Die Vorsitzende der Expertenkommission für Integration, Katharina Pabel, Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) und Statistik-Austria-Chef Tobias Thomas präsentierten am Dienstagvormittag den neuen Integrationsbericht.

Foto: APA/Robert Jäger

Wien – Viel wurde erreicht, aber noch lange nicht genug: So könnte man die Bilanz bezüglich Migration und Integration zusammenfassen, die Susanne Raab (ÖVP), Ministerin für Frauen und Integration, heute zog. Der Anlass: Zum zehnten Mal wurde der Integrationsbericht vorgestellt, in dem Daten und Fakten rund um Migration und Integration gesammelt und eingeschätzt werden. Erarbeitet wird dieser vom Expertenrat für Migration, einem 15-köpfigen Gremium.

Ein Viertel hat Migrationshintergrund

Die aus Sicht der Ministerin zentralen Ergebnisse wurden bereits am Wochenende an einige Medien gespielt: dass in Österreich mittlerweile ein Viertel der Bevölkerung Migrationshintergrund hat – also entweder selbst zugewandert ist oder zugewanderte Eltern hat. Diese Entwicklung bilde sich auch in den Schulen ab, und das sehe man am hohen Anteil von Schülerinnen und Schülern mit nichtdeutscher Umgangssprache. Dieser stieg seit 2010 von 17,6 Prozent auf 26,4 Prozent im Jahr 2019. In Wien liegt die Zahl bei etwas mehr als 50 Prozent.

Nun sind beides zunächst nicht mehr als Zustandsbeschreibungen, die keine Rückschlüsse auf Integration oder Probleme bei dieser zulassen. So haben viele Personen mit Migrationshintergrund beispielsweise die österreichische Staatsbürgerschaft. 16,7 Prozent der heimischen Bevölkerung haben hingegen eine andere Staatszugehörigkeit als die österreichische.

Deutsch als Integrationsfaktor

Woher die Personen kommen, die im letzten Jahrzehnt nach Österreich zugewandert sind, präsentierte Statistik-Austria-Chef Tobias Thomas. "Einer steht hier vor Ihnen", sagt der gebürtige Deutsche. Der Anstieg bei der Zuwanderung im vergangenen Jahrzehnt habe bei allen Gruppen stattgefunden, also sowohl aus den "alten" EU-Staaten als auch aus den Beitrittsländern, der Türkei sowie aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Bei letzterer Gruppe sei der Trend stärker, aber insgesamt bilde sie trotzdem nur 1,4 Prozent der in Österreich lebenden Bevölkerung ab.

APA

Was Integration bedeutet und wie sie gelingen kann, darauf ging die Vorsitzende des Expertenrats, Katharina Pabel, näher ein. Etwa was die Sprache betrifft: "Eine andere Umgangssprache als Deutsch ist per se nicht problematisch. Aber sie geht häufig mit Deutschproblemen einher." Besorgniserregend und alarmierend sei etwa die Zahl an Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund, die die Bildungsstandards in Deutsch und Mathematik nur teilweise oder gar nicht erfüllen. Bei den 13- bis 14-Jährigen schafft ein Drittel die Standards in Deutsch nur teilweise, ein weiteres Drittel schafft sie gar nicht, heißt es etwa im Bericht.

Expertin fordert Ganztagsschulen, Ministerin nicht

Bei den Antworten, die solche dramatischen Ergebnisse fordern, gehen die Meinungen allerdings auseinander: Expertin Pabel merkt an, dass die Deutschförderklassen zwar eine gute Idee seien, dies aber nicht reiche. Vielmehr brauche es eine Ausweitung bei ganztägigen Schulformen. "Davon würden alle Schülerinnen und Schüler profitieren", sagt Pabel. Eine Forderung, die die ÖVP freilich seit Jahren ablehnt, und da bringt auch Ministerin Raab keine Wende: "Man kann nicht alles auf die Schule auslagern." Vielmehr brauche es eine bessere Einbindung der Eltern, hier wolle man in Zukunft verstärkt daran arbeiten.

Auch das zweite verpflichtende Kindergartenjahr, das laut Pabel wichtig für verbesserte Deutschkenntnisse und eine gelungene Integration sei, will Raab nicht fordern. 95 Prozent der Kinder würden dieses zweite Jahr bereits absolvieren, die Zahlen seien also gut. "Natürlich kann man immer mehr wollen. Aber der Kindergarten ist schlussendlich Sache der Länder."

Frauen als "Integrationsmotor" und mehr Ehrenamt

Was also tun? Raab möchte unter anderem in Zukunft vor allem auf die seit 2015 zugewanderten Frauen bauen. Sie sollen "Integrationsmotoren" sein, wenn es nach der Ministerin geht. Dazu soll vor allem die Anzahl erwerbstätiger zugewanderter Frauen steigen. Wie berichtet haben von jenen Frauen, die seit der großen Flüchtlingswelle vor fünf Jahren nach Österreich gekommen sind, nur elf Prozent am Arbeitsmarkt Fuß gefasst.

Apropos Flüchtlingswelle 2015: Diese nimmt in der Zehnjahresbilanz natürlich einen zentralen Platz ein. Die Integration der seit damals zugewanderten Personen sei eine "Herausforderung", betont Raab. Das habe man damals nicht erkannt. "2015 wurde nicht an das Morgen gedacht, sondern nur 'Willkommen' gerufen."

Ein besseres Zusammenleben soll in Zukunft auch durch ehrenamtliches Engagement seitens der zugewanderten Personen ermöglicht werden. Raab will hier animieren, denn Kontakt zur Mehrheitsbevölkerung wirke sich auf vielen Ebenen positiv aus.

Kein Chinatown im Brennpunkt Wien

Ein gestärktes Zusammengehörigkeitsgefühl solle auch problematischen religiösen und kulturellen Einstellungen entgegenwirken, die manche Zuwanderer hätten, sagt die Ministerin. Abwertungshaltungen gegenüber Homosexuellen oder anderen Religionen seien beispielsweise weit verbreitet. Haben die verpflichtenden Wertekurse für geflüchtete Personen also nichts bewirkt? "Solche Haltungen lassen sich nicht kurzfristig verändern", sagt Raab. Auch hier sei die Schule ein zentraler Ort.

Der letzte Punkt, den Raab in Zukunft angehen will, ist, Parallelgesellschaften entgegenzuwirken. Brennpunktzonen sieht Raab vor allem in Wien, und sie erwähnt die Vorkommnisse in Favoriten. Wo es in der Hauptstadt denn genau brenne, kann die Ministerin aber nicht beantworten. "Wir werden das mit Daten füttern", sie habe den Expertenrat beauftragt, sich in Zukunft verstärkt mit der Problematik zu befassen. Man wolle jedenfalls "kein Chinatown und kein Little Italy", sagt Raab.

Mehrmals wird im Bericht hervorgehoben, dass Wien schlechtere Zahlen hat. "Dass der Bund und Wien unterschiedliche Ansichten haben, was Migration anbelangt, ist kein Geheimnis", sagt Raab dazu. Die Bundesregierung gebe die Rahmenbedingungen vor, die Länder müssten diese umsetzen. In Wien sieht sie hier etwa bei der Mindestsicherung Bedarf. Hier gebe es eine "Sogwirkung", das führe zu Problemen.

Was Österreicher über Integration denken

Integration sei ein zweischneidiges Schwert, betonte Expertin Pabel. Wie steht es also um die Einstellung der Aufnahmegesellschaft? 54,7 Prozent der für den Bericht befragten Österreicherinnen und Österreicher gaben an, Integration funktioniere eher gut oder sehr gut. Das Wichtigste sei es, die Landessprache sprechen zu können, die politischen Institutionen und Gesetze zu respektieren und durch Steuern zum Wohlfahrtssystem beizutragen. In Österreich geboren zu sein oder österreichische Vorfahren zu haben wird hingegen als weniger wichtig betrachtet. (lhag, 8.9.2020)