Schiffe, deren Passagiere wegen Covid-19 an Bord bleiben müssen: "Lost at Sea" von Anne Spalter bei der Ars Electronica.
Foto: CADAF-Team

Was bringt einen "Shadow Stalker", eine algorithmische Parfümerie, ein robotisches Raubtier, das auf einen bestimmten Baumschädling spezialisiert ist, eine anonyme Widerstandsgruppe aus Hongkong und einen Thinktank aus Ghana zusammen? Und Computeranimationen, Installationen, künstliche Intelligenzen, Bilder im analogen und im virtuellen Raum, quakende Campus-Enten und künstliche Pilze?

Richtig, die Ars Electronica.

Diesmal ist das Festival wegen Covid-19 schlank in seiner Homebase Linz und zugleich übergroß durch 120 zeitgleich stattfindende Partnerveranstaltungen rund um den Globus. Im Lauf seiner 41-jährigen Geschichte hat sich das Festival stark verändert: In den ersten Jahren nach seiner Gründung 1979 war es ein Mekka für Technologie-Visionäre. Heute ist es Tiefenscanner und Experimentierfeld für die digitale Gegenwart. Die Utopie von einst wird gerade zur globalen Wirklichkeit.

Zu welchen Bedingungen dieser Wandel stattfindet, ist noch nicht in allen Köpfen angekommen. Um die immer noch schwer nachvollziehbare Veränderung darzustellen, braucht es besondere Beweisführungen. Solche liefert "die Ars" jedes Jahr. So auch jetzt wieder, seit Mittwoch und bis Sonntag.

Cyberkriminalität, Überwachung und Phishing

Auch diesmal lässt sich die Festival-Strategie mit einem Wort beschreiben: Überflutung. Wieder zählt der Vorwurf, dass niemand die angebotene Unmasse an Belegen des Was, Wie und Wo der anschwellenden digitalen Kultur samt ihren Initiativen, Vernetzungen, Äußerungen und Debatten in fünf Tagen zur Gänze mitbekommen kann.

Aber im Gegenzug kann man auch fragen, ob es nicht ein Fehler war, sich in den vergangenen dreißig (!) Jahren von der permanenten digitalen Durchdringung aller Lebensbereiche überwältigen zu lassen. Internet, Mobiltelefonie, soziale Medien, Computerspiele, künstliche Intelligenz – alle wollen das nutzen, kaum jemand versteht es. Daher fehlt es an kompetenter Mitsprache und politischem Bewusstsein. Seit etlichen Jahren rächt sich dieses Zaudern – Stichwort Cyberkriminalität und -krieg, Hacking, Phishing, Überwachung, gigantischer Energie-und Rohstoffbedarf. Und nein, du wirst als Normalmensch dein durchdigitalisiertes Auto oder deine ans Internet angeschlossene elektrische Zahnbürste nie selbst reparieren können.

Das Reparieren ist auch bei der Ars Electronica nicht zu lernen. Dafür aber etwas vielleicht Wichtigeres. Das Überangebot trainiert ganz praktisch, auszuwählen und, so seltsam es klingt, zu akzeptieren, dass man nicht alles mitbekommen kann. Es funktioniert, zeigt die Statistik: 2019 wurden 110.000 Besucher gezählt.

Ökonomisch, künstlerisch und aktivistisch

In Covid-19-Zeiten wäre das nicht zu machen, also sind viele Projekte ins Netz verlegt. Man kann zuschauen und mitmachen, je nach Bedarf und digitaler Kompetenz. Immerhin gibt es in Linz – live, aber auch online – diverse Ausstellungen, die nicht nur zeigen, dass die Zeiten naiver Technikbegeisterung vorbei sind; sondern auch, dass sich die Tendenz verstärkt, Kunstschaffende und anders Kreative zusammenzuspannen, um das künstlerische Arbeiten für ökonomische und aktivistische Zwecke nutzbar zu machen.

Als neuen Partner vor Ort hat das Festival die Johannes-Kepler-Universität (JKU) gewonnen. Die Linzer Kunstuni kooperiert schon seit Jahren, außerdem existiert ein beachtliches Netzwerk internationaler Hochschulen. Die Ars Electronica nutzt den dieses Jahr fertiggestellten, weitläufigen Campus der JKU mit großzügigem Park und offenen Gebäuden am Stadtrand als Veranstaltungsort in Nachfolge für die Post City, und der Universität dient das Festival zur Selbstdarstellung.

Fokus auf Valie Export

In der Stadt selbst beteiligen sich das Oberösterreichische Kulturquartier mit der Cyberarts-Ausstellung und die Kunstuni Linz mit einer Präsentation von Arbeiten der Studierenden unter dem Titel The Wild State.

Zu den Protagonistinnen der Cyberarts-Schau zählen die Österreicherin Valie Export – gefeiert als Visionary Pioneer of Feminist Media Art – und die US-Amerikanerin Lynn Hershman Leeson, die als herausragende Medienkünstlerin ausgezeichnet wurde. Von Hershman stammt Shadow Stalker, ein interaktives Dokumentationsprojekt über Überwachungssysteme und Identitätsdiebstahl.

Auf ironische Art kritisch ist die Installation Appropriate Response des Deutschen Mario Klingemann: Knie dich hin vor die KI, und sie spendet dir eine Pseudoweisheit. Und bei The Wild State spielt etwa die Italienerin Indiara Di Benedetto in Portrait of a Generative Memory gewitzt mit Wahrnehmungspsychologie und Gedächtnis. (Helmut Ploebst, 10.9.2020)