Ohne Maske geht im Wiener Little Italy gar nichts: STANDARD-Undercoveragent Christoph Winder beim Verzehr einer Gemüsesuppe im Nobelitaliener Sole in der Annagasse.

Foto: Robert Newald

"Pass auf, dass d' ned derschossn wirst", ruft mir Kollege Lützow gemütvoll nach. Der Mann aus dem Sportressort hat leicht Vorschläge erteilen. Er selbst sitzt friedlich in der STANDARD-Redaktion und recherchiert die letzten Entwicklungen auf dem Gebiet des Synchronschwimmens, während mir der schwere Gang aus der Vorderen Zollamtsstraße über den Wienfluss blüht. Brandheißer Anlass der Recherche: ein Enthüllungsjob im ersten Bezirk. Seit Tagen häufen sich alarmierende Andeutungen aus Regierungskreisen.

Es kommt nicht von ungefähr, wenn die Integrationsministerin kein Chinatown und kein Little Italy in Österreich sehen will. Besser spät als niemals ist sie draufgekommen, aber der Hut brennt. Als Wiener ist man es seit langem gewohnt, dass es in der ganzen Stadt ethnisch rund geht, sogar und vor allem im ersten Bezirk. Aber: Was heißt denn da "erster Bezirk"? Kenner der Verhältnisse in der Bundeshauptstadt nennen ihn seit ewig nicht mehr den Ersten, sondern, um wie vieles zutreffender, "Little Italy".

Offenes Geheimnis

Gerüchte gibt es seit Jahren, und dass der Innenstadt eine heimliche Übernahme durch mafiose italienische Kreise bevorsteht, pfeifen die Spatzen von den Dächern. Alle reden von durchgedrehten Tschetschenen und absonderlichen Afghanen, allein, der wahre Feind kommt aus Italien, einem Land, das sich im internationalen Darstellungswettbewerb als harmlose Urlaubsdestination mit lustig in der Adria planschenden Touristen darstellt. In Wahrheit hat es Italien faustdick hinter den Ohren.

Besonders schockierend: Der kriminelle Takeover findet allem Anschein nach über den Umweg der Gastronomie, und zwar im Einvernehmen mit österreichischen Entscheidungsträgern, statt. Es ist ein offenes Geheimnis, dass sich in Little Italy tagaus, tagein Spitzenanwälte, Schönheitschirurgen, Sektionschefs und ähnliches Gelichter tummeln, als wäre das das Natürlichste der Welt. Selbst Ministerinnen sollen in sogenannten Nobelitalienern gesehen worden sein.

Just ins Epizentrum dieser menschlichen Hölle entsendet mich die Chefredaktion. Sie weiß, dass nur die härtesten der Branche – Kriegsreporter und Kolumnisten – einem solchen Himmelfahrtsjob gewachsen sind. Sofern sie ihn überhaupt überleben. Nachdenklich überquere ich die Brücke über den Wienfluss und schaue auf meine Füße. Visionen von Betonpatschen, die daran hängen, lassen mich nicht los. Unten fließt der Wienfluss gleichmütig vorbei.

Der Schein trügt: Unter der unverfänglich wirkenden Kopfbedeckung (hier: Gondoliere-Strohhut mit Banderole in den Nationalfarben) hat es der Italiener faustdick hinter den Ohren.
Foto: imago images/YAY Images

Käse, analog

Man hätte es wissen können, ja wissen müssen. In jeder U-Bahn-Station der Wiener Innenstadt bekommt man es heute mit Fressbuden zu tun, wo dubiose Pizzaviertel vor sich hinschmurgeln und nichts Gutes verheißen. Es riecht nach Analogkäse und Geldwäsche. Verhält es sich in der Nobelgastronomie besser? Mein Weg führt mich vorbei am ehemaligen Restaurant von Jamie Oliver, der die Österreicher kurzfristig mit dem bochenen Italienerschmäh einkochen wollte, ehe er damit baden ging.

Ansonsten herrscht in Little Italy ("erster Wiener Gemeindebezirk") an tatsächlicher und simulierter Italianità kein Mangel. Jedes zweite Restaurant heißt Venezia, Da Capo, Adria, Molto Bene, Senza Fine. Auf den Speisekarten werden Gerichte wie Spaghetti a la Puttanesca feilgeboten, ein ungustiöser Euphemismus dafür, dass im betreffenden Etablissement Prostitution oder Frauenhandel betrieben wird.

Ich landete bei meinen Recherchen schließlich im Nobelitaliener Sole in der Annagasse. Kenner der österreichischen Politik werden sich daran erinnern, dass Bundespräsident Alexander Van der Bellen es hier so gemütlich fand, dass er über die Sperrstunde hinaus unbeschwert von einer lästigen Maske sitzen blieb und sich damit Scherereien mit den politischen Gegnern und Medien einhandelte.

Bei meinen Recherchen stellte sich heraus, dass die Gemüsesuppe im Sole ausgezeichnet war und auch die nachfolgenden Scampi nichts zu wünschen übrig ließen. Dennoch würde ich davor warnen, die von Little Italy ausgehende Gefahr zu unterschätzen.

Wie sehr man dem Italiener misstrauen muss, weiß der gelernte Österreicher seit dem Ersten Weltkrieg. Also Obacht. Und dass einem die Chinesen eine Chinatown mitten in die Stadt bauen, ehe man es sich versehen hat, ist eh Allgemeinwissen. Weitere Enthüllungen folgen. (Christoph Winder, 9.9.2020)