Club-Solidarität: Der LGBTQIA+-Ball "Purple Is Burning" vereint Drag, Vogueing, Performance und Diskurs im Club U.
Foto: Wienwoche 2020

Ich werde nicht aufgrund meiner Hautfarbe, meiner sexuellen Orientierung oder Herkunft diskriminiert. Am besten man stellt sich vor einen Spiegel und zählt auf, worüber man sich jeden Tag glücklich schätzen kann. Danach vergleicht man mit anderen – so könne man definieren, welche Privilegien man selbst hat und welche nicht, erklärt die Aktivistin Henrie Dennis. Zwar besäßen alle Menschen welche, manche aber mehr als andere.

Dennis ist Gründerin von Afro Rainbow Austria und leitet gemeinsam mit der Regisseurin und Kuratorin Natalie Ananda Assmann zum zweiten Mal das Kunst- und Kulturfestival Wienwoche, das seit 2012 jährlich im September stattfindet. Als Schnittstelle zwischen Kunst und Aktivismus wird dort Kulturarbeit als radikales Einmischen in aktuelle Debatten der Stadt verstanden: Nicht nur reden und zuschauen also, sondern auch etwas tun.

Dieses Jahr läuft das Festival unter der schlagkräftigen Alliteration Power and Privilege und passt – obwohl bereits Ende 2019 festgelegt – brutal in die aktuelle Zeit: Wer hat das Privileg in der Krise von zu Hause aus zu arbeiten? Wer kann überhaupt noch seinen Job ausüben? Und wer hat die Macht das zu entscheiden? In den letzten Monaten wurde deutlich, welche Menschen benachteiligt und strukturell unterprivilegiert sind, wen das System auffängt – und wen nicht.

Organisatorinnen Henrie Dennis (links) und Natalie Ananda Assmann: "Weiß man, welche Rechte man als diskriminierte Person hat, ist das ein Privileg, das man teilen kann."
Foto: Marisel Bongola / WIENWOCHE 2020

Freie Szene: Knallharte Unsicherheit

Gewohnt divers lädt das Festival von 11. bis 20. September zu Performances, Ausstellungen, Diskussionsrunden und Konzerten ein und möchte dort aus queerfeministischer und intersektionaler Perspektive an bestehenden Macht- sowie Privilegstrukturen rütteln. Weil viele der Events durch Zeitslots rasch ausgebucht waren, werden sie um Online-Streams (und eventuell zusätzliche Termine) erweitert.

Veranstaltet wird die ursprünglich von den Grünen initiierte Wienwoche vom "Verein zur Förderung der Stadtbenutzung" und ist jährlich mit 453.000 Euro gefördert. Bereits mehrmals wurden Wiener Stadtfeste kritisiert, ihre Abrechnung würde zu wenig transparent und streng genug kontrolliert. Erst letztes Jahr befand der Rechnungshof, dass die Fördergelder der Wienwoche zu voreilig ausbezahlt wurden. Generell sei das Prozedere allerdings immer so, dass zu dem Zeitpunkt der Einreichung noch nicht feststehe, für welche Projekte das Geld im kommenden Jahr genau ausgegeben werde, erklärt Assmann. Auch heuer wurde erst das Thema bestimmt, der Open Call gestartet und dann die Projekte in einem dreistufigen Verfahren von einer Jury ausgewählt.

Insbesondere dieses Jahr war vieles unklar und Teilnahmen bis zum Schluss unsicher. Denn, dass die Ressourcen vor allem in der freien Kulturszene ungleich verteilt sind, bekam diese in den letzten Monaten knallhart zu spüren. Aus diesem Grund bemühte sich das Festival, Kunst- und Kulturschaffende zu unterstützen und sie vermehrt an aktuell kaum bespielbaren Orten auftreten oder ausstellen lassen. Beispielsweise im Fluc, dem Club U oder im Kunstbogen am Gürtel. "Wir wollen uns mit den Einrichtungen solidarisch zeigen", sagt Dennis. Privilegien, die die Wienwoche erkannt hat und zu nutzen weiß.

Naives Wunschdenken? Events wie die Prozession von "Sodom Vienna" am Viktor-Adler-Markt sollen Menschen aus ihrer Bubble holen.
Foto: Wienwoche 2020

Von der Votivkirche über die Donau

Auch inhaltlich brennt das Festival-Programm vor Aktualität: So eröffnet am Freitag – fünf Jahre nach der großen Fluchtbewegung und nur drei Tage nach dem verheerenden Großbrand im griechischen Flüchtlingslager Moria – im Odeon Theater mit einer Open Border Conference, bei der Aktivistengruppen das Privileg der "Festung Europa" infrage stellen. Auch wie der Resist-Workshop gegen rassistisch motivierte Polizeigewalt vermitteln soll, kann das eigene Privileg genutzt werden, um sich mit weniger privilegierten Menschen zu solidarisieren. "Weiß man, welche Rechte man als diskriminierte Person hat, ist das ein Privileg, das man teilen kann", so Assmann und Dennis.

Quer über Wien verteilt – von der Votivkirche, über die Brunnenpassage in Ottakring bis in den 22. Bezirk – ist das Festival auch abseits des Zentrums sichtbar, möchte Menschen so aus ihrer Bubble reißen und auch weniger kulturinteressierte Menschen erreichen. Ein naives Wunschdenken? Assmann betont, dass es dabei nicht um Quantität gehe. Sobald nur ein paar Menschen über jene Debatten zu reflektieren beginnen, sei das ein "achievement". "Am Viktor-Adler-Markt werden wir aber schon auffallen", fügt sie hinzu. An diesem politisch umkämpften Ort im Arbeiter*innen- und Migrant*innenbezirk Favoriten wird das Festival schließlich in einer "rauschenden Prozession" gipfeln.

Hier hakt das Programm ins Stadtpolitische ein und schlägt eine Brücke zu den anstehenden Wien-Wahlen im Oktober: Ein Drittel der Wiener Stadtbevölkerung – also etwa eine halbe Million Menschen – darf nicht wählen, weil sie keine Staatsbürgerschaft besitzt. Bei dem Projekt Wahlwexel kann eine Petition unterschrieben werden, die das versucht zu ändern. Vielleicht hat jemand ein paar Privilegien übrig? (Katharina Rustler, 11.09.2020)