Wo normalerweise die einen ihren Kater auskurieren, während die anderen bereits wieder mit der Strandparty beginnen, tummeln sich heuer am weißen Sandstrand und im kristallklaren Wasser von Magaluf auf der spanischen Ferieninsel Mallorca Besucher, die man in den letzten Jahren kaum gesehen hat: echte Mallorquiner. Sie haben ihre Strände wieder für sich entdeckt, nachdem die ausländischen Touristen wegen der Corona-Pandemie ausbleiben.

Leere Strände: Magaluf im August 2020.
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Normalerweise kämen Mallorquiner nicht auf die Idee, nach Magaluf zu kommen, wird Laura, 31, im britischen "Guardian" zitiert: "Wir sind dieses Jahr nur gekommen, weil wir wussten, dass es keine Touristen gibt." Sie macht sich mir ihren Freunden einen schönen Tag am Strand. Szenen wie diese spielen sich überall in Europas Touristen-Hotspots ab: Einheimische erobern sich jene Orte wieder, die sich vor langer Zeit an den Massentourismus verloren haben. Über Plätze, auf denen einst Rollkoffer über das Kopfsteinpflaster klapperten, toben jetzt Kinder. Locals nutzen die Gelegenheit, die leeren Sehenswürdigkeiten ihrer Stadt zu erkunden.

Ruhe mit hohem Einsatz

Als Anfang des Jahres Fotos vom menschenleeren Strand von Magaluf die Runde machten, strömten die Mallorquiner dorthin. Gerade so, als ob sie sich vergewissern müssten, dass die Bilder auch der Wahrheit entsprechen. "Ich hätte meine Tochter nie hierher gebracht", sagte etwa Consuelo Merchante der Nachrichtenseite "Ultima Hora". Es sei ihr erstes Mal seit vier Jahrzehnten, dass sie Magalufs Strand besuche. "Wir blieben wegen der britischen Touristen weg", sagte sie.

Der Preis dafür ist allerdings hoch: Geschlossene Geschäfte, leere Hotels zeugen in allen touristisch geprägten Orten Europas von den verheerenden wirtschaftlichen Auswirkungen des Tourismuseinbruchs.

Dubrovnik: Unter die Einheimischen mischen sich ein paar Touristen – vor Corona war es umgekehrt.
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In Dubrovnik zum Beispiel hatten sich die Einheimischen schon daran gewöhnt, dass sie ihre Altstadt mit Millionen Besuchern, die teils mit riesigen Kreuzfahrtschiffen hierher gekarrt wurden, teilen müssen. Mit der Pandemie wurde plötzlich alles anders. Man las davon, wie die Einheimischen sich wieder frei in ihrer Stadt bewegen konnten, von Kindern, die auf den leeren Plätzen Fußball spielten und Fahrrad fuhren. Eine gewisse Erleichterung schien sich breitzumachen. Es folgte die – wirtschaftliche – Ernüchterung. Nun befürchtet man eine ökonomische Katastrophe.

Leere als Attraktion

Auch in Italien sind Städte und Strände, die normalerweise von ausländischen Touristen besucht werden, für Italiener wieder attraktiv geworden. Einheimische strömten etwa an die Riviera Romagnola, einen Abschnitt idyllischer Strände mit Blick auf die Adria. Tatsächlich waren vor allem junge Italiener vor dem Ansturm der ausländischen Touristen geflüchtet – sie nahmen ihrerseits den Billigflieger nach Spanien oder Griechenland. Aber die Pandemie scheint diesen Fluss umgekehrt zu haben, da die Riviera nun von einer Vielzahl an Erstbesuchern bereist wird. In diesem Sommer ist Rimini voller Menschen in den Zwanzigern, die aus benachbarten Regionen kommen. Das sei seit Jahrzehnten nicht mehr passiert, ist zu lesen.

Nur wenige Touristen sind um den Louvre in Paris zu sehen.
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An einigen der beliebtesten Wahrzeichen des Kontinents ist die Leere selbst zu einer Attraktion geworden. Im letzten Monat wurden online Fotos von fast menschenleeren Räumen im Pariser Louvre verbreitet, im krassen Gegensatz zum Vorjahr, als fast zehn Millionen Menschen dort ein- und ausgingen.

Sorge um die Zukunft

Die Chance, einige der besten Kunstwerke der Welt zu entdecken, ohne sich durch die Menge quetschen zu müssen, war für einige ein Gewinn: Paris kann von den Parisern so erlebt werden wie selten zuvor, jubelten einige auf Twitter.

Europaweit wächst allerdings die Sorge um die Zukunft des bedeutenden Wirtschaftszweigs Tourismus, der etwa zehn Prozent des europäischen BIP ausmacht. In Spanien schätzt man, dass der starke Rückgang der Touristen zu Einnahmenverlusten von fast 100 Milliarden Euro führen könnte, wobei die Balearen, Heimat von Magaluf, und Katalonien voraussichtlich zu den am stärksten betroffenen Regionen gehören werden.

In Barcelona, das vor der Pandemie durchschnittlich 155.000 Besucher pro Tag verzeichnete, haben sich die Ankünfte auf ein Minimum reduziert. Der Tourismus habe die Bewohner in gewisser Weise vertrieben, ist von Experten zu hören. Jetzt sei es umgekehrt: Es sind Touristen, die sich unter den Einheimischen verlaufen. Die Situation zeige, was für Städte und andere Hotspots auf dem Spiel steht. Es sei nun die beste Zeit, darüber nachzudenken, wie man ein Gleichgewicht zwischen den Ansprüchen der Touristen und der Einwohner herstellen könne. (red, 13.9.2020)