Weil Covid-19 immer besser behandelt werden kann, die Intensivstationen gut vorbereitet sind und im Jänner möglicherweise schon ein erster Impfstoff auf den Markt kommt, blicken Experten vorsichtig optimistisch auf die nächsten Monate.

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Frage: 520 Neuinfektionen wurden am Dienstag gemeldet, zuletzt waren es Ende März so viele. Wie unterscheidet sich die heutige Situation zu jener im Frühling?

Antwort: Damals gab es einen exponentiellen Anstieg. An einem Tag waren es also 300, am nächsten 600 und am übernächsten 1200 Infektionen. "Zwar gibt es auch jetzt einen Anstieg, aber er ist deutlich langsamer", sagt dazu Herwig Ostermann, Geschäftsführer der Gesundheit Österreich. Neben Tagen mit hohen Infektionszahlen gebe es immer auch welche mit Reduktionen, sagt er und nennt es "natürliche Wellenbewegungen". Zudem: Von den 520 am Dienstag gemeldeten Neuinfektionen sind rund 100 auf ältere Testergebnisse zurückzuführen, heißt es vom Wiener Krisenstab. Immer wieder kommt es zu diesen Nachmeldungen, wodurch die Zahlen nicht direkt auf bestimmte Tage bezogen werden können.

Frage: Die Infektionszahlen steigen, trotzdem gibt es verhältnismäßig nicht mehr Todesfälle und schwere Verläufe, die im Krankenhaus behandelt werden müssen. Warum?

Antwort: Ende März lag der Anteil der Spitalspatienten bei zwölf Prozent und ist bis Anfang Mai auf über 25 Prozent gestiegen. Seit Mitte August stagniert die Zahl bei einem Tiefstand von unter fünf Prozent.

Dazu, warum das so ist, gibt es mehrere Hypothesen. Möglicherweise vermehren sich jene Stämme des Virus besser, die zwar infektiöser sind, allerdings weniger tödlich, sagt Ostermann. Eine weitere Erklärung ist die Altersverteilung bei den derzeit Infizierten. Aktuell stecken sich mehr junge Menschen an, in dieser Altersgruppe gibt es "beim Risikobewusstsein Luft nach oben", sagt Ostermann. Die Erkrankten sind jetzt im Schnitt 20 Jahre jünger als in der ersten Phase. "Und sie werden auch immer jünger – dieser Trend ist noch nicht zu Ende", sagt der Infektiologe Herwig Kollaritsch. Junge Menschen erkranken weniger schwer und sterben seltener an Covid-19. Die Todeszahlen im Frühjahr waren stark auf Menschen in Alten- und Pflegeheimen zurückzuführen, diese werden nun besser geschützt.

Der Intensivmediziner Rudolf Likar vermutet, dass ein weiterer möglicher Grund der ist, dass im Sommer die "Immunlage der Menschen besser ist", wie er es beschreibt. Sie machen mehr Bewegung, und der Körper bekommt mehr Vitamin D. Dass Gesunde auch betroffen seien, wie man immer wieder hört, stimme nicht. Vom Virus werden Menschen mit geschwächtem Immunsystem angesteckt. "Auch wenn man sich im Moment gesund fühlt, oft weiß man selbst nicht, dass das Immunsystem angeschlagen ist", sagt Likar.

Frage: Kann Covid-19 mittlerweile besser behandelt werden?

Antwort: Ja, auch deshalb sinkt das Sterberisiko. Covid-19 beginnt als Erkältungserkrankung, in seiner schweren Verlaufsform entwickelt es sich jedoch zu einer generalisierten Entzündungserkrankung, einer Überreaktion des Immunsystems. "Unsere Therapieoptionen für die besonders schweren Fälle sind deutlich besser geworden", sagt Kollaritsch und führt als Beispiele die intensivmedizinische Betreuung an, neue Beatmungstechniken, die Gabe von entzündungshemmenden Medikamenten wie dem Cortison-Präparat Dexamethason oder das antivirale Medikament Remdesivir. Beide haben sich auch in Studien als wirksam erwiesen.

Frage: Gibt es Mutationen? Ist das Virus gefährlicher geworden?

Antwort: "Das Virus ist schlimmstenfalls leichter übertragbar geworden, aber es hat sich in seiner krankmachenden Eigenschaft eigentlich nicht verändert", betont Kollaritsch. Die Frage ist also nicht, ob es Mutationen gibt, sondern ob sie relevant sind. Derzeit sieht es nicht danach aus, so der Experte.

Frage: Gibt es nur deshalb mehr Fälle, weil jetzt so viel getestet wird?

Antwort: "Dieser Zusammenhang existiert, diese Aussage ist aber verkürzt", sagt Ostermann. Es komme darauf an, wer getestet wird. Gibt es einen begründeten Verdacht, dass ein Mensch positiv ist, weil er Symptome zeigt oder Kontakt zu Infizierten hatte? Oder werden zufällig Menschen ausgewählt? Je nachdem gibt es eine sogenannte Vortestwahrscheinlichkeit – diese muss berücksichtigt werden. "Natürlich werden durch das viele Testen auch mehr asymptomatische Menschen gefunden, aber das ist dennoch gut, denn auch diese Menschen haben sich irgendwo angesteckt und können vielleicht auch andere anstecken", sagt Ostermann.

Auch das Robert-Koch-Institut (RKI) erklärt: Eine Erhöhung der Zahl durchgeführter Tests kann zu einem Anstieg der Fallzahlen führen, da zuvor unentdeckte Infizierte erkannt werden. Das heißt aber nicht, dass umgekehrt die beobachteten steigenden Fallzahlen nur mit dem vermehrten Testaufkommen zu erklären wären. Eine Auswertung des RKI aus Deutschland zeigt zudem, dass die Zahl der Neuinfektionen deutlich stärker steigt, als man es allein aufgrund der mehr durchgeführten Tests erwarten würde.

Frage: Wann gibt es eine Impfung, und welcher Kandidat ist am vielversprechendsten?

Antwort: Derzeit befinden sich global fünf Impfstoffe (AstraZeneca, Sinopharm, Sinovac Biotech, Moderna, Pfizer/Biontech) in der letzten klinischen Testphase III, bei der die Wirksamkeit und Sicherheit an tausenden Menschen erprobt wird. Nur unter der Voraussetzung, dass die Ergebnisse positiv sind, wird eine Impfung von den Behörden zugelassen werden. Doch ohne diese Zulassung abzuwarten, produzieren Firmen ihre Impfstoffe bereits, sozusagen auf Risiko, um bei einem "Go" die Impfdosen in großen Mengen überhaupt bereitstellen zu können. Im besten Fall könnte das Anfang 2021 der Fall sein. Der weltweite Bedarf kann aber nur durch eine Vielzahl von Anbietern gedeckt werden.

Die Europäische Kommission verhandelt für alle 27 EU-Länder Vorverträge mit Impfstoffherstellern, um Liefermengen zu reservieren. Sollte der Impfstoff von AstraZeneca eine Zulassung erhalten, stehen Österreich rund sechs Millionen Dosen zu. Mit weiteren Herstellern wird verhandelt. Ein Medienbericht, wonach der Impfstoff für alle Österreicher gratis sein soll, wurde vom Gesundheitsministerium am Dienstag relativiert: Die Details zur Impfung – um welchen Impfstoff es sich handeln wird, wie er verteilt werden wird und was er kosten wird – stünden noch nicht fest, hieß es.

Frage: Welche Rolle spielen Kinder?

Antwort: "Kinder sind nicht wirklich relevant bei der epidemiologischen Verbreitung der Infektion", sagt Kollaritsch. Jugendliche verhalten sich in ihrer Freizeit hingegen ganz ähnlich wie Erwachsene, so der Experte. Sie spielen schon eine größere Rolle im Übertragungsgeschehen: "Wir müssen ihnen jetzt unbedingt beibringen, Verantwortung gegenüber ihren Eltern und ihren Großeltern zu übernehmen."

Frage: Sind die Intensivstationen auf den Herbst vorbereitet?

Antwort: "Durch die nicht ganz freiwillige Übung im Frühling ist unser System gut vorbereitet", sagt Ostermann. Im niedergelassenen Bereich und in Krankenhäusern haben sich viele wirksame Routinen und eine Logistik etabliert, die Besucher und Patienten dokumentiert und erfasst. Geplante Eingriffe werden nur durchgeführt, wenn Patienten negativ getestet wurden. Auch der Mediziner Likar bestätigt, dass die Intensivstationen gut gewappnet sind.

Frage: Wie kritisch wird es im Herbst und Winter?

Antwort: "Ich glaube, dass die Aufgabe bewältigbar ist. Für mich spricht derzeit nichts dagegen, dass wir gut durch den Herbst und Winter kommen. Natürlich heißt das aber nicht, dass wir uns auf die Couch legen und ausruhen können, wir müssen weiterhin unsere Hausübungen machen", sagt Ostermann. Und meint damit: Fälle nachvollziehen, Kontaktpersonen aufspüren und sich weiter an Abstandsregeln und Hygienemaßnahmen halten.

Allerdings kommt hinzu, so der Kärntner Intensivmediziner Rudolf Likar, dass aktuell auch die Influenza-Saison unmittelbar bevorsteht. Er hofft, dass mehr Menschen als in den letzten Jahren sich heuer gegen die Grippe impfen lassen werden – "wenigstens das können wir in der aktuellen Situation tun", sagt er. Studien aus Australien, wo jetzt gerade Winter und damit Influenza-Saison ist, zeigen allerdings, dass es heuer weit weniger Grippefälle und grippale Infekte gibt. Gründe dafür sind die verstärkte Hygiene und Social Distancing. Möglicherweise könnte es ähnliche Effekte im Winter auch in Europa geben.

Wichtig sei, so Likar, dass die Menschen weiter Abstand halten, wo das nicht möglich ist, Maske tragen und alle, die sich krank fühlen, zu Hause bleiben. (Julia Palmai, Karin Pollack, Bernadette Redl, 9.9.2020)