Die beiden Winzer im Weingarten auf Mallorca.

Foto: Biel Capllonch

Placebo, LCD Soundsystem und The Smiths: Sie alle machen Musik. In Felanitx, im südlichen Teil der Baleareninsel Mallorca, stehen sie auch für Lage und Rebsorten. Bei Winzer Francesc Grimalt ist Placebo: Höhenlage, alte Rebstöcke und die Rebsorte Callet, zehn Minuten vom Weingut entfernt.

"Ich kann mir keine Zahlen merken. Es kommt sogar vor, dass ich meiner Tochter einen Monat zu früh zum Geburtstag gratuliere", so der Winzer. Um im Keller trotzdem den Überblick zu behalten, dürfen da also keine Zahlen rein. Deshalb benennt er seine Weinchargen nach Bands anstatt mit Zahlen und Herkünften. Für Grimalt klingt das weit logischer und besser als Parzelle I und II.

Der eine Künstler, der andere Önologe: Sergio Caballero und Francesc Grimalt gründeten 2006 das Weingut 4 Kilos auf Mallorca.
Foto: 4 Kilos

Der Geschäftspartner von Francesc Grimalt heißt Sergio Caballero. Kennengelernt haben einander der Winzer und der Künstler auf dem Weingut, für das Grimalt davor gearbeitet hat. "Der Typ wollte ein Gratis-Praktikum bei uns machen", so Grimalt. Das hat er dann auch getan. Seitdem sind er und der Mitbegründer eines der größten Festivals für elektronische Musik in Europa, dem Sónar in Barcelona, gute Freunde. Seit 2006 sind die beiden Geschäftspartner. Jeder der beiden hat damals umgerechnet zwei Millionen Peseten in die Hand genommen, um ein paar Fässer in einer Garage aufzustellen. Umgangssprachlich waren eine Million Peseten in Spanien ein Kilo – macht also "4 Kilos" auf Mallorca. Heute ist das Weingut in den besten Restaurants der Welt gelistet, von "Motor", einem Wein, den Grimalt aus autochthonen Rebsorten in Amphoren ausbaut, wissen viele bis heute gar nicht, ob er Mythos oder Realität ist. Alle wollen ihn haben, kaum einer bekommt ihn.

4kilosvinicola

Von Ein- und Ausgängen

Der Hype um die Weine ist auf dem Weingut selbst nicht erkennbar. Dort fressen die Schweine des Nachbarn die Trester von "Motor" und Co, als das Navi des Mietwagens erleichtert aufpiepst: Es hat das Ziel gefunden, am Ende eines unbeschrifteten, nicht asphaltierten Weges, die von der Straße wegführt, wie ein Feldweg ins Nichts. Da, wo bei anderen von rotem Staub bedeckte Straßen das Nichts ist, steht das Weingut mit einem kleinen Schild an der Eingangstür. "Hippies use Back Door".

Während man noch überlegt, ob man hier richtig ist, und wenn ja, ob man jetzt echt die Hintertür suchen gehen sollte oder nicht, tritt Francesc Grimalt aus der Tür – in der Hand zwei Riedel-Gläser, auf dem T-Shirt den Spruch "God is a DJ". "Riedel is the best", fast so gut wie sein Stockinger-Fass erklärt der Winemaker Francesc Grimalt dem österreichischen Gast. Stockingers sind mit die gefragtesten Fassbauer der Welt, von dem die wenigsten wissen, dass sie gleich bei Waidhofen an der Ybbs küffern. Wer auf Francesc Grimalts Weingut kommt, der muss Weine kosten, und zwar unfertige. Francesc möchte Feedback – wissen, ob das, was er als Önologe möchte, auch beim Trinker ankommt. Deshalb geht es über die lavendelgesäumte Terrasse weder durch den Haupteingang noch durch das Hintertürl hinein.

Mit Placebo starten

Die Wahl des Mallorquiners fällt auf das aus dem Beton geschnittene fasshohe Loch in der Wand. Das ist der direkte Weg in die Seele des Weinguts. Hier stehen alte große und kleine Fässer aneinandergereiht und übereinandergestapelt. Jeder Zentimeter der Halle, die inzwischen die Größe von vier Garagen hat, ist ausgenutzt. Die Fässer und Amphoren sind gefüllt mit Wein der Rebsorten Callet und Mantonegro. Das sind zwei autochthone Rebsorten der Baleareninsel. "Sie sind von hier und deshalb am besten an die Gegebenheiten der Insel angepasst", sagt Grimalt. Das spielt dem 48-jährigen Winzer und seiner Art, Wein zu machen, in die Hände: Minimale Intervention, Rebstock stärken, sodass er gleich gar nicht krank wird, und Herkunft im Wein zeigen. Das schafft keiner besser als eine Rebe, die von hier ist. Überhaupt, Callet hat es Grimalt angetan. Diese Rebsorte sei zu großen Weinen fähig, so der Önologe, der, bevor er sich mit "4 Kilos" selbstständig machte, in Häusern wie Petrus im Bordeaux gearbeitet hatte.

4kilosvinicola

Wir starten mit Placebo. Die Trauben in diesem Fass hatten heuer mit Mehltau und Hagel zu kämpfen. Es gab einige Ernteausfälle, zum Glück ist nicht alles kaputt. Placebo ist kraftvoll und etwas melancholisch, rote Früchte und die Energie warmer, karger Erde spiegeln sich im Glas wider. Schwer einzuordnen, schließlich ist Placebo noch nicht fertig und wird erst im Verschnitt mit "Animal collective" und "Franz Ferdinand" zu "4 Kilos", "Motor" oder "12 Volts", den Weinen des Weinguts. Mit der Musikauswahl seines Partners auf den Fässern ist Sergio Caballero übrigens nicht immer einverstanden. Geschmäcker sind verschieden. Der Wein muss beiden schmecken. Und das tut er. Letztes Jahr war Abba zum Beispiel ein ganz hervorragendes Fass. (Nina Wessely, RONDO, 29.9.2020)