Der 1970 in Berlin geborene Schauspieler Mišel Matičević war zuletzt im Drama "Exil" zu sehen.

Foto: ARD Degeto/BR/MDR/WDR/Zeitsprung Pictures GmbH, Heji Shin

Mišel Matičević hat so ein Gesicht, das man nicht vergisst. Kantig, rau, und oft m it einer Spur Trotz im Blick. Der 50-jährige Schauspieler aus Berlin hat in preisgekrönten Serien ("Berlin Babylon") und unzähligen Filmen mitgewirkt, zuerst in prägnanten Nebenrollen, inzwischen als Leading Man. Für die demnächst startende Eventserie "Oktoberfest 1900" spielt er neben Martina Gedeck die Hauptrolle, einen skrupellosen Brauer, der das Volksfest umkrempeln will. Keine sympathische Figur, eher eine, von der man glaubt, dass sie zum Lachen in den Keller hinuntergehe. Privat ist Matičević ganz anders. Er scherzt viel während des Gesprächs, das per Videoanruf stattfindet, weil der Berliner gerade in Budapest dreht.

STANDARD: Herr Matičević, als Sie 2008 den Deutschen Fernsehpreis als bester Schauspieler bekommen haben, schauten Sie zuerst auf den Sockel und sagten: "Ihr habt den Namen richtig geschrieben, super." Passiert oft das Gegenteil?

Matičević: Ständig. Die Häkchen fehlen oder werden falsch gesetzt. Könnte man langsam darüber nachdenken, was ein Zeichen mit einem Buchstaben macht. Sind im Deutschen zwei Pünktchen über dem U, ändert sich doch die Aussprache. Hey, solche Phänomene gibt es in anderen Sprachen auch! Im Kroatischen wird aus dem scharfen "S" ein Sch-Laut, wenn darüber ein Haken steht. Das komplett zu ignorieren nervt.

STANDARD: In modernen Cafés muss man bei der Bestellung seinen Vornamen angeben. Haben Sie sich ein Starbucks-Pseudonym zugelegt, um sich nerviges Buchstabieren zu ersparen?

Matičević: Janet Jackson. Erstens finde ich sie sexy, zweitens hat der Name einen geilen Sound, und drittens, weil es absurd ist, sich an der Kasse zu entblößen.

STANDARD: Issur Danielowitsch Demsky benannte sich in Kirk Douglas um, Bernard Schwartz wurde zu Tony Curtis. Hat Ihnen einmal jemand nahegelegt, sich Werner Kronberger oder Markus Mark zu nennen?

Matičević: Es gab eine Agentin, die mich am Anfang meiner Karriere gefragt hat, ob ich meinen Namen behalten möchte. Ich war schwer gekränkt. Für kein Geld der Welt kam das infrage.

STANDARD: Hätten Sie eine andere Karriere mit einem deutsch klingenden Namen?

Matičević: Nein, will ich nicht glauben. Es muss doch das, was man kann, ausschlaggebend sein – und nicht, wie man heißt. Das ist bestimmt mein Trotz.

STANDARD: Sie sind ein bisschen ein Sturkopf.

Matičević: Ich sage einfach meine Meinung, reiß schon mal mein Maul auf. In der Kindheit fing das an. Ich bin als Gastarbeiterkind in Berlin großgeworden, erst Gropiusstadt, dann Spandau, beides keine Bonzengegenden. Das Anderssein hat man mich spüren lassen in der Schule. Bei den Lehrern gab es so drei, vier Kandidaten.

Ein Lehrer hat mir eine Ohrfeige gegeben, da verstehe ich bis heute nicht, warum. Okay, ich war kein Engel, sondern der Klassenclown, saß immer in der letzten Reihe, um die Übersicht zu behalten und von dort Blödsinn zu machen. Aber diese Reaktion war unnötig.

STANDARD: Sie hatten damals den Eindruck, nicht überall willkommen zu sein.

Matičević: Ich trage eine Zerrissenheit in mir, was meine Herkunft angeht. Als Kind hatte ich in Berlin das Gefühl, nur Gast zu sein. Wenn ich runter nach Jugoslawien gefahren bin, guckten mich die Jungs an: Der weiß gar nicht, was für ein Scheiß hier abgeht. Aber heute denke ich: Ach, komm, vergiss das Thema. Ich habe damit meinen Frieden geschlossen.

STANDARD: Beim Fußball wissen Sie genau, wie Ihr Herz schlägt: kroatisch.

Matičević: Absolut. Wir sind vor zwei Jahren Vize-Weltmeister geworden, hallo? Die blöden Franzosen haben solch feigen Fußball gespielt. Bundesliga schaue ich auch – allein, um zu wetten. Ich muss ja Geld verdienen nebenbei – und natürlich das Klischee bestätigen, dass jeder vom Balkan in Wettbüros abhängt.

STANDARD: Jetzt lachen Sie. Die Herkunft ist Ihnen nicht wichtig?

Matičević: Ich sage stolz: Ich bin ein Gastarbeiterkind. Wir sind das alle, die Türken, Griechen, Serben, Bosnier, mit denen ich in den 80er-Jahren großgeworden bin. Ich habe das nie als Makel empfunden. Sich darauf zu berufen kann larmoyant rüberkommen: Ach, es war so schwer. Nein, war es nicht. Es war eine dumme Situation, man sollte ein Kind nicht spüren lassen, schlechter zu sein als ein anderes. Wie wird es dann? Kriminell oder tieftraurig zum Beispiel – oder ein trotziger Rotzlöffel wie ich.

STANDARD: 1992 wären Ihnen das fast zum Verhängnis geworden. Sie beharrten darauf, für die kroatische Armee im Kroatienkrieg zu kämpfen.

Matičević: Wir sind Ostern hingefahren, weil meine Mutter ihre Familie sehen wollte, obwohl alle davon abgeraten haben. Ich weiß noch, dass wir die letzte Strecke von Zagreb nach Slavonski Brod an der bosnischen Grenze mit dem Zug gefahren sind. Als wir in die Stadt hineinfuhren, habe ich am Horizont Blitze gesehen. Ich dachte zuerst an Gewitter. Das waren Einschläge, Schüsse, Mörsergranaten. Es war richtig gefährlich, ich dachte, ich muss dagegen was tun.

STANDARD: Obwohl Ihre Mutter Ihnen schon mit 16 Jahren einen deutschen Pass besorgt hat, damit Sie nicht zum Wehrdienst eingezogen werden konnten.

Matičević: Meine Großmutter ist ausgeflippt, als sie von meinem Plan gehört hat. Sie hat den Zweiten Weltkrieg miterlebt, ihre Mutter damals verloren und hat mir den Kopf gewaschen. Es war eine üble Zeit, dieser Monat vor Ort. Ich habe solchen Schiss gehabt. Hätte ich mich damals gemeldet, wäre ich vor Angst gestorben und würde heute hier nicht stehen. Jeden Tag haben wir die Maschinengewehre gehört, es gab Luftangriffe mit der MIG-29. Ich habe täglich Alkohol getrunken, um die Nerven zu beruhigen. Als wir zurück in Deutschland waren, habe ich jede Nacht Albträume bekommen, wochenlang. Deshalb mag ich die 90er-Jahre nicht besonders. Die Erinnerung daran macht mich oft traurig und wütend. Viel Leid für so viele Menschen.

STANDARD: Das ist zum Glück mehr als 20 Jahre her. Sind Sie heute noch viel unten?

Matičević: Jedes Jahr besuche ich das Grab meiner Großmutter. Meinen 50. Geburtstag wollte ich eigentlich in Kroatien feiern, aber da hat mir Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ich habe den Tag komplett in Maßen nachgefeiert, nur Wasser und Cola getrunken. Einer meiner Jungs hat ein Boot, wir sind über den Wannsee geschippert, nach Potsdam rüber, haben uns wie Siebenjährige benommen – beautiful! Da braucht es keinen Alkohol.

STANDARD: Sie haben genug Bier fürs Leben getrunken.

Matičević: Für zwei Leben – auch genug Partys gefeiert. Das letzte Mal war ich richtig hacke, als wir 2017 die Premiere von Babylon Berlin gefeiert haben.

STANDARD: In der beliebten Serie spielen Sie den Armenier, einen Untergrundboss mit Pelzkragen.

Matičević: Da habe ich es krachen lassen. Am nächsten Tag habe ich mich gefreut: Ja, du kannst es noch! Und dann hatte ich drei Tage lang Probleme, von der Couch bis zum Klo zu kommen.

Am 15., 16. und 23. September zeigt die ARD "Oktoberfest 1900" mit Mišel Matičević als Großbrauer Curt Prank.
Foto: ARD Degeto/BR/MDR/WDR/Zeitsprung Pictures GmbH, Heji Shin

STANDARD: Nun haben Sie beruflich mit Bier zu tun, spielen einen Brauer in der historischen Serie "Oktoberfest 1900". Waren Sie jemals auf den Wiesn?

Matičević: Noch nie. Obwohl ich ein enthusiastischer Feiermensch gewesen bin.

STANDARD: Ist das der Berliner Dickkopf: München, was soll ich da?

Matičević: Nein, gar nicht. Das Oktoberfest hat mich nie interessiert, auch der Karneval im Rheinland nicht. Ist nicht meine Art zu feiern. Spontanpartys sind doch immer noch die besten.

STANDARD: Die Theaterkantinen sind für lange Partys berühmt, manche Filmstars wie Robert Mitchum wurden besoffen vom Set weggetragen. Hat man in Ihrem Job eine höhere Wahrscheinlichkeit, Alkoholiker zu werden?

Matičević: Ich glaube, die wirklich großen Schauspieler haben das nie so gehandhabt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Robert De Niro betrunken am Set war. Für Leistungen wie in "Wie ein wilder Stier" brauchst du einen klaren Kopf und hundertprozentige Energie. Ich höre immer wieder, dass ein Kollege unter Drogen wirklich gut ist, aber ich denke mir: Wo ist da die Kunst, im Rausch toll zu sein, wenn du gar nicht weißt, was du tust? Mach doch mal, wenn du nüchtern bist.

STANDARD: Hat jedes Filmset seinen Drogendealer?

Matičević: I don’t know. Ernsthaft. Habe ich mich schon gefragt, weil man oft darüber redet. Ich habe das noch nie erlebt. Wahrscheinlich bin ich an den soften Drehs beteiligt.

STANDARD: Dafür waren die Filme härter. Lange gaben die Medien Ihnen den Rollenstempel "Gangster, Ficker, Macho".

Matičević: Wie langweilig, wenn ich tatsächlich in dieser Schublade gesteckt hätte. Guckt mal besser hin! Für Dominik Graf ...

STANDARD: ... mit diesem Regisseur haben Sie siebenmal gedreht.

Matičević: ... habe ich so unterschiedliche Rollen gespielt, vom Zuhälter bis zum romantischen Dichter. Da kann man nicht davon reden, dass ich nur die harten Jungs spiele. Dieses Image ist ein in Deutschland gern genommenes Hilfsmittel, Teil der Einordnung. Alles muss irgendwo reinpassen. Das kenne ich aus keinem anderen Land der Welt. Ich will jedes Mal was Neues kreieren, für meine aktuelle Rolle habe ich beispielsweise 15 Kilo zugenommen. Hoch mit dem Gewicht, den Körper umformen, das Wesen eines Charakters suchen.

STANDARD: Wie nehmen Sie zu?

Matičević: Ich esse Nutella, Pizza, Ben & Jerry’s. Mache keinen Sport. Ich kann gut faul sein. Mich auf die Couch schleppen, Netflix gucken, die Mediatheken durchstöbern. Es ist ja leider nicht so, dass ich ansonsten 365 Tage im Jahr beschäftigt bin. Vor zwei Jahren habe ich nur einen einzigen Film gedreht.

STANDARD: Gerade sind Sie wieder am Set. Deshalb dürfen wir einander nicht persönlich treffen. Wie sieht ein Dreh nach dem Lockdown aus?

Matičević: Wir sind in mehrere Gruppen eingeteilt, die sich immer abwechseln: eine grüne, eine gelbe, eine rote. Das gesamte Team läuft den ganzen Tag mit Masken herum. Nur wir Schauspieler sind davon befreit, weil das Auf- und Abnehmen für die Maskenbildner eine Katastrophe wäre. Wir achten penibel auf den Mindestabstand.

Es findet weniger körperliche Nähe statt. Ich habe keine Sexszene, muss niemanden verprügeln. Alle drei Tage werde ich getestet, der Rest des Teams zweimal die Woche. Ich hoffe nicht, dass die Zukunft so aussehen wird. Ich kann mich nicht komplett frei bewegen am Set, mich beschneidet das. Es ist unfassbar anstrengend, auf diese gebremste Art kreativ zu sein. (Ulf Lippitz, RONDO, 12.9.2020)