Hikaru Nakamura ist einer der Stars im Schachsport – und neuerdings auch auf Twitch.

Foto: Twitch/GMHikaru

Wenn die amerikanische E-Sports-Organisation Team SoloMid (TSM) einen Vertrag mit einem neuen Spieler bekannt gibt, dann denkt man eher nicht an klassische Brettspiele. Sondern an kompetitive Online-Multiplayergames wie etwa League of Legends, wo man sich nach längerer Durststrecke erst am Wochenende wieder die Krone in der US-Liga (LCS) sicherte.

Doch Hikaru Nakamura, der Ende August als Neuzugang vorgestellt wurde und der diverse Sponsorendeals und einen Vertrag mit sechsstelligem Verdienst bekommt, ist nicht als Profi in einem modernen Videospiel bekannt. Den charismatischen 32-Jährigen kennt man als Großmeister in einem der ältesten Brettspiele der Welt: Schach. Das Spiel, in dem zwei Partizipanten auf 8 mal 8 Feldern darum ringen, den gegnerischen König festzusetzen, hat in den letzten Monaten einen Boom in Sachen Streaming erlebt, berichtet die New York Times.

E-Sports-Teams werden aufmerksam

Nakamura ist mit seinem Twitch-Kanal einer der Katalysatoren für diese Entwicklung, aber nicht der erste Profi-Schachspieler, der von einer E-Sports-Organisation angeworben wurde. Eine Woche vor seinem Eintritt bei TSM sicherte sich das kanadische Team CounterLogic Gaming (CLG) die Dienste von Quiyou Zhou der ehemaligen Weltmeisterin und Großmeisterin Qiyou Zhou.

Dass weitere bekannte Teams Schachspieler rekrutieren, wäre nicht verwunderlich. Cloud 9 reagierte auf Nakamuras Start bei TSM augenzwinkernd mit einer kurzen Nachricht an den mehrfachen Schachweltmeister und Erstplatzierten der FIDE-Männerweltrangliste, Magnus Carlsen.

Wachstum

Die Zahlen sprechen alleine auf Twitch, der wichtigstem Gamesstreaming-Plattform, eine eindeutige Sprache. Zwischen März und August kam Schach laut der Analyseseite SullyGnome auf 41,2 Millionen an Zuseherzeit. Das mag im Vergleich zu populären Online-Games nicht viel sein, stellt jedoch eine Vervierfachung im Vergleich zum vorhergehenden Halbjahr dar.

Das Publikum ist aber nicht nur dabei, wenn Profis vor dem Spielbrett sitzen. Das Amateur-Turnier PogChamps brachte es im Juni auf bis zu 63.000 gleichzeitige Zuseher. Die offizielle Schach-Kategorie auf Twitch hat fast eine Million Abonnenten. Das Interesse ist allerdings regional unterschiedlich ausgeprägt. Während US-Streamer bereits tausende Zuseher gleichzeitig anlocken können, sind es Europa bei den Top-Kanälen abseits bekannter Schachprofis bestenfalls wenige hundert.

Schach trifft Gamingcommunity

Die positive Entwicklung treibt auch noch ein anderes Phänomen an. Populäre Streamer, wie etwa Felix "xQcOW" Lengyel mit 3,3 Millionen Abonnenten, haben den Brettspiel-Klassiker ebenfalls für sich entdeckt. Schach auf Twitch profitiert massiv von der Zusammenkunft aus Schachspielern und den vielen Menschen, die sich ganz allgemein für Spiele interessieren und deswegen auf Twitch unterwegs sind.

Nakamura scheint der ideale Kandidat für dieses Publikum zu sein. Obwohl er auf hohem Level Schach spielt, scherzt er gleichzeitig locker mit seinem Publikum und spielt regelmäßig auch gegen Zuseher. Mitunter bestreitet er solche Partien zum Erhalt der Spannung auch mit einem Handicap, etwa mit abgedeckten Augen oder weniger Figuren zum Start. Gleichzeitig gibt er auf humorvolle Art und Weise Tipps und erklärt, warum er einen bestimmten Zug durchgeführt hat oder weshalb der Zug seines Gegenspielers besonders gut oder schlecht war.

Das wachsende Interesse an Schach im Streaming-Sektor sieht er als Zugewinn für den Sport. Und es handelt sich seiner Ansicht nach nicht nur um einen temporären Hype, sagt der Schachprofi: "Die Zukunft sieht extrem vielversprechend aus." (red, 08.09.2020)