Ambulanzen sind überfüllt, Primärversorgungszentren könnten eine Alternative bieten.

Christian Fischer

Mit der Gesundheitsreform von 2017 wurde unter anderem die gesetzliche Grundlage für die Einführung von Primärversorgungszentren (PVZ) geschaffen. Das sind medizinische Einheiten, in denen mehrere Ärzte verschiedener Fachrichtungen sowie weiteres medizinisches Personal an einem Standort Gesundheitsleistungen anbieten. PVZs sollen eine umfassende Patientenbetreuung im niedergelassenen Bereich sicherstellen und so zugleich die Ambulanzen der Krankenhäuser entlasten. Ursprüngliches Ziel war es, bis Ende dieses Jahres 75 Zentren zu etablieren. Aktuell sind es allerdings erst etwa ein Dutzend.

Mögliche Gründe für den schleppenden Fortschritt haben Forscher des Institute for Business Ethics and Sustainable Strategy (IBES) der FH Wien der WKW und der BI Norwegian Business School in Oslo untersucht. Das Ergebnis ihrer Analyse erschien unlängst als Artikel im Fachjournal "Innovationen und Innovationsmanagement im Gesundheitswesen".

Managementstrategien im Gesundheitssystem

Die Forscher haben ein Modell aus dem strategischen Management auf das österreichische Gesundheitssystem übertragen. Es handelt sich dabei um das Modell der "dynamischen Kompetenzen", das vom Ökonomen David Teece entwickelt wurde. Es bietet eine Erklärung dafür, wie es Unternehmen trotz veränderter Umweltbedingungen gelingt, innovativ und dabei wirtschaftlich erfolgreich bleiben zu können.

Laut Teece sind dafür spezifische Kompetenzen nötig, die er in drei Phasen unterteilt: Kompetenzen bei der Suche nach Wissen und Information, Kompetenzen im Ergreifen von erkannten Chancen und Kompetenzen in der Umsetzung. "Wir haben versucht, diese Theorie anhand der Primärversorgungszentren auf das österreichische Gesundheitssystem zu übertragen", erklärt Anne Maria Busch, Erstautorin des Fachartikels und Stiftungsprofessorin für Mikroökonomie und Wettbewerbsfähigkeit am IBES. "Es gibt Parallelen zwischen Unternehmen und Gesundheitssystemen."

Internationaler Austausch

Zentraler Akteur bei der Einführung von PVZs ist der Hauptverband der Sozialversicherungsträger. Über Kompetenzen verfügt er durch die Einrichtung von Beiräten, welche die Interessen der Versicherten wahrnehmen. Außerdem gibt es Ombudsstellen, an die sich Patienten im Konfliktfall wenden können. Auf internationaler Ebene findet ein Austausch zwischen den Sozialversicherungen verschiedener Länder statt.

Chancen wahrnehmen könnte man mittels regelmäßiger Treffen mit den beteiligten Interessengruppen. Vorteilhaft ist auch die Durchführung von Pilotprojekten, um Innovationen in einem überschaubaren Rahmen zu erproben. Dieser Weg wurde auch für die Einführung von PVZs in Österreich gewählt. Pilotprojekte sollten natürlich laufend indikatorenevaluiert werden. Die Umsetzung funktioniert mit der Einbindung aller Stakeholder und dem Ausgleich ihrer individuellen Interessen.

Unterschiede zwischen Mariahilf und Donaustadt

Das dreistufige Modell erlaubt es, retrospektiv zu erkennen, was bisher richtig gemacht wurde. Es zeigt aber auch, welche Herausforderungen hemmend wirken. So zeigte eine Evaluierung des PVZ im Wiener Gemeindebezirk Mariahilf eine sehr hohe Zufriedenheit bei den Patienten. Umgekehrt hatte das PVZ in Wien-Donaustadt von Anfang an mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Zu wenige Patienten sind schlecht für das Geschäft der Ärzte. Zu viel Andrang verursacht andererseits lange Wartezeiten und lässt Patienten wiederum in die Spitalsambulanzen ausweichen.

Auch die Einheit aus individuellen Medizinern lässt sich nicht so einfach organisieren. "Wir erkennen aus unserer Forschung, dass das Zusammenwachsen verschiedener Leistungserbringer sehr schwierig ist", sagt Busch. "Ein Zentrum, das aus einer bestehenden Gruppenpraxis entstanden ist, hat es leichter als eines, das völlig neu gegründet wird."

Grundsätzlich legen Patienten Wert auf eine kurze Anreise, auf großzügige Öffnungszeiten und auf kontinuierliche Betreuung. Nicht unterschätzt werden sollte auch der psychologische Faktor Vertrauen: "Gesundheit ist ein Vertrauensgut", meint Busch. "Patienten müssen in die Institution an sich Vertrauen haben, aber auch zu den einzelnen Ärzten." (Raimund Lang, 22.9.2020)