Tommaso (als Pinkerton) ist etwas beliebig und statisch unterwegs. Stimmlich verfügt er über internationale Klasse, während sich Boris Pinkhasovich (als Sharpless) sehr respektabel hält.

Alles Fächerflattern, alle Blümchenvorhänge, schummrige Lampionromantik, choreografischen Verzierungen und das Puppenspiel können als szenische Verzierungen auch nicht verhüllen: Es bietet diese Inszenierung im Detail alles, was Oper attraktiv macht, und doch auch einiges, was sie durchschnittlich erscheinen lässt. Im Zauber der Überfülle entgeht einem denn auch nicht, dass Cio-Cio-Sans Kind in Puppenform die tragische Schwere der Situationen eher verharmlost als verdichtet. Obwohl puppenhandwerklich alles delikat bleibt.

Tolles Ensemble

Man hat also eine sechs Jahrzehnte alte Inszenierung durch eine von 2005 ersetzt. Nennen wir es eine Auffrischung, welcher der neue Musikchef des Hauses, Philippe Jordan, jeglichen Kitsch austreibt. Er animiert das Staatsopernorchester zu einer bisweilen grellen Ausleuchtung der Tragödie, sorgt für Unmittelbarkeit. Er scheut bei aller inneren Balance des Orchestralen jenes Grelle, Herbe nicht, das der Tragödie Charakter verleiht.

Sein Glück ist allerdings, dass er Stimmen begleitet, die dynamisch mithalten können. Und das betrifft auch Virginie Verrez (Suzuki), Patricia Nolz (Kate Pinkerton) und Stefan Astakhov (Fürst Yamadori), die auf eine ausnehmend niveauvolle Ensembleleistung verweisen. Es gefiel. Trotz der Bitte, auf Bravos zu verzichten, gab es welche.

So ist Oper, nun ist sie wieder offen. Wer das Haus hernach von außen besah, konnte auch keinen anderen Eindruck gewinnen. In rotem Neonlicht strahlte einem von der Fassade das Wort "Offen" in Leuchtbuchstaben entgegen. Die temporäre Installation von Alexander Kada ist nun auf jeden Fall etwas Neues für die Wiener Staatsoper. (Ljubiša Tošić, 8.9.2020)