Kolesnikowa ist ausgebildete Querflötenspielerin und Dirigentin.

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Maria Kolesnikowa ist gefährlich. Die 38-jährige gebürtige Minskerin ist zwar weder besonders groß noch muskulös, sie übt weder eine Kampfsportart aus noch läuft sie mit einer Kalaschnikow bewaffnet durch die Stadt oder nennt gar eine Leibwache ihr Eigen, die auf Geheiß andere Menschen verprügelt, festnimmt oder verschwinden lässt. Aber sie hat keine Angst. Damit jagt sie ihrem Gegenüber Alexander Lukaschenko, dem belarussischen Machthaber, Furcht ein.

Lukaschenko kennt nur das Gesetz der Stärke. Ein Vierteljahrhundert hat er so regiert, und nun bei der Wahl wurde er von drei Frauen herausgefordert: Zwei, die Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja und Viktoria Zepkalo, Frau eines weiteren nicht zugelassenen Kandidaten, hat er außer Landes getrieben. Kolesnikowa blieb. Sie wurde zum Motor der Proteste, zum Sprachrohr der Opposition. "Wir haben nichts zu befürchten, weil wir das Gesetz nicht verletzen und uns ausschließlich in seinem Rahmen bewegen", sagte sie. Deswegen wurde sie am Montag von Unbekannten in Minsk auf offener Straße verschleppt und in der Nacht an der Grenze zur Ukraine ausgesetzt.

Auch sie sollte vertrieben werden. Doch das Szenario ist geplatzt, die offizielle Formulierung, sie sei auf der Flucht festgenommen worden, soll wohl verdecken, dass sie sich weigerte, das Land zu verlassen.

Musikalische Leidenschaft

Kolesnikowa war schon früh politisch interessiert. Doch zunächst überwog ihre Leidenschaft für die Musik. Sie wurde in Minsk zur Querflötenspielerin und Dirigentin ausgebildet, später studierte sie in Stuttgart Alte und Zeitgenössische Musik, wo sie fließend Deutsch lernte.Weil ihr die Unfreiheit in Belarus nicht gefiel, blieb sie jahrelang im Ausland, organisierte inter¬nationale Musikprojekte. 2019, nachdem ihre Mutter bei einer Herz-OP gestorben war, kehrte die bekennende Feministin zu ihrem Vater nach Minsk zurück.

Seither engagiert sie sich in der Politik, wurde erst zur Stabschefin des Präsidentschaftskandidaten Viktor Babariko, nach seiner Inhaftierung zur Vertrauten Tichanowskajas und nahm zuletzt infolge der Proteste nach der umstrittenen Wahl eine leitende Position im Koordinationsrat der Opposition ein. Die Frau mit den wasserstoffblonden Haaren ist damit binnen kürzester Zeit zur wichtigsten Herausforderin und zur größten Gefahr für den Machterhalt des schnauzbärtigen Amtsinhabers geworden. (André Ballin, 8.9.2020)