Spinnennetz in den Morgenstunden am Bodensee: Manche Spinnenarten verfügen über Eigenschaften, die Wissenschaftern der JKU ein Vorbild sind.

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Beutefang, Nestbau oder Sicherungsleine: Spinnen verwenden ihre Fähigkeit, feinste Fäden zu produzieren, recht unterschiedlich. Da gibt es Sprungspinnen, die nie ohne Sicherungsfaden unterwegs sind, Wasserspinnen, die eine Art Taucherglocke als Unterschlupf weben, und natürlich Netzspinnen, deren Konstrukte die verschiedensten Formen annehmen können. Und auch die Ausgestaltung der Fäden unterscheidet sich.

Viele Arten produzieren Leimfäden, die mit einer klebrigen Substanz überzogen sind, um ihrer Beute habhaft zu werden. Eine zweite "Fadentechnik" bringt wollige Geflechte hervor, in denen sich Insekten ganz ohne Klebstoff verheddern. Sogenannte cribellate Spinnen, die diese Kräuselfäden herstellen, verfügen dafür über spezielle Werkzeuge: das Cribellum, ein "kleines Sieb", das extrem feine, nur wenige Nanometer dünne Fäden hervorbringt, die über einen kleinen Kamm, das Calamistrum, laufen.

Diese Fähigkeit der cribellaten Spinnen ist auch für das Feld der Biomimetik interessant, in dem sich Wissenschafter die Natur zum Vorbild für technische Entwicklungen nehmen. Zu diesen Wissenschaftern gehören Johannes Heitz vom Institut für Angewandte Physik und Werner Baumgartner, Leiter des Instituts für Medizin- und Biomechatronik der JKU Linz. Sie koordinieren das Projekt "BioCombs4Nanofibers", an dem neben der JKU auch die RWTH Aachen und vier weitere europäische Forschungs- und Wirtschaftspartner beteiligt sind. Die Herausforderung: Man möchte Techniken schaffen, um synthetische Nanofasern besser verarbeiten zu können, etwa zu Textilien, Filtersystemen oder sogar künstlichen Blutgefäßen. Gefördert wird das Projekt im Rahmen des Horizon-2020-Programms der EU.

Fäden, die überall haften

Jene Fähigkeit, die die Nanofasern so wertvoll für den Beutezug der Spinnen macht, wird bei den künstlichen Fäden zum Problem: Sie haften aneinander und an Gegenständen in der Nähe. Wollte man sie über eine Spule auf- und abwickeln, würden sie sich sofort verheddern. "Die Nanofasern haben im Verhältnis zu ihrem Volumen eine sehr große Oberfläche. Das erhöht die Wirkung der sogenannten Van-der-Waals-Kräfte, die hier auftreten", erklärt Heitz. Der Begriff beschreibt eine Anziehung zwischen Molekülen oder Atomen aufgrund einer ungleichen Ladungsverteilung und der einhergehenden Dipol-Eigenschaften. "Es ist dasselbe Prinzip, das auch Gekkos an Wänden entlanglaufen lässt", ergänzt Baumgartner. "Die Van-der-Waals-Kräfte sind aber extrem abstandsabhängig. Die Oberflächen müssen sich also sehr nahe kommen, damit sie tatsächlich wirksam werden."

Warum bleiben also nun die Spinnen selbst nicht an ihren Fangfäden hängen? Über die Borsten des Calamistrum werden die Fasern immerhin sogar am Spinnenkörper "verarbeitet". Das Geheimnis liegt in einer speziellen Nanostruktur der Borsten, die das Anhaften der Fäden am Spinnenkörper verhindert. "Wir konnten beispielsweise zeigen, dass sich die Tiere in ihren eigenen Fäden zu verheddern beginnen, wenn man die Borsten von den Spinnenbeinen rasiert", sagt Heitz.

In ersten Versuchen gelang es bereits auch, eine künstliche Oberfläche so zu bearbeiten, dass sie sich ähnlich wie die Spinnenborsten verhält. "Es ist eine rau erscheinende, von Ausbuchtungen geprägte Oberfläche. Die Fasern haften hier nur ganz an den Spitzen", beschreibt Baumgartner. "Die physikalische Bedingung ist, dass das Verbiegen der Fasern mehr Energie benötigen muss als durch die Van-der-Waals-Kräfte lukriert werden kann." Ähnliche Prinzipien sind in der Natur öfter zu finden, etwa die Oberflächen von fleischfressenden Pflanzen, die Insekten in ihre Fangorgane abrutschen lassen.

Nano-3D-Druck

Für die Herstellung der Materialien mit ihrer spezifischen Rauigkeit kommen für die Wissenschafter zwei Verfahren infrage: "Einerseits kann man mit einem Laser Oberflächen beschießen und Material abtragen – ähnlich wie das etwa bei operativen Hornhautkorrekturen am Auge gemacht wird. Andererseits könnte man auch ein Nano-3D-Druckverfahren auf Laserbasis nutzen, wobei man hier noch kleinere Strukturen noch gezielter aufbauen könnte", skizziert Heitz.

Die Anwendungen, die sich mittels der Nanostruktur umsetzen oder verbessern lassen, sind vielfältig. Die Textilverarbeitung könnte auf Nanofasern ausgeweitet werden, indem die Maschinen mit ihren Spulen, Düsen oder Teilern entsprechend präpariert werden. Beispielsweise könnten wasserabweisende Funktionstextilien auf neue Art hergestellt werden, genauso Filtersysteme für die Industrie oder – beispielsweise bei Atemschutzmasken – für den Gesundheitsbereich. Auch Brennstoffzellen oder die chemischen Stromspeicher der Elektroautos nutzen Membrane, die zum potenziellen Einsatzbereich der Technologie gehören.

Weiter in der Zukunft liegt die Vision von medizinischen Implantaten und sogenanntem Tissue-Engineering aus Nanofasern. Baumgartner: "Die extrazelluläre Matrix, in der die Körperzellen eingebettet sind und die den Löwenanteil des Volumens ausmacht, besteht aus Kollagenfasern. Für künstliche Organe – etwa Blutgefäße – könnte eine derartige Struktur aus Nanofasern geformt werden, um sie dann mit Zellen zu besiedeln." (Alois Pumhösel, 12.9.2020)