Kansas City – Selten hat es mehr Fragezeichen vor dem Saisonstart der National Football League (NFL) gegeben. Dabei steht nicht nur im Fokus, wie sich der mittlerweile 43-jährige Tom Brady nach zwei ruhmreichen Jahrzehnten bei den New England Patriots in seinem neuen Team Tampa Bay Buccaneers schlägt. Oder wie Quarterback-Superstar Patrick Mahomes mit dem Druck des höchstdotierten Vertrags der Sportgeschichte zurechtkommt.

Zwei Spieler der L.A. Rams gehen während der Nationalhymne vor einem teaminternen Testspiel auf die Knie.
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Sogar der Umgang mit der Corona-Pandemie rückt beim Saisonauftakt in der Nacht auf Freitag (ab 2.20 Uhr MESZ, live Puls 24) kurzzeitig in den Hintergrund. Wenn vor dem Heimspiel von Titelverteidiger Kansas City Chiefs gegen die Houston Texans die ersten Töne des "Star-Spangled Banner" ertönen, werden die USA gebannt auf die Reaktionen von Spielern während der Hymne blicken.

NFL will Zeichen setzen

Zuletzt hatte es wegen Polizeigewalt gegen Afroamerikaner flächendeckende Aktionen in anderen Sportarten gegeben – bis hin zu Streiks. Die NFL will ihre Profis bei Anti-Rassismus-Protesten unterstützen. Spieler dürfen auf ihren Helmen Aufkleber mit Namen von Opfern tragen, Schiedsrichter und Trainer werden Schriftzüge auf ihren Kappen präsentieren. In den Endzonen werden zudem die Schriftzüge "End Racism" und "It Takes All of Us" zu lesen sein. Spieler haben zudem das Recht, aus Protest auf Partien komplett zu verzichten.

"Werden wir die Welt verändern? Nein, absolut nicht", sagte Cornerback Jason McCourty von den New England Patriots. "Aber ich denke, dass wir gesegnet und in der Situation sind, dass wir einen Unterschied machen können. Dabei geht es nicht darum, die Super Bowl zu jagen. Es ist größer als das. Wenn du das realisierst, kannst du dafür kämpfen, was du als richtig empfindest."

Am 14. August 2016 protestierte Kaepernick in einem Trainingsspiel erstmals während der US-Hymne. Über die gesamte Folgesaison wollte er auf Rassismus und Polizeigewalt gegen Schwarze aufmerksam machen.
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Colin Kaepernick hatte recht

Diesen Kampf startete vor fast genau vier Jahren der damalige Quarterback Colin Kaepernick von den San Francisco 49ers, als er zunächst während der Hymne sitzen blieb und später kniete, um gegen Polizeibrutalität und Rassismus in den USA zu protestieren. "Ich wünschte, wir hätten früher zugehört", gestand NFL-Boss Roger Goodell zuletzt. Protestierende Spieler hatten sich immer wieder gegen den Vorwurf – unter anderem von US-Präsident Donald Trump – wehren müssen, dass sie unpatriotisch oder gegen das US-Militär seien.

Seit 2017 hat Kaepernick keinen Job mehr in der besten Football-Liga der Welt – und blieb auch vor dieser Saison ohne Anstellung. "Die Gesten der NFL gegen Rassismus sind bedeutungslos, solange Colin Kaepernick nicht unter Vertrag genommen wird", kommentierte die USA Today deshalb während der Saisonpause.

Corona lässt viele Stadien leer

Damit überhaupt wieder gespielt werden kann, will die NFL Spieler und Betreuer mit Ausnahme der Spieltage weiter täglich auf Covid-19 testen. Während der Trainingscamps kam es zu keinen größeren Corona-Vorfällen, bis kurz vor Saisonstart gab es lediglich gut ein Dutzend positiver Tests bei den Teams.

Vorbereitungsspiele wurden komplett gestrichen. Laurent Duvernay-Tardif verkündete Ende Juli als erster Spieler, auf die Saison wegen der Pandemie verzichten zu wollen. Mittlerweile folgten ihm 66 weitere Spieler. Die Spielergewerkschaft NFLPA hat mit der Liga von ihren Verträgen zurücktreten können, und dennoch finanziell kompensiert werden.

Zumindest im September werden nur in sechs der 32 Arenen Zuschauer auf den Tribünen erlaubt sein, beispielsweise bei den Chiefs zum Auftakt gegen die Texans. Sportlich sind Titelverteidiger Kansas City mit Mahomes, der im Juli einen Zehnjahresvertrag mit der Aussicht auf mehr als eine halbe Milliarde Dollar unterschrieb, und die Baltimore Ravens um Spielmacher Lamar Jackson die Favoriten auf den Super-Bowl-Triumph.

Brady zurückhaltend

Aber auch Brady wird nach seinem Wechsel nach 20 Jahren und sechs Titelgewinnen bei den Patriots zu den Buccaneers einiges zugetraut. Beim derzeit überstrahlenden Thema im US-Sport gehört der erfolgreichste Footballprofi der modernen Ära allerdings nicht zu den Lautsprechern. "Die Liga braucht jetzt deine Stimme", schrieb Jarvis Landry von den Cleveland Browns vor zwei Monaten via Twitter direkt an Brady. "Ich bitte dich als Kollegen, als Bruder, als einen der am meisten respektierten Spieler aller Zeiten ... Wir müssen dich hören."

Vor dem Saisonstart äußerte Brady sich nun zwar nicht konkret über Proteste gegen Rassismus, versprach aber, von seinen Teamkameraden zu lernen. "Ich denke, jeder trifft die Entscheidungen, bei denen er fühlt, dass sie das Beste für ihn sind, und jeder ist sehr sensibel für das, was gerade passiert", sagte der 43-Jährige. Er versuche, "zuzuhören und zu lernen". Mit einem wirkungsvollen Zeichen könnte Brady bei seinem ersten Spiel mit Tampa Bay am Sonntag (ab 22.25 Uhr, live Puls 4 und ProSieben Maxx) gegen die New Orleans Saints zeigen, dass er diese Botschaften auch verstanden hat. (APA, red, 9.9.2020)