Nicht einmal ein Jahr nach Amtsantritt muss Ursula von der Leyen ihr Kommissarsteam umbauen. Anlass und Umstände werfen kein strahlendes Licht auf die Präsidentin der Kommission und ihre Führungsqualität.

Sie selber ist nach den Europawahlen 2019 nach vielen nationalen wie parteipolitischen Intrigen letztlich nur auf Druck des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron ins Amt gekommen. Nun stellt sich heraus: Sogar Interventionen aus einem kleinen Mitgliedsland reichen aus, um die Kommission zum Zittern und Nachgeben zu bringen.

Ursula von der Leyen kann Schwächen in Stärke umwandeln.
Foto: APAris Oikonomou

Genau das ist im Fall des erzwungenen "Rücktritts" des Handelskommissars Phil Hogan geschehen. Der Ire hatte bei einem Heimatbesuch – negativ getestet – ein paar kleinere Fehltritte bzw. Fehleinschätzungen im Umgang mit Corona-Regeln in Irland begangen und sofort eingestanden. Keine Kardinalfehler. Es kam niemand zu Schaden. Kein Drama.

Dennoch hat die irische Regierungsspitze auf Hogans Abgang bestanden. Anstatt ihn zu verteidigen oder ihre Kommissare damit zu befassen, gab von der Leyen sofort nach. Kein gutes Zeichen, wenn es darum gegangen wäre, der Welt zu zeigen, dass ein EU-Handelskommissar auch mal Gegenwind aushält – nach dem Brexit auch vor Leuten wie Boris Johnson oder gar US-Präsident Donald Trump bei Handelsabkommen nicht gleich einknickt.

Aber: Die Pragmatikerin von der Leyen kann Schwächen in Stärke umwandeln. Sie vergab das Schlüsseldossier Handel nicht an Hogans Nachfolgerin aus Irland. Mairead McGuinness darf sich mit Finanzdienstleistungen herumschlagen. Blöd gelaufen für die Regierung in Dublin. Ein Prestigeverlust.

Dafür streift von der Leyen Zusatzgewinn ein. Mann raus, Frau rein, ganz pragmatisch. Sie stärkt Parität und Gleichberechtigung. Man sollte die Präsidentin nicht unterschätzen. (Thomas Mayer, 8.9.2020)