Barnabé Fillon hat eine französische Mobiltelefonnummer. Aber er ruft aus Mexiko-Stadt an, per Whatsapp. Früher, vor der großen Corona-Pandemie, hat er in Paris gelebt, ist sehr viel gereist, erzählt der 39-Jährige, doch als er im März merkte, wie drastisch die Maßnahmen der französischen Regierung zur Eindämmung der Infektionszahlen wurden, ist er mit einer der letzten Maschinen in seine Wahlheimat nach Mexiko geflogen.

Parfumeur Barnabé Fillon
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STANDARD: Wie verbringt ein französischer Selfmade-Parfümeur seine Zeit in Mexiko?

Fillon: Ich mache endlich das, was ich schon immer machen wollte. Durch die Corona-Krise kann ich nicht mehr so viel reisen wie früher – in den ersten Monaten der Pandemie überhaupt nicht. Ich konnte mir das nach den vielen Jahren in Flugzeugen, auf Flughäfen und Hotels eigentlich gar nicht mehr vorstellen. Aber ich habe endlich erlebt, was Ruhe ist und was man mit Ruhe alles machen kann.

STANDARD: Was zum Beispiel?

Fillon: Projekte, die jahrelang in der Schublade waren, hervorkramen und sie umsetzen. Ich habe in Mexiko-Stadt ein fantastisches Team aufgebaut. Wir haben intensiv an meiner eigenen Parfum-Marke gearbeitet. Und ich hatte Zeit, einfach nur in den Himmel zu schauen. Das war fantastisch. Ich habe gestern allerdings ein Erdbeben erlebt. Das nehmen hier alle sehr gelassen. Für mich war es das erste Mal. Ich fand es unheimlich.

Charlotte Perriands Designs sollten die "Kunst des Lebens" verbessern. Der Parfümeur Barnabé Fillion hat diese Philosophie übernommen und einen holzig-herben Duft für Aesop kreiert.
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STANDARD: Sie schaffen seit mehr als zehn Jahren Parfums, haben eine Fotografenausbildung und sind jemand, der sich nicht so leicht einordnen lässt.

Fillon: Das liegt vielleicht daran, dass ich schon seit je ein Synästhesist bin, also ein Mensch bin, der viele Sinnesreize gleichzeitig wahrnehmen kann. Sehen, hören, fühlen oder riechen, das trenne ich nicht. Alles geht ineinander über. So arbeite ich – als Fotograf wie als Parfümeur. Ich höre Düfte zum Beispiel.

STANDARD: Wie geht das rein praktisch?

Fillon: Es geht mir um das sinnliche Erleben. Parfum kann ein Weg sein, sich morgens mit den eigenen Sinnen zu verbinden. Man riecht einen Duft, das weckt einen auf, man geht hinaus in die Welt. Für viele Menschen ist das ein morgendliches Ritual, mit dem sie den Tag beginnen. Und da geht es um viel mehr, als sich nur einen Duft aufzusprühen.

STANDARD: Worum noch?

Fillon: Es ist ein Ritual, das in anderen Kulturen einen sehr hohen Stellenwert hat. Ich habe lange in Japan gelebt und dort Kodo kennengelernt. Es ist eine Zeremonie mit verschiedenen Verhaltensregeln. Die Gäste lauschen dem Klang des Duftes, der entsteht, wenn der Zeremonienmeister Rauchwerk abbrennt.

Unkonventionell, unangepasst und voller Kreativität: Charlotte Perriands Entwürfe sind heute Designklassiker.
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STANDARD: Sie kreieren seit drei Jahren Parfums für die australische Kosmetikmarke Aesop. Ihre neueste Kreation ist Rozu. Folgen Sie Vorgaben?

Fillon: Nein. Das Besondere an der Zusammenarbeit mit Aesop ist die Freiheit, die sie mir lassen. Es ist eine Marke, die keine Trend-Forecasts braucht, um zu wissen, was ihre Linie ist. Es geht um Klarheit, Sauberkeit und Pflanzen. Das hat mir schon gefallen, bevor die Zusammenarbeit überhaupt begann.

STANDARD: Was war Ihnen bei diesem Duft wichtig?

Fillon: Ich habe mich sehr lange mit Pflanzen und ihrer Wirkung beschäftigt, schon als Fotograf. So habe ich auch Rozu aufgebaut. Das Parfum ist eine verkleidete Rose, könnte man sagen. Es startet mit einem pudrigen Duft, der sich dann aber in einen Dialog mit Shiso, einem minzeähnlichen Kraut, das in Japan sehr beliebt ist, begibt. Wer den Duft trägt, wird merken, dass mit der Zeit auch Vétiver Oberhand gewinnt. Kumin macht das Parfum sehr extravagant. Jede Pflanze hat eine Wirkung, auf die Gesundheit, die Stimmung und das Wohlgefühl. Ich habe eine Ausbildung in Phytotherapie, also Pflanzenheilkunde. Das hilft mir.

STANDARD: Keine gute Frage an einen Parfümeur, aber trotzdem: Ist Rozu ein Männer- oder Frauenduft?

Fillon: All meine Düfte sind unisex, selbstverständlich. Ich halte wirklich gar nichts von Geschlechtertrennung, weder bei Parfums noch irgendwo sonst im Leben. Ich bin Feminist, könnte man sagen. Und außerdem ist dieses Parfum ja auch die Hommage an jene Frau, die mich schon ein ganzes Leben begleitet.

STANDARD: Wer ist das?

Fillon: Charlotte Perriand, eine der ersten französischen Designerinnen. Sie war eine fantastische Frau, hat in den 1930er-Jahren mit Le Corbusier gearbeitet und war eine der ersten, die Handwerk mit den modernen Methoden der industriellen Verarbeitung von Metall zusammenbrachte. Ich kenne sie und ihre Konzepte seit meiner Jugend und habe ihr jetzt dieses Parfum gewidmet. Rozu ist eine Hommage an diese Charlotte.

Aesop Rozu, ein Unisex-Duft, 50 ml. € 146
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STANDARD: Was begeistert Sie?

Fillon: Eigentlich alles. Sie hat sich in einer Männerwelt als Architektin etabliert. Sie hat fantastische Möbel gemacht, sie hat in den 1940er-Jahren in Japan gelebt. Rozu basiert auf dem Duft einer Rose, die ein Japaner extra für Charlotte Perriand gezüchtet hatte. Sie hat zum Beispiel in ihrer Planung von Häusern die Wände zwischen Küche und Wohnzimmer herausgerissen, also die ersten Wohnküchen gemacht, weil man so besser miteinander kommunizieren konnte. Und sie war eine passionierte Bergsteigerin und Skiläuferin. Es sind so viele Dinge. Man sieht ihr den Schalk in den Augen an, auch das mag ich.

STANDARD: Wissen Sie, trug Sie Parfum?

Fillon: Ja, sie trug Vétiver von Guerlain. Das weiß ich von ihren Verwandten, die ich kürzlich sogar kennengelernt habe. Ein bisschen ihres Duftes ist ja auch in Rozu enthalten. Das habe ich mir nicht nehmen lassen. (Karin Pollack, RONDO, 11.9.2020)