Kritik an den Maßnahmen gegen das Coronavirus werde immer verpönter. Nichts dürfe mehr infrage gestellt werden. Kritiker würden gerade in Österreich sofort als Spinner abgetan. "Das Ganze ist wie eine neue Religion." In diesem Klima würden Menschen Verschwörungstheoretikern regelrecht in die Arme getrieben. Umso wichtiger sei, dass demonstriert wird.

Mit diesen eindringlichen Worten verteidigt die FPÖ-Politikerin Dagmar Belakowitsch im Videotalk "STANDARD mitreden" die Teilnehmer der Anti-Corona-Demonstrationen, die nun in mehr und mehr Städten für Aufsehen sorgen. Zuletzt hagelte es Kritik an der Protestbewegung: In Wien wurde auf der Bühne eine Regenbogenfahne zerrissen, und Homosexuelle wurden als "Kinderschänder" denunziert. In Berlin hatten Demonstranten versucht, den Reichstag zu stürmen. Müssen wir solche Proteste verbieten, oder sollten wir den echten Anliegen der Demonstranten zuhören?

Darüber diskutieren mit der FPÖ-Politikerin der Grünen-Abgeordnete Michel Reimon und die Autorin Ingrid Brodnig, die intensiv zur Verbreitung von Verschwörungstheorien geforscht hat.

Reimon kritisiert, dass die Protestbewegung gegen die Corona-Maßnahmen mehr und mehr von Antisemiten und Rechtsextremen übernommen werde. Er stellt zwar nicht in Abrede, dass auch Menschen mit echten Anliegen demonstrieren. Aber er mahnt: "Jeder Staatsbürger, der auf solche Demos geht, hat auch die Pflicht zu schauen, mit wem er da mitgeht und wer die Proteste veranstaltet." Belakowitsch wendet ein, dass viele Linke nicht damit umgehen könnten, dass die neue Corona-Protestbewegung nicht mehr links sei, sondern "bunt gemischt".

"Kinderschändersymbol – Blödsinn"

Gleich mehrmals geriet Belakowitsch im Gespräch mit Reimon aneinander, unter anderem als sie davon sprach, dass in Wien eine "Regenbogenfahne mit dem Kinderschändersymbol drauf" zerrissen worden sei. Völliger Blödsinn, so Reimons Replik.

Brodnig erzählte von ihren Gesprächen mit Demonstranten in Berlin, darüber, wie verbreitet Verschwörungstheorien über George Soros und Bill Gates auch unter unauffälligen Protestierenden seien. Zugleich riet sie der Politik: Dort, wo es noch geht, sollte sie den Menschen zuhören.

Sehen Sie im Video auch: Brodning erklärt, warum Verschwörungstheorien gerade jetzt blühen und warum das Argument mancher Rechter, der Staat untersage ihnen die Kritik, aus ihrer Sicht falsch ist. Wie bewerten es die Gäste, dass versucht wurde, Demos zu untersagen? Auch diese Antworten gibt es im Video.

Demos nur auf der Insel?

Und außerdem: Wie kann es Reimon mit seiner Kritik an den rechten Demonstranten vereinbaren, dass er auch schon bei linken Demos mitgegangen ist, wo der sogenannte Schwarze Block dabei war, der nicht selten gewaltbereit ist. Welche Pflicht haben die Bürger da? Und wie kann Belakowitsch für die Demonstrationsfreiheit argumentieren, während die FPÖ Wien Demonstranten gleich einmal auf die Donauinsel verbannen will? (red, 13.9.2020)