Radikal umgekrempelt hat die Pandemie nicht nur unser Verhältnis zu fremden Menschen, sondern auch zum Schöpflöffel. Bis vor wenigen Monaten begegnete man dem einen wie dem anderen noch völlig frei von Argwohn und Ängsten. Inzwischen umweht sie alle beide ein Hauch des Unheimlichen und Gesundheitsbedrohlichen.

Im Falle des Schöpflöffels in erster Linie dann, wenn man am Frühstücksbuffet eines Hotels auf ihn trifft. Da liegt er dann – ganz so, als ob nichts gewesen wäre – neben gleichermaßen bedrohlichen Werkzeugen und Geräten wie Salatzangen und Brotmessern, wie den Deckeln der Warmhaltebehälter fürs Rührei und dem lustigen Toaster mit Förderband.

Greifbare Gefahr

Fremde Menschen sind freilich auch da. Doch im Unterschied zu ihnen kann man zum Schöpflöffel und zu all dem anderen Anrichtewerkzeug, den Zangen, Deckeln und Messern, beim besten Willen keinen Abstand halten. Sondern man muss sie angreifen. Wie so viele andere Gäste vor einem. Was natürlich angesichts dessen, was man über Virusübertragungen so weiß, nicht unbedingt stimulierend wirkt auf den Frühstückappetit von so manch einem. Auch sorgte noch im vergangenen Juni ein millionenfach angeklicktes Video des japanischen TV-Senders NHK für Aufsehen, das die schnelle Verbreitung eines Virus anschaulich machte. Zu sehen sind zehn Buffetgäste, von denen einer eine unsichtbare Flüssigkeit auf die Hand aufgetragen bekam. Nach 30 Minuten wurde ein UV-Licht eingeschaltet, und man erkannte mit Schrecken, dass sich die nun fluoreszierende Flüssigkeit ausnahmslos überall und auf alle verteilt hatte.

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Gäste verlangen nach ihrem heißgeliebten Frühstücksbuffet, Pandemie hin oder her.
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Kein Wunder also, dass die allermeisten Experten bereits zu Zeiten des Lockdowns davon ausgingen, dass die Einrichtung des Frühstücksbuffets die Pandemie nicht überleben werde. "Das Buffet ist tot", lautete ihre Diagnose. Doch war die Prophezeiung wohl genauso unzutreffend wie jene, wonach wir bald alle wen kennen würden, der an Covid-19 verstorben ist. Denn zumindest in Österreich erfreut sich das Frühstücksbuffet erstaunlich ungebrochener Beliebtheit, wie sich in unzähligen Hotels des Landes überprüfen lässt.

Frühstückslandschaft Österreich

"Ehrlich gestanden hat es uns selbst gewundert, dass die Frage nach dem Frühstücksbuffet eine der ersten war, die Gäste am Telefon stellten, als sie nach dem Lockdown bei uns buchten", erzählt eine Kärntner Hotelbetreiberin, die namentlich nicht genannt werden möchte. Natürlich habe sie ein paar Änderungen eingeführt. So sei etwa der Fruchtsalat bereits vorportioniert. Und Brot dürfe man sich auch keines mehr selbst schneiden. Das war’s aber dann schon. Einem Gast und Familienvater aus Mailand ist das viel zu wenig. Ratlos steht er mit Frau und Kindern im Eingang zum Frühstücksraum und wundert sich – über das Buffet und die ungeschützten Lebensmittel, über die geringen Abstände und die vielen Anrichtezangen und -löffel.

"Nach Kärnten sind wir gekommen, weil es mit dem Auto leicht erreichbar ist und wir nicht ins Flugzeug steigen wollten. Außerdem waren wir während des Lockdowns über drei Monate eingesperrt. Und das alles, damit wir uns jetzt mit Dutzenden anderen Gästen am Buffet drängen? Das kann es ja wohl nicht sein", konfrontiert er die Hotelbetreiberin. Die lächelt nur verlegen und zuckt mit den Schultern. Genau wie etliche andere in der Branche hat auch sie sich wohl oder übel für jene angeblich erdrückende Mehrheit von Gästen entschieden, die sich eher dem Risiko der Infizierung aussetzen als auf ihr geliebtes All-inclusive-Frühstück zu verzichten.

Selbst ist der Buffetgast

Doch ist die Zufriedenheit der Gäste wohl nicht das einzige Argument fürs Buffet. "Naturgemäß reduziert ein Betrieb seine Personalkosten erheblich, wenn die Gäste sich selbst bedienen", sagt Christian Bayer-Eissler, Gründer einer Wiener Gastronomieberatungsfirma. "Vor allem in der Ferienhotellerie sehe ich schwer, wie man darauf verzichten könnte." Da habe es die Stadthotellerie schon leichter, weil man dort, guter Standort vorausgesetzt, mit einem À-la-carte-Frühstück auch externe Gäste anlocken könne.

"Die Problematik der Hygiene am Buffet könnte man verringern", fährt Bayer-Eissler fort, "wenn es ganz genaue Regeln gäbe, also Pflicht zum Mund-Nasen-Schutz und Desinfektionsmittel, um sich jedes Mal, nachdem man Servierbesteck angegriffen hat, die Hände zu desinfizieren." Wie schwer solche Regeln für die Hoteliers und Gastwirte durchzusetzen sind, hat sich allerdings schon in der Vergangenheit gezeigt, weswegen Bayer-Eissler eine gesetzliche Regelung für unausweichlich hält.

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"Gut möglich, dass wir das Buffet zu früh abgeschrieben haben", so der Architekt Erich Bernard.
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Mit der Zukunft des Buffets beschäftigt sich auch Erich Bernard. "Gut möglich, dass wir das Buffet etwas zu früh abgeschrieben haben", sagt der Architekt, dessen Studio BWM-Architekten für die Planung zahlreicher Hotelinterieurs im In- und Ausland verantwortlich zeichnet. "Aber es wäre jetzt eine gute Gelegenheit, das Ganze neu zu überdenken. Es gibt nämlich kaum etwas so Trauriges wie einen leeren Frühstücksbuffetraum, da sollte man überlegen, wie man diesen auch untertags und abends nutzt. Etwa indem man ihn mit der Bar beziehungsweise mit einer offenen Küche verbindet. Dadurch würde sich der gesamte Bereich beleben, aber auch ausdehnen und dieserart die Distanzierung zwischen den Gästen vereinfachen."

Zudem glaubt Bernard, dass in Zukunft ein Teil der Speisen sehr wohl serviert werden könnte. "Abgepackte Portionen in Cellophan, wie man sie aus Kantinen kennt, sind für die meisten Betriebe keine Option", sagt der Architekt. "Viel vorstellbarer wären eben offene Küchen und Ausgabestellen, beispielsweise mit einer Schinkenschneidemaschine, bedient von einer Servicekraft, die dem Gast den Schinken auf einem Teller reicht." So könne der gesamte Frühstücksbereich zu einer Art Feinkostladen werden, wo man zudem die Lebensmittel von lokalen Erzeugern präsentieren und erklären könne. Ein dieserart neu geplantes und zum Teil bedientes Buffet würde Qualität vor Quantität setzen. Und schließlich könnte so auch eine Menge Abfall vermieden wären. "Ein Aspekt, der für gewisse Zielgruppen heutzutage eine bedeutende Rolle spielt", wie Bernard anfügt.

Nachholbedarf

Dass so ein Frühstücksbuffet mitunter gehörig Reste und somit Lebensmittelabfälle erzeugt, ist in der Tat kein Geheimnis. Und dass deshalb einige Gäste beim Anblick der großen Mengen an Essen inzwischen ein ungutes Gefühl überkommt, mag wohl auch stimmen. Dennoch hat sich in diesen Covid-Zeiten gezeigt, dass die überwiegende Mehrheit es doch genießt, mit großen Augen vor Bergen von im Voraus bezahlter Pikantwurst, von gummigem Schnittkäse, minderwertigem Räucherlachs und Rührei aus Fertigeipulver zu stehen – und sich daran völlig ungeniert bedienen kann. Ganz ohne jemanden fragen zu müssen oder dabei von einer Servicekraft beobachtet zu werden. Denn wie soll man gewisse Dinge, die man sich kaum selbst eingestehen möchte, wie etwa einen dritten Nachschlag, auch noch gegenüber anderen verantworten? Darum wird uns das Frühstücksbuffet mit der Zurschaustellung seiner unzeitgemäßen Opulenz wohl erhalten bleiben – Virusschleuder hin oder her. Und das zumindest bis zur nächsten Infektionswelle. (Georges Desrues, RONDO, 11.9.2020)