Während der letzten Kaltzeit sah die Fauna und Flora Nordspaniens etwas anders aus als heute.
Illustr.: Mauricio Antón/ Plos Biology

Die Erde befindet sich seit 34 Millionen Jahren in einem Eiszeitalter, jedenfalls wenn man der allgemein anerkannten wissenschaftlichen Definition folgt: Als solches gilt nämlich eine Klimaperiode, in der die Festlandsbereiche zumindest einer der beiden Pole von einer ganzjährigen Eiskappe bedeckt ist. Als vor 2,7 Millionen Jahren auch die Arktis zufror, begann der jüngste Abschnitt dieses sogenannten Känoischen Eiszeitalters, eine Abfolge von meist längeren Kaltzeiten (Glaziale) und kürzeren Warmzeiten (Interglaziale). Aktuell befinden wir uns im Holozän, einem Interglazial, das auf dem besten Wege ist, sich in eine "Heißzeit" zu verwandeln.

Plötzlicher Erwärmungsstopp

Wann und wo genau die letzte Kaltzeit begann und endete, war bisher nicht im Detail bekannt. Auch die Suche nach dem Auslöser führte allenfalls zu Hypothesen. Eine davon macht einen Asteroideneinschlag dafür verantwortlich, dass vor rund 12.900 Jahren die Temperaturen auf der Nordhalbkugel innerhalb eines Jahrzehnts regional um mehr als zehn Grad Celsius abstürzten und damit einen Erwärmungstrend stoppten.

Die so plötzlich hereingebrochenen extremen Klimabedingungen veränderten die Landschaften Europas in tiefgreifender Weise. In den Alpen löste sie den letzten großen Vorstoß der Gletscher aus, in Skandinavien verschwanden die Nadelwälder, die gerade erst wieder Täler und höheren Lagen zurückerobert hatten. Statt dessen breiteten sich im Süden Trockensteppen, im Norden Tundren und Eiswüsten aus. Über diese unerwartete Verlängerung einer ohnehin schon 100.000 Jahre währenden Eiszeit waren naturgemäß nicht alle Arten begeistert. Zu den Nutznießern dieser Entwicklung zählten Zwergbirken, Weiden, Sauergräser und der Weiße Silberwurz (Dryas octopetala), Namensgeber dieses jahrhundertelangen Kälteeinbruch, der sich zuvor eigentlich schon überall auf dem Rückzug befunden hatte.

Man vermutet, dass Mittel- und Nordeuropa während der Jüngeren Dryas großteils von Tundrensteppen und Polarwüsten geprägt war.
Karte: Offthemapz

"Solche Extremereignisse sind für die Erforschung der Klimageschichte von besonderem Interesse", erklärt Christoph Spötl vom Institut für Geologie der Universität Innsbruck. "Wenn man weiß, wo, wann und wie schnell am Erdball eine solche abrupte Klimaveränderung natürlichen Ursprungs begann und endete, kann man wichtige Einblicke in die Dynamik globaler Klimaänderungen gewinnen." Einige brisante Fragen zur letzten Kaltzeit konnte der Leiter der Arbeitsgruppe für Quartärforschung nun gemeinsam mit Kollegen anhand von Bohrkernen und Höhlenablagerungen beantworten – allen voran jene, ob tatsächlich ein Geschoss aus dem All die Abkühlung ausgelöst hatte.

Präzisere Blicke in die Vergangenheit

Die Jüngere Dryaszeit ist an sich kein Einzelereignis: In den letzten 115.000 Jahren gab es 25 solcher extremer Klimaphasen – diese Kaltzeit erhält in der Fachwelt deshalb seit Jahrzehnten große Aufmerksamkeit, da sie direkt in die heutige Warmzeit, das Holozän, überleitet. Die Tatsache, dass die Jüngere Dryaszeit das am wenigsten lange zurückliegende Extremereignis ist, erlaubt in verschiedensten Untersuchungen die besten Genauigkeiten. Dennoch lag die präziseste Auflösung des Blickes in diese Periode bisher bei plus/minus 100 Jahren.

Die Temperaturentwicklung in Grönland vor während und nach der Jüngeren Dyras.
Grafik: Daniel E. Platt et al.

"In 100 Jahren kann naturgemäß viel passieren und das führt zu Unschärfen, gerade, wenn es darum geht, eine zeitliche und geografische Verortung von Ende und Beginn dieses letzten Zuckens der Eiszeit vorzunehmen", sagt Spötl. Um möglichst hochauflösende Daten erhalten zu können, kombinierte das Forscherteam zwei Datenquellen: Eisbohrkerne aus den beiden Polregionen und Tropfsteinproben, sogenannte Speläotheme, aus Höhlen in China, Indien, Usbekistan, Brasilien und Spanien.

Höhlenablagerungen schließen bei ihrer Entstehung Elemente wie Kohlenstoff, Sauerstoff, aber auch Spuren von Uran ein und zeichnen somit die Klima- und Umweltbedingungen über viele tausende Jahre auf. An der Xi’an Jiaotong University in China erfolgte die Altersbestimmung, am Institut für Geologie der Universität Innsbruck wurden die Klimaspuren im Probenmaterial aus einigen der Höhlen analysiert: Dazu bestimmte man in mehr als 5.100 Proben die Sauerstoffisotopenwerte in hoher Auflösung. "Mit dieser Vorgehensweise konnten wir die zeitliche Genauigkeit auf 20 bis 40 Jahre verbessern", erklärt der Geologe. Das bedeutet einen um den Faktor 3 präziseren Blick in die Jüngere Dryaszeit als bisher.

Höhlenablagerungen, wie hier aus der Seso-Höhle in Spanien, und Eisbohrkerne erlaubten einen präziseren Blick in die Vergangenheit.
Foto: Jaume Mas

Der Asteroid passt nicht ins Zeitschema

Die genauere Auflösung verhalf den Forschern zu der Erkenntnis, dass die letzte Kaltzeit ihren Ursprung in der nördlichen Hemisphäre, genauer im Nordatlantik, nahm. Von dort aus hat sich die starke Abkühlung dann global ausgebreitet. Dazu gab es zwar bereits Vermutungen, doch diese konnten zuvor nicht mit letzter Sicherheit bestätigt werden. Die zunächst in den hohen nördlichen Breiten auftretende Kaltzeit bewegte sich durch atmosphärische und ozeanische Prozesse von Nord nach Süd. Die Ergebnisse der im Fachjournal "Pnas" veröffentlichten Studie zeigen auch, dass das Ende der letzten Eiszeit dann den umgekehrten Weg nahm: In der südlichen Hemisphäre und/oder im tropischen Pazifik dürfte das Ende der Kältephase eingeläutet worden sein.

2007 wurde von mehreren Forschern die Hypothese aufgestellt, dass der abrupte Beginn der Jüngeren Dryaszeit einem Meteoriteneinschlag zu verdanken ist. Diese Annahme basierte unter anderem auf Anreicherungen von Platin in grönländischen Eisbohrkernen – ein sehr seltenes Element auf der Erde, das aber häufiger als Bestandteil von Meteoriten vorkommt.

Der hochaufgelöste Blick in die Jüngere Dryaszeit kann diese Annahme jedoch nicht bestätigen, die Datierungen passen hier nicht recht zusammen: "Der Beginn dieser rapiden Klimaabkühlung ist laut unseren Daten vor 12.870 Jahren mit einer Schwankungsbreite von 30 Jahren im Nordatlantik anzusetzen. Der Meteoriteneinschlag wird auf 12.820 Jahre datiert, also 50 Jahre später. Zudem lässt sich zum vermuteten Zeitpunkt des Einschlags keine starke Klimaveränderung in Grönland nachweisen", sagt Spötl.

Brachte das Abfließen des Agassiz-Sees vor 13.000 Jahren den Nordatlantikstrom zum Erliegen?
Karte: Teller, Leverington/U.S. Geological Survey

Süßwasserflut stoppt Nordatlantikstrom?

Die Ergebnisse würden wohl eher für ein anderes katastrophales Ereignis sprechen, über das als Ursache für die Jüngere Dryas spekuliert wird: Die vorangegangene Wärmeperiode hatte arktische Gletscher rasant abschmelzen lassen. Ein großer Teil des Schmelzwassers sammelte sich im Agassizsee, einem Gewässer mit einer zeitweiligen Ausdehnung, die jene aller heutigen Großen Seen zusammengenommen weit übersteigt.

Abgegrenzt war der See im Süden von aufsteigendem Land, im Osten jedoch verhinderte einzig eine fragile Barriere aus schmelzenden Gletschern das Abfließen in den Atlantischen Ozean. Als diese Wand schließlich brach, ergossen sich schlagartig gewaltige Süßwassermengen in den Nordatlantik und stoppten den sogenannten thermohalinen Zyklus. Mit anderen Worten: Der Nordatlantikstrom, eine Verlängerung des Golfstroms, kam zum Erliegen. Einen Haken hat aber auch diese Theorie: Sie erklärt nicht, warum eine parallele Abkühlungsperiode auf der Südhalbkugel früher begann. (red, 8.9.2020)