Alexander Lukaschenko weiß: Selbsterkenntnis ist bisweilen der Weg zur Erkenntnis.

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Er sei vielleicht "ein wenig zu lange im Amt", gab sich der Präsident von Belarus (Weißrussland), Alexander Lukaschenko, in einem Interview mit russischen Medien am Dienstag selbstkritisch. Er schloss selbst vorgezogene Neuwahlen nach einer Verfassungsänderung nicht aus. Doch mit dem nach der umstrittenen Präsidentenwahl gegründeten Koordinationsrat der Opposition wolle er nicht verhandeln, weil dessen Vorschläge Russland und Belarus entzweiten und sein Land in die Katastrophe führten, so Lukaschenko.

"Einfach so gehe ich nicht", betonte der 66-Jährige zugleich. Er habe schließlich ein Vierteljahrhundert das Land aufgebaut. Das werde er nicht einfach so wegwerfen. "Außerdem werden meine Anhänger, wenn ich gehe, abgeschlachtet", prognostizierte er.

Seit Wochen präsentiert das Staatsfernsehen die Demonstranten als aus dem Ausland gesteuerte Unruhestifter und Krawallmacher. Lukaschenko bezeichnete sie abfällig als "Drogenabhängige und Alkoholiker". Dabei verfolgt die Opposition das Konzept gewaltloser Proteste, während Videos Polizisten und Vermummte aufseiten der Sicherheitsorgane zeigen, die Demonstranten verprügeln und Schaufenster von Cafés einschlagen, in denen sie Oppositionelle vermuten.

Rätselraten um Kolesnikowa

Zuletzt kidnappten solche Vermummten drei Oppositionspolitiker, darunter auch Oppositionsführerin Maria Kolesnikowa. Nachdem sie stundenlang in der Gewalt ihrer Entführer gewesen waren und es keinen Kontakt zu ihnen gegeben hatte, wurden Anton Rodnenkow und Iwan Krawzow in der Nacht offenbar unter Gewaltandrohung in die Ukraine abgeschoben. Kolesnikowa hingegen ließ sich nicht einschüchtern, weigerte sich auszureisen und zerriss sogar ihren Ausweis. Daher wurde sie "beim Versuch, illegal die Grenze zu übertreten", festgenommen.

Auf die Episode angesprochen, rechtfertigte Lukaschenko die Festnahme und behauptete, Kolesnikowa habe zu ihrer Schwester in die Ukraine fliehen wollen. Ihr Vater Alexander dementierte das. Seine Tochter habe stets betont, dass sie in Belarus bleibe, egal was mit ihr geschehe. "Das war ihre prinzipielle Position", so Kolesnikow.

Die Opposition hat anonyme Hinweise bekommen, wonach Kolesnikowa in einer Kaserne einer Grenzeinheit in Mosyr gefangen gehalten wird. Zunächst konnten aber weder Verwandte noch Anwälte Kontakt zu der 38-Jährigen aufnehmen. Die Einheit selbst dementierte ihren Aufenthalt dort.

Behörden erhöhen den Druck

Am Dienstag gingen die Sicherheitsorgane gegen weitere Oppositionelle vor. So durchsuchten sie die Wohnung einer Redakteurin der Lukaschenko-kritischen Onlinezeitung Tut.by und nahmen ihre Tochter fest. Wurde zunächst nur ein Ordnungsverfahren gegen die junge Frau eingeleitet, weiteten die Behörden den Vorwurf im Laufe des Tages aus. Wegen "Beteiligung an Massenunruhen" droht ihr nun eine Haftstrafe. Nach einer dreiwöchigen Auszeit haben die Behörden ihr Vorgehen zuletzt mit Massenfestnahmen und der Eröffnung von Strafprozessen massiv verschärft. (André Ballin aus Moskau, 8.9.2020)