Boris Johnsons Regierung will internationales Recht brechen.

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London – Der für Nordirland zuständige Minister in der britischen Regierung, Brandon Lewis, hat am Dienstag im Unterhaus einen bevorstehenden Rechtsbruch durch die konservative Regierung angekündigt. Bei der Debatte ging es um ein Gesetz, das am Mittwoch vorgestellt werden soll und mit dem Premier Boris Johnson und sein Kabinett die EU in der entscheidenden Phase der Gespräche um die weiteren Beziehungen zwischen Brüssel und London nach Ende der Übergangsphase 2021 unter Druck setzen will.

Lewis sagte auf eine Frage eines Fraktionskollegen, ob er ihm Rechtskonformität des geplanten Gesetzes zusichern werde: "Ja, das Gesetz wird internationales Recht auf eine sehr bestimmte und eingeschränkte Art brechen." Es gebe aber Präzedenzfälle, in denen man bereits ähnlich gehandelt habe, so Lewis. Konkret soll das neue Gesetz Bestimmungen zur staatlichen Hilfe für Unternehmen und Regionen und einige Teilbereiche der Zollbestimmungen "neu interpretieren", wie es in London heißt. Diese waren im Brexit-Rahmenabkommen, das London Ende 2019 und Anfang 2020 mit der EU endgültig abgeschlossen hatte, festgeschrieben worden.

Der Chefjurist der britischen Regierung hatte einer Zeitung zufolge schon zuvor seinen Posten im Streit über das Brexit-Abkommen aufgegeben. Jonathan Jones liege im Disput mit dem Büro von Premier Boris Johnson über angebliche Pläne, Teile des Abkommens mit Bezug zu Nordirland zu untergraben, berichtete die "Financial Times" am Dienstag unter Berufung auf Insider. Später bestätigten auch andere Medien seinen geplanten Abschied, auch eine E-Mail von Jones an seine Kolleginnen und Kollegen wurde später publik.

Demnach sei Jones "sehr unglücklich" über die Entscheidung, entsprechende Teile der Vereinbarung zu ändern. Eine Stellungnahme der Regierung lag zunächst nicht vor. Das britische Pfund gab nach der Veröffentlichung des Berichts zum Euro nach.

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EU-Politiker reagierten schon vor den Äußerungen Lewis' entsetzt auf die neu bekanntgewordenen Pläne Londons. Die Regierung wies den Bericht zurück. Die Gespräche zwischen Großbritannien und der EU über ein Handelsabkommen sollten am Dienstag fortgesetzt werden.

"Null und nichtig"

Der irische Ministerpräsident Micheal Martin warnte die Regierung in London in einem Interview, ein Bruch des Brexit-Abkommens würde dazu führen, dass alle Verhandlungen "null und nichtig" seien.

In dem im vergangenen Jänner ausgehandelten Brexit-Vertrag hatte London unter anderem zugesagt, dass es keine harte Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem zu Großbritannien gehörenden Nordirland geben werde. Hintergrund ist die Sorge, dass die konfessionellen Auseinandersetzungen in Nordirland wiederaufflammen könnten.

Einigung noch im September nötig

EU-Unterhändler Michel Barnier sollte im Laufe des Dienstags in London erneut Gespräche mit der britischen Seite führen. EU-Vertreter warnen, dass eine Einigung noch im September erreicht werden müsse, wenn man eine Ratifizierung vor Jahresende erreichen wolle. Dann endet nach dem britischen Austritt aus der EU die derzeit laufende Übergangsphase, in der das Land noch Teil des EU-Binnenmarktes ist. Johnson hatte eine Frist bis Mitte Oktober gesetzt, um noch eine Einigung über Streitfragen wie die Fischerei zu erreichen.

Sollte dies nicht gelingen, drohen nach Einschätzung von Wirtschaftsvertretern und der EU massive Verwerfungen im Handel zwischen dem Königreich und der EU. Der Zugang für britische Waren zum EU-Binnenmarkt wäre dann nur noch auf der Grundlage allgemeiner WTO-Regeln möglich. "Wir wollen einen Freihandelsvertrag ähnlich dem EU-Kanada-Abkommen – und wir denken, das ist immer noch möglich", sagte der britische Wohnungsminister Robert Jenrick zu Sky News.

Premier Boris Johnson spricht hingegen immer wieder von einer Lösung nach dem australischen Vorbild, die ebenfalls ein "gutes Ergebnis" der Verhandlungen darstellen würde. Das gilt allerdings als euphemistische Beschreibung für ein Scheitern des Gespräche, maskiert es doch vor allem das fast vollständige Fehlen von konkreten Vereinbarungen der EU mit Canberra. Genauso gut könnte man angesichts ähnlicher Vereinbarungen mit diesem Ländern von einer "mongolischen oder somalischen Lösung" sprechen, sagte der irische Europa-Experte der Regierungsfraktion Fine Gael, Neale Richmond, jüngst der BBC.

Europaministerin Edstadtler kritisiert Ultimatum

Europaministerin Karoline Edstadler (ÖVP) hat am Dienstag das Ultimatum Londons in den Verhandlungen über ein künftiges Handelsabkommen zwischen Großbritannien und der Europäischen Union kritisiert. Ziel der EU-27 bleibe weiterhin ein möglichst enges Verhältnis mit Großbritannien, so die Europaministerin nach Gesprächen mit dem britischen Botschafter und EU-Vertretern im Bundeskanzleramt.

"Für die Verhandlungen ist es aber alles andere als zuträglich, wenn die Briten nun bereits vereinbarte Punkte infrage und der EU ein Ultimatum stellen", erklärte Edtstadler. In der finalen Phase der Verhandlungen sei, wie schon bisher, die Einheit der EU 27 entscheidend. "Wir stehen klar hinter Chefverhandler Michel Barnier und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die bereits große Fortschritte erzielen konnten." (APA, Reuters, 8.9.2020)