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Foto: AP/Ronald Zak

PRO: Bewohner, keine Besucher

von Vanessa Gaigg

Manchmal reichen nackte Zahlen, um ein Problem auf den Punkt zu bringen. Mit dem Zustand, dass ein knappes Drittel aller Wiener bei der Landtagswahl nicht wahlberechtigt ist, kann niemand zufrieden sein, der ernsthaft an demokratischen Spielregeln für alle Bewohner interessiert ist. Die, die hier ausgeschlossen werden, sind keine Gäste und auch keine Touristen. Sie sind Wiener, und sie leben zu einem großen Teil schon lange hier oder sind gar hier aufgewachsen.

Sie haben es verdient, bei Wahlen politisch mitzubestimmen. Und sie haben es verdient, dass sich wahlwerbende Parteien um ihre Sorgen und Nöte – als potenzielle Wähler – Gedanken machen müssen. Ein Aufenthalt von drei Jahren sollte hierfür reichen. So absurd es jetzt erscheinen mag, Ausländern das Wahlrecht zu geben, so absurd war es für viele noch vor hundert Jahren, Frauen dasselbe zuzugestehen. Wer wo wählen kann, ist keine Frage von Naturgesetzen.

Es ist enttäuschend, dass sich der Wiener Bürgermeister in dieser Frage offenbar von früheren Positionen der Sozialdemokratie abwendet. Zumindest die Wiener SPÖ ortete hier in der Vergangenheit ein grobes Demokratiedefizit. Denn fest steht eines: Wer das Wahlrecht an die Staatsbürgerschaft geknüpft sehen will, aber gleichzeitig nicht vehement für den Abbau von Hürden bei Einbürgerungen eintritt, erklärt sich mit dem Status quo einverstanden. (Vanessa Gaigg, 10.9.2020)

KONTRA: Erst der Pass, dann die Wahl

von Eric Frey

Es soll nicht überraschen, dass sich der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig im "ZiB 2"-Interview bei der Frage, ob er grundsätzlich für ein Wahlrecht für Ausländer eintritt, besonders stark gewunden hat. Für manche ist dies ein Herzensanliegen, aber im großen Stimmenpool, den die Wiener SPÖ für die Wahl braucht, löst ein solcher Vorschlag heftigen Widerstand aus. Allein aus pragmatischen Gründen hatte Ludwig keine Wahl, als sich am Ende für das Nein zu entscheiden.

Aber es gibt auch gute prinzipielle Gründe für diese Position. Das Kommunalwahlrecht für EU-Ausländer mag in kleineren Gemeinden sinnvoll sein, aber Wien ist auch das größte Bundesland – und die Gemeinderatswahl hochpolitisch. Der Zweck der lokalen Beteiligung für alle ansässigen EU-Bürger wird durch das Wahlrecht auf Bezirksebene erfüllt.

Die Wahl gesetzgebender Körperschaften aber sollte jenen Menschen vorbehalten sein, die dem Staat auch formal zugehörig sind, also die österreichische Staatsbürgerschaft haben. Dass 30 Prozent der heutigen Wiener bei der Wien-Wahl kein Stimmrecht haben, liegt vor allem daran, dass die Wartezeiten für eine Einbürgerung in den vergangenen Jahren immer weiter verlängert wurden. Das gehört korrigiert – durch schnellere Einbürgerungen und eine Option für Doppelstaatsbürgerschaften, nicht durch ein allgemeines Ausländerwahlrecht. (Eric Frey, 10.9.2020)