Die Oppositionelle Maria Kolesnikowa, hier zu sehen Anfang August, ist am Montag verschleppt worden.

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Minsk – Die inhaftierte belarussische Oppositionspolitikerin Maria Kolesnikowa hat nach ihrer Entführung Strafanzeige gegen die Behörden wegen einer Morddrohung gestellt. Das teilte die 38-Jährige in einer am Donnerstag veröffentlichten Stellungnahme mit.

Die Anzeige, die auch die Vorwürfe der Entführung und der Androhung einer Freiheitsstrafe von 25 Jahren beinhaltet, richtet sich gegen den Geheimdienst KGB und gegen die Sonderpolizei zur Bekämpfung organisierter Kriminalität. Kolesnikowa nennt nach Angaben ihres Stabs in Minsk die Namen der Beamten, die sie bedroht und ihr einen Sack über den Kopf gezogen hätten. Und sie betont, dass sie die Männer bei einer Gegenüberstellung identifizieren könnte.

Entweder "lebendig oder zerstückelt"

Kolesnikowa war am Montag in Minsk entführt und unter Androhung physischer Gewalt aufgefordert worden, das Land zu verlassen. Sie sollte in die Ukraine abgeschoben werden. Die Sicherheitskräfte hätten ihr gesagt, entweder "lebendig oder zerstückelt", schrieb sie. Kolesnikowa hatte aber ihren Pass vor dem Grenzübergang zerrissen und so ihre Abschiebung vereitelt. Sie habe Quetschungen von der gewaltsamen Aktion davongetragen, teilte ihre Anwältin Ljudmila Kasak am Mittwochabend nach einem Treffen mit ihr mit.

Kolesnikowa, die viele Jahre in Stuttgart in der Kulturszene aktiv war, sitzt in Minsk wegen des Vorwurfs der versuchten Machtergreifung in Untersuchungshaft. Ihre Anwältin bezeichnete die Vorwürfe als absurden Versuch, Andersdenkende mundtot zu machen. "Maria fühlt sich gut und wacker trotz des erlebten Stresses in den vergangenen zwei Tagen", sagte Kasak. Bei Kundgebungen für eine Freilassung Kolesnikowas gab es am Mittwoch in Minsk zahlreiche Festnahmen. Die Sorge um die Politikerin ist groß. Belarus vollstreckt als einziges Land in Europa noch die Todesstrafe – durch Genickschuss.

Am Donnerstag soll Kolesnikowa von Ermittlern vernommen werden.

Lukaschenko nennt Verletzungen harmlos

Der Menschenrechtsausschuss der Parlamentarischen Versammlung des Europarats (Pace) verurteilte indes die politische Gewalt in Belarus. Als Reaktion auf die schweren Menschenrechtsverstöße werde der Europarat gemeinsam mit anderen internationalen Organen eine internationale Untersuchung einleiten, um die Verbrechen zu dokumentieren und zu verfolgen. Die Behörden und die Vertreter der Zivilgesellschaft in Belarus seien eingeladen, sich an den Ermittlungen zu beteiligen. Die Ergebnisse würden der Justiz übergeben, damit Anklage wegen der Menschenrechtsverstöße erhoben werden könne.

Staatschef Alexander Lukaschenko hatte im Interview mit russischen Staatsmedien das gewaltsame Vorgehen gegen friedliche Demonstranten zuletzt verteidigt und hunderte Sicherheitskräfte ausgezeichnet. Die in sozialen Netzwerken von den Gewaltopfern dokumentierten schwersten Verletzungen, die auch viele Ärzte bestätigten, bezeichnete er als harmlos. Zudem hätten viele Demonstranten sich die Blutergüsse und blutigen Striemen selbst mit Farbe auf die Haut gemalt, behauptete er. Es gab allerdings auch mehrere Tote.

In der Ex-Sowjetrepublik kommt es seit der Präsidentenwahl am 9. August täglich zu Protesten gegen Lukaschenko. Dieser ließ sich nach 26 Jahren an der Macht zum sechsten Mal in Folge zum Wahlsieger erklären – mit mehr als 80 Prozent der Stimmen. Die Demokratiebewegung sieht hingegen die 37-jährige Swetlana Tichanowskaja als neue Präsidentin an. Die EU hat die Wahl – wie die meisten anderen Länder – nicht anerkannt. Russland und China hatten Lukaschenko hingegen zum Sieg gratuliert.

Serbien sagte Teilnahme an Militärübung ab

Nur einen Tag vor dem Beginn einer in Belarus geplanten Militärübung hat unterdessen Serbien seine Teilnahme am Mittwochnachmittag abgesagt. Per Regierungsbeschluss wird das Land in den nächsten sechs Monaten an keiner Militärübung im Ausland teilnehmen. Das geschehe auch unter Druck der EU und zur Wahrung der militärischen Neutralität, hieß es in serbischen Medienberichten.

An dem Manöver hätten von Donnerstag bis Dienstag neben belarussischen und russischen auch serbische Soldaten teilnehmen sollen. Die Militärübung "Slawische Brüderlichkeit" wird alljährlich seit 2015 organisiert. Früheren Medienberichten zufolge trafen serbische Soldaten bereits vor Tagen in Belarus ein. (APA, red, 10.9.2020)