Als vor 50 Jahren das "Profil" gegründet wurde, hatte der große Paradigmenwechsel gerade stattgefunden: Nach Jahrzehnten großer Koalitionen unter ÖVP-Kanzlern, nach vier Jahren ÖVP-Alleinregierung unter dem nationalkatholischen Kanzler Josef Klaus brach mit Bruno Kreiskys Minderheitsregierung das sozialdemokratische Zeitalter an. "Profil" hingegen konzentrierte sich in seiner ersten investigativen Stoßrichtung darauf, Skandale der SPÖ, besonders der Wiener SPÖ, aufzudecken.

Ich war damals als recht junger Journalist am Rande dabei (ich gehörte eigentlich zum "Trend", das Oscar Bronner sozusagen als ökonomische Basis für "Profil" gegründet hatte, aber in der Anfangszeit mussten alle alles machen). Der Geist, der da unter uns herrschte, wollte vor allem die ungeheuer muffige, autoritäre Atmosphäre auslüften, die im ganzen Land über Politik, Wirtschaft, Unis, Gesellschaft und Kultur lag. Der erstickende Filz war überall, nicht nur auf der "Rechten", sondern eben auch auf der "Linken", in den Gewerkschaften und auch im Machtapparat der Wiener SPÖ.

Das Alleinstellungsmerkmal von "Profil" war, dass es diese Befreiung quasi naiv betrieb, ohne rechtes Bewusstsein der üblichen Rücksichten in einem vernetzten Land. Und dass es das notwendige Können in sich vereinte.

Peter Michael Lingens.
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Bronner hat gefunden, dass das Österreich so ein Medium braucht, und hat es einfach gemacht. Und er hat ein paar Leute gefunden, die diese Mischung aus Naivität und Können besaßen. Einer davon war Peter Michael Lingens, später dann Chefredakteur und Herausgeber. Eines seiner frühen Glanzstücke war eine dreiteilige Serie, in der er die atemberaubende, auch juristisch interessante Gründungsgeschichte der "Kronen Zeitung" aufdeckte.

Zeitgeist

Ein paar Jahre später tat Lingens etwas, das zu seiner, aber auch zur Essenz des "Profil" gehörte: sich ganz stur gegen den Zeitgeist und dessen mächtige Vertreter zu stellen. Weil etwas falsch war. Lingens hatte von Simon Wiesenthal das niederschmetternde Material über die Mitgliedschaft des damaligen FPÖ-Chefs Friedrich Peter in einer SS-Mordeinheit erhalten und publiziert. Kreisky nahm Peter in Schutz und entfesselte eine unglaubliche Kampagne gegen Wiesenthal. Das demokratiepolitisch unerträglich zu finden war lange eine Minderheitenposition, die nur relativ wenige im Angesicht des "Sonnenkönigs" teilten.

Massiven Gegenwind hatten "Profil" (und Lingens) ursprünglich auch in Sachen Kurt Waldheim, dessen verschwiegene Vergangenheit der junge Hubertus Czernin aufgedeckt hatte. Unter Czernin als Chefredakteur kam der Missbrauchsskandal um den Kardinal Hans Hermann Groër ans Licht. Und unter dem danach folgenden Herausgeber Christian Rainer wurde mit der Front gegen die Schüssel-Haider-Koalition 2000 ("Schande Europas") die widerständige Tradition fortgeführt.

Wie fast alle nichtregierungsfrommen Medien leidet das "Profil" heute unter den ökonomisch dürren Zeiten. Dazu kommt, dass ihm im "Falter" eine ernstzunehmende Konkurrenz erwachsen ist. Der Anti-Establishment-Ehrgeiz der frühen Jahre wurde durch wissenden, etwas abgebrühten Professionalismus überlagert. Aber wenn es um kritischen Qualitätsjournalismus geht, ist "Profil" dabei wie vor 50 Jahren. (Hans Rauscher, 8.9.2020)