„Wenn man in jungen Jahren seine Partnerin oder seinen Partner verliert, fällt man komplett aus dem Leben. Das clasht einfach total. Während andere heiraten oder Kinder bekommen, fühlt man sich wie ein Alien. In dieser schwierigen Situation bieten wir ein Stück Normalität“, erklärt Franziska Haydn die Idee hinter dem Young Widow_ers Dinner Club.

Ein Alien unter anderen Aliens

Seit 2017 trifft sich der YWDC zweimal pro Monat in unterschiedlichen Wiener Lokalen, kennengelernt hatten sich die Clubgründerinnen in einer Trauergruppe der Caritas. „Wir sind im Anschluss an die Treffen essen gegangen und dabei draufgekommen, dass man in einer lockeren Umgebung über ganz alltägliche Sorgen und Dinge reden kann, die nicht in ein eher therapeutisches Setting einer Trauergruppe passen. Während einer solchen abendlichen Runde ist mir der Name Young Widow_ers Dinner Club eingefallen und ab dem Zeitpunkt bekamen unsere Treffen einen Namen und Projektcharakter“, blickt Haydn zurück. Der Fokus auf junge Witwen und Witwer erfolgte ganz bewusst, denn „die Erfahrungen und Lebensthemen von Menschen zwischen 20 und 50 sind einfach andere, als wenn man mit 70 seinen Partner verliert“, erklärt Franziska. „In altersoffenen Trauergruppen sind junge Menschen meist wieder die Aliens. Bei uns kann man ein Alien unter anderen Aliens sein, das wird von vielen als angenehme Normalität wahrgenommen.“

Zweimal im Monat treffen sich die Mitglieder des Young Widow_ers Dinner Clubs zum Abendessen.
Foto: YWDC

In die Gesellschaft wagen

Die abendlichen Treffen bieten Raum und Zeit zum Dasein, Reden und natürlich zum Essen. „Es ist für viele Trauernde das erste Mal, dass sie wieder in Lokale gehen und sich in Gesellschaft wagen. So sind sie zwar draußen, zeitgleich befinden sie sich aber in der geschützten Gruppe.“ Während es in der Trauergruppe um die eigene Verarbeitung geht, steht im YWDC die Gemeinschaft im Mittelpunkt. „Die Leute kommen zu sehr unterschiedlichen Zeitpunkten zu uns. Eine Frau hatte sich am Tag des Todes ihres Partners bei uns gemeldet, andere brauchen viel mehr Zeit“, erzählt Haydn. Je nachdem, wie lange der Verlust zurückliegt, variieren die Themen, die für einen selbst wichtig sind. Haydn, deren Freund vor fünf Jahren verstorben ist, geht natürlich auf eine andere Art und Weise mit diesem Verlust um, als jemand, bei dem diese Erfahrung ganz frisch ist. „Die neuen Mitglieder sagen immer, dass es für sie so wichtig ist zu sehen, wie es jemandem wie mir geht. Und zu sehen, dass es irgendwann besser wird.“

Neben den regelmäßigen Dinnerabenden wird auch gemeinsam gepicknickt oder Geburtstag gefeiert.
Foto: YWDC

Haydns Engagement im YWDC, der derzeit am Publikumsvoting von "Orte des Respekts" teilnimmt, hat sich im Lauf der Zeit verändert. Stand zu Beginn (mit weiteren sieben Gründerinnen) der Aufbau der Wiener Gruppe im Mittelpunkt, kümmert sie sich heute neben der Gesamtleitung hauptsächlich um Strategieentwicklung und Öffentlichkeitsarbeit. Zusätzlich begleitet sie die mittlerweile sieben weiteren YWDC-Gruppen in Deutschland und der Schweiz. Unterstützung für die Entwicklung einer professionellen Struktur des YWDC holte sich Franziska im Lehrgang der Akademie der Zivilgesellschaft. Denn „für den Aufbau und die Weiterentwicklung eines ehrenamtlichen Projekts braucht es klare Entscheidungsprozesse und man muss sich eine alltagstaugliche Arbeitsstruktur überlegen. Der Lehrgang und die wertschätzende Zusammenarbeit mit den anderen Teilnehmenden haben mir dabei geholfen, genau diese Strukturen weiterzuentwickeln.“

Young Widow_ers Dinner Club

Auch wenn es mitunter schwer ist, sich ehrenamtlich in einem Bereich zu engagieren, der eng mit der eigenen Biografie verbunden ist, weiß Haydn ihr Engagement zu schätzen. „Wenn man sich mit seiner eigenen Geschichte auf einer solchen Bühne bewegt, muss man mitunter breite Schultern haben. Unsere Gesellschaft tendiert ja dazu, in allem das Positive sehen zu wollen.  Es darf quasi niemandem schlecht gehen. Für Trauer bleibt da oft kein Platz.“ Zwar pflege man in Österreich ein ambivalentes Naheverhältnis zum Thema Tod, das trifft jedoch nicht auf das Thema Trauer zu. „Da die Gesellschaft der Trauer keinen Raum gibt bleibt sie oft unsichtbar und fühlt sich für die Betroffenen wie ein Tabu an“, konstatiert Haydn. Hier Bewusstseinsarbeit zu leisten, auch das hat sich der YWDC auf die Fahnen geschrieben. „An diesem Umgang wollen wir rütteln. Für dieses Thema steige ich auch schon mal in den Boxring.“

"Da entsteht eine ganz besondere Energie"

Dass sich das Engagement, das Haydn und die anderen helfenden Hände in den YWDC stecken, auszahlt, spürt sie bei jedem Clubtreffen. „Mir tut es gut zu sehen, wie sich die Leute aufgehoben fühlen, das ist jedes Mal tolles Feedback für uns. Da entsteht zwischen Menschen, die sich im Leben wohl sonst nicht begegnet wären, eine ganz besondere Energie.“ (Philipp Schneider, 10.9.2020)

Franziska Haydn ist 37 Jahre alt und Soziologin. Sie engagiert sich pro Woche durchschnittlich 3-5 Stunden ehrenamtlich.

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