Zerstörte Zelte und Unterkünfte von Flüchtlingen in Moria. Es gibt keine offiziellen Angaben dazu, wie viele Menschen obdachlos wurden.

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Wien/Athen – Die Debatte über die Aufnahme von Migranten aus dem abgebrannten griechischen Flüchtlingscamp Moria reißt einen tiefen Graben zwischen die Koalitionsparteien ÖVP und Grünen und die politischen Lager in Österreich. Während ÖVP und FPÖ strikt gegen eine Aufnahme von Menschen von der Insel Lesbos sind, machen Grüne, SPÖ und Neos Druck dafür. Unterstützt werden sie von Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen, Caritas und Rotes Kreuz.

Grüne in Zwickmühle

Die Grünen tun sich in dieser Situation nicht leicht, weil sie zwar für die Aufnahme von Migranten sind, deswegen aber nicht die Koalition gefährden wollen. "Wir sind mit der ÖVP laufend im Gespräch und werden den Druck weiter aufbauen", sagte die außenpolitische Sprecherin Ewa Ernst-Dziedzic der APA. Doch "Fakt ist, wir haben aktuell keine Mehrheit im Parlament". Am Freitag fliegt die Grüne nach Lesbos.

Camps wie Moria und die dortigen Zustände seien "ein Armutszeugnis für Europa, das sich immer für Freiheit und Menschenrechte eingesetzt hat". Derzeit würden Menschenrechte "mit Füßen getreten". Bundespräsident Alexander van der Bellen hat indirekt die Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria gefordert. Geflüchtete Menschen in Moria und besonders Kinder ohne Eltern "brauchen jetzt unsere Hilfe". Österreich habe eine lange Tradition, Menschen in Not zu helfen und die Größe und Menschlichkeit jetzt das Richtige zu tun, schrieb Van der Bellen auf Twitter.

Für SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner "ist Moria eine Schande". Die Neos stellten vor dem Außenamt 100 Sessel mit Plüschtieren auf – sie fordern, 100 Kinder aufzunehmen.

Schallenberg dagegen

Die ÖVP äußerte sich am Donnerstag bisher nicht. Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) hatte die türkise Haltung, keine hilfesuchenden Menschen aus Moria aufzunehmen, jedoch bereits am Mittwochabend in der "ZiB 2" unterstrichen. Österreich biete dafür Hilfe vor Ort an, sagte er, etwa bei "Bedarf an Zelten und Decken", zudem eine Million Euro aus dem Auslandskatastrophenfonds.

Die EU dürfe nicht in die alte Debatte zurückfallen und über die Verteilung von Flüchtlingen reden, so Schallenberg. Damit unterstütze man nur das Geschäft der Schlepper. "Wenn wir das Lager Moria räumen, ist es gleich wieder gefüllt." Er wolle "keine Signale aussenden, die eine Kettenreaktion auslösen, derer wir nicht mehr Herr werden". Sonst würden bald wieder tausende Flüchtlinge an den Grenzen stehen. Der Pull-Faktor sei "die Wahrheit" gewesen, "die wir erlebt haben".

Von dem Umstand, dass selbst konservative Politiker in Deutschland und Norwegen für die Aufnahme von Teilen der 13.000 Flüchtlinge aus Moria eintreten, zeigte sich Schallenberg wenig beeindruckt: "Das ist eine Minderheitenmeinung." Die EU-Kommission müsse nun ein Gesamtkonzept zu Asyl und Migration vorlegen.

Deutschland und Frankreich legen diesbezüglich vor: Kanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Emmanuel Macron wollen zusammen mit anderen EU-Ländern 400 unbegleitete Minderjährige aufnehmen.

Athen: Migranten haben Brand ausgelöst

Unterdessen hat sich die griechische Regierung zur Brandursache geäußert. "Das Feuer wurde von Menschen gelegt, die Asyl beantragt haben – als Reaktion auf die wegen des Coronavirus verhängte Quarantäne" in Moria, sagte der Sprecher der konservativen Regierung, Stelios Petsas, am Donnerstag.

Mit solchen Aktionen torpedierten diese Menschen jede Lösung. "Wir sagen es Ihnen klipp und klar: Sie werden nicht wegen des Feuers die Insel verlassen. Das können Sie vergessen." Gelungen sei den Brandstiftern lediglich, tausende Menschen, darunter Familien, obdachlos zu machen, kritisierte Petsas.

Erneut mehrere kleine Brände in der Nacht

Für die Unterbringung dieser Menschen sind die ersten Maßnahmen bereits angelaufen. 400 Minderjährige, die ohne Begleitung ihrer Eltern unterwegs sind, wurden von der Insel Lesbos in die Hafenstadt Thessaloniki geflogen. Der stellvertretende Migrationsminister Giorgos Koumoutsakos schloss aber aus, dass auch erwachsene Migranten die Insel verlassen dürfen. Im Nachrichtensender Skai sagte er: "Wer denkt, er könne zum Festland und dann nach Deutschland reisen, der soll es vergessen."

Die Feuerwehr konnte in der Nacht auf Donnerstag mehrere kleinere neue Brände löschen. Die Feuer hätten übrig gebliebene unbeschädigte Zelte und andere provisorische Unterkünfte von Moria zerstört, berichtete das griechische Fernsehen.

Tausende Menschen verbrachten die erste Nacht nach dem Großbrand auf den Straßen rund um das Lager. Die Polizei stoppte unter Einsatz von Tränengas einige jugendliche Migranten, die versuchten, in die Hauptstadt der Insel zu kommen. Zuvor hatten einige Migranten die Polizei mit Steinen angegriffen.

Angst vor Ausbreitung des Coronavirus

Die Angst vor einem unkontrollierbaren Ausbruch der Corona-Epidemie ist groß. 35 Migranten waren zuletzt positiv auf das Virus getestet worden. Sie sind im Gefolge des Großbrands untergetaucht und könnten tausende andere anstecken. Die Polizei habe nur acht von ihnen aufgreifen können, teilte die Regierung mit. In den nächsten Tagen seien 19.000 Coronatests geplant.

Eine Fähre, die Blue Star Chios, wurde am Donnerstagvormittag in einem Hafen im Westen der Insel erwartet. Sie soll rund 1.000 Migranten aufnehmen. Andere sollen in den nächsten Tagen von zwei Schiffen der griechischen Kriegsmarine aufgenommen werden.

Nach wie vor gibt es keine offiziellen Angaben zur genauen Anzahl der Menschen, die durch den Brand obdachlos geworden sind. Zuletzt lebten in dem und um das Camp von Moria rund 12.500 Menschen.

Knaus: "Bestangekündigte Katastrophe"

Der Migrationsforscher Gerald Knaus hat die Brandkatastrophe die "bestangekündigte Katastrophe" in Europa genannt. Es sei klar gewesen, dass der Druck der Quarantäne über kurz oder lang zu einem Ausbruch dieser Art führen würde, sagte er am Mittwochabend in der "ZiB Nacht".

Knaus schlug als unmittelbare Notmaßnahme den europäischen Ländern vor, bereits anerkannte Flüchtlinge vom griechischen Festland aufzunehmen, um deren Wohnungen für die tausenden obdachlos gewordenen Menschen aus Moria freizumachen. Falls Deutschland und einige andere Länder je rund 5.000 Menschen aufnehmen würden, wäre das "ein Signal an Griechenland: Griechenland ist nicht allein." Dann könne Athen "sofort anfangen, Menschen unterzubringen".

Der in Berlin lebende österreichische Migrationsforscher kritisierte die politische Einstellung, wonach "Männer, Frauen und Kinder (in den Flüchtlingslagern, Anm.) auf alle Ewigkeit festgehalten werden müssen", um eine Erhöhung des Flüchtlingszustroms – einen sogenannten Pull-Effekt – zu vermeiden. "Das ist, zynisch gesprochen, ein Guantánamo für Flüchtlinge, sie werden da festgehalten auf unbestimmte Zeit", sagte er in Anspielung auf das US-Gefangenenlager auf Kuba. Das von ihm vorgeschlagene Vorgehen werde hingegen zu keinem Pull-Effekt führen, ist sich Knaus sicher. (APA, red, 10.9.2020)