Schmeckt das Schokotörtchen immer gleich?

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Fabian Günzel komponiert gerne. Zum Kohlrabi arrangiert er Sanddorn, Radicchio harmonisiert mit Pulpo, Gurke und Passionsfrucht bilden ein Duett.

Zu seinen kulinarischen Sinfonien auf dem Teller präsentiert der avantgardistische Küchenchef in seinem feinen Wiener Restaurant Aend im 6. Bezirk elektronische Musik mit Gesang.

Einen "dicken Sound" nennt es Sommelier Stephan Martin, der auch die Songs aussucht. Es sind lässige Klänge, alles andere als in Moll, mal mit Tempo, mal mit Groove, die aber immer fett zu hören sind, Kochcrew und Gäste "durch den Abend tragen". Nicht nur das Menü ist angesagt, "die Gäste fragen zunehmend nach der Playlist", sagt Martin.

Immer mehr Köche stellen fest, dass Musik für das Wohlbefinden im Restaurant eine wichtige Rolle spielt. Klar hat der Italiener um die Ecke schon lange O sole mio zu sonnengereiften Tomaten und Mozzarella gespielt, und beim Griechen läuft Sirtaki zum Souvláki. Und in den hippen Burger-Bratereien wummert es aus den Boxen, damit der Biss ins Brötchen noch cooler wirkt. Und die Top-Gastronomie?

Klangteppich

In vielen Spitzenrestaurants in Österreich und Deutschland läuft immer noch eine dumpfer Klangteppich aus Klassikklängen, der scheinbar irgendwo aus Richtung Tapete kommt. In den hippen Nobelschuppen geht es allerdings meist gar nicht mehr so nobel zu. Statt barocken Brokats geben nun blanke Bretter den Ton an, und der Rhythmus ist zum Mitswingen.

Katrin Erichsen von der Berliner Agentur Musique Couture weiß allerdings: "Musik bleibt ein sensibles Thema." Erichsen, die die Klangfarbe für das Wolfsburger Drei-Sterne-Restaurant Aqua zusammenstellte, kennt das wichtigste Kriterium: "Es darf nichts sein, was die Aufmerksamkeit vom Essen ablenkt."

Von schwer bis entspannt

Doch vor allem die junge Generation der Gourmet-Heroes setzt auch schon einmal auf härtere Beats. Im schwer angesagten Sternerestaurant Nobelhart und Schmutzig in Berlin vibriert gelegentlich nicht nur die Stereoanlage. Auf dem Plattenspieler drehen sich die Wünsche der Gäste, aber meist das, was der extrem regional kochende Chef Billy Wagner selbst mag: schwerere Rhythmen. Das kann Gäste anstrengen, wenn der Pop nicht piano erklingt. Manchem Koch geht es auch als gefühltem Rockstar ganz gut. Musik soll auch erzählen, wie der Koch und seine Küche ticken.

Kevin Fehling war seine persönliche Note zu persönlich. Zum großen Kino auf seinen Tellern hörten die Gäste des Drei-Sterne-Kochs Filmmusik. Im Hamburger Restaurant The Table erklangen Lieder aus Der Pate, A Beautiful Mind oder aus Die fabelhafte Welt der Amélie. "Das sind meine Emotionen", sagte Fehling, "Höhen und Tiefen, Traurigkeit und Glück." Manchmal war es zu emotional. Deshalb läuft bei Fehling nun entspannte Lounge- und Chillout-Musik. Jon Giraldo und Jaime Lieberman gehen in ihrem Spoonik in Barcelona mit den Klängen noch weiter. Musik und Sound seien "weitere Zutaten der Gerichte".

Das sahen die Gastgeber schon im ausgehenden Spätmittelalter so. Als Herzog Karl der Kühne von Burgund 1493 für Friedrich III. ein Festmahl gab, spielten Trompeter, Posaunisten und Streicher auf. Die Tafelmusik wurde Jahrhunderte später als eigenes Genre berühmt. Sie war Hintergrundmusik für Bankette und Feiern, verfasst von berühmten Komponisten wie Mozart und Telemann.

Easy Listening

In der Gastwirtschaft Floh im niederösterreichischen Langenlebarn geht es alles andere als klassisch zu. Küchenchef Josef Floh gehört zu den Trendsettern der Branche. Seine Menüs "Radius 66" geben die Richtung an. Die Zutaten dafür stammen fast ausschließlich aus einem Umkreis von 66 Kilometern. Peter Resch ist mit seiner Firma Roomvibes der DJ des Gastronomen. Resch, der sich in Wels in Oberösterreich Soundkonzepte für Hotels, Bars und Restaurants ausdenkt, war klar, dass es trotz der Regionalküche "keinen Austropop", sondern weltläufige Easy-Listening-Takte braucht. Der Koch selbst ist Prince-Fan und lässt das auch seine Gäste hören. Auf der Playlist findet sich Chart-Musik aus den letzten Jahrzehnten. Soul, Funk und Dance-Pop von Norah Jones, Robbie Williams & Lily Allen und der Steve Miller Band. Musik sei für ihn "eine vielfältige Inspiration", sagt Josef Floh. Das klappt offenbar wunderbar, zu den luftigen Songs gibt es Leichtes: Kerbelrübe, Pastinakencreme und Kräuterseitlinge oder Demeter-Karpfen mit Quitte.

Wie das zarte Zusammenspiel von Gehör, Gehirn und Geschmack funktioniert, demonstrierte Charles Spence, Professor für experimentelle Psychologie an der Oxford Universität, recht eindrucksvoll. Der Professor servierte für sein Experiment ein bittersüßes Schokotörtchen. Während sich die Teller langsam leerten, ließ Spence Musik auflegen – einmal mit hohen Tönen, ein andermal mit brummenden Bässen. Schmeckt das gleiche Gericht etwa anders, wenn die Melodien im Hintergrund wechseln? Werden die Sinne durch die Musik manipuliert?

Der Oxford-Professor freute sich über die Ergebnisse seines Tests. Hörten die Versuchsesser glockenhelle Lieder, drang das Süße durch. Bei tiefen Tönen schmeckten sie Bitteres im Mund.

Offenbar stimuliert Musik über die Nervenbahnen im Gehirn den Geschmack. Es scheint, dass die Wissenschaft einen Weg weist, die Kunst der Köche auf ihren Tellern durch das Können an den Turntables in noch größere Höhen zu treiben.

Gibt es demnächst einen Musik-Sommelier, der ein musikalisches Potpourri zum kulinarischen Menü auswählt?

Wissenschafter Charles Spence geht noch weiter: "Einige lieben Jazz, andere Opern." Warum sollten die Menschen künftig, so der Vorschlag von Spence, nicht mit ihrem Handy auf einer App ihre Lieblingsmusik zum Lieblingsessen wählen. (Oliver Zelt und Caroline Wesner, RONDO, 20.9.2020)