In keinem Ministerium – auch nicht im Gesundheitsressort oder Kanzleramt – wird das Maskentragen so streng genommen wie im Haus von Susanne Raab. Die Assistentinnen haben eine Maske umgebunden. Alle, die das Büro der Ministerin verlassen, tragen eine. In den Gängen, im Lift, vor der Kaffeemaschine: Mund-Nasen-Schutz. Raab selbst trägt an ihrem Schreibtisch keine. Aber ja, man nehme das sehr ernst, sagt die Integrationsministerin.

Die Ministerin möchte, dass arbeitslose Asylberechtigte den Wohnort wechseln, wenn woanders Stellen offen sind.
Foto: Christian Fischer

STANDARD: Sie kommen aus Ampflwang im Hausruckwald, einer eher beschaulichen Marktgemeinde in Oberösterreich. Wie lange hat es gedauert, bis Sie sich in Wien integriert gefühlt haben?

Raab: Ich habe in meinem Leben viele Stationen gehabt – von Oberösterreich nach Innsbruck, dann nach Wien, zwischendurch bin ich in Deutschland und in Brasilien gewesen. Mittlerweile lebe ich in Niederösterreich. Ich habe mich an allen Orten in Österreich, wo ich war, sehr schnell heimisch gefühlt.

STANDARD: Wodurch zeichnet sich gelungene Integration denn aus?

Raab: Gelungene Integration ist für mich die Teilhabe an allen gesellschaftlichen Bereichen – am Bildungsbereich, am Arbeitsmarkt und dass man sich auch mit dem Herzen in Österreich zu Hause fühlt. Wir sagen in der Integration, es gibt die Hard Facts: Kann jemand Deutsch, hat er einen Job, was hat er für eine Ausbildung? Aber es geht eben auch um eine kulturelle Zugehörigkeit.

STANDARD: Fehlende kulturelle Zugehörigkeit in Wien haben Sie kürzlich mit Chinatown und Little Italy verglichen. Was meinen Sie damit?

Raab: Mir geht es darum, dass sich in Österreich keine Parallelgesellschaften entwickeln dürfen. Wer sich jetzt über diese Aussage lustig macht, hat das Problem offenbar nicht verstanden. Abgeschottete Milieus und parallelgesellschaftliche Strukturen, wie wir sie zum Teil schon haben, sind für mich das Gegenteil von Integration, weil kein Austausch mit der Mehrheitsgesellschaft passiert. Im schlimmsten Fall arten solche Strukturen in eine Gewalteskalation wie in Favoriten aus. Da ist auch Wien gefordert.

Raab möchte Leistungen des Sozialstaats nutzen, um Menschen bei der Integration in die Pflicht zu nehmen.
Foto: Christian Fischer

STANDARD: Ihr Parteikollege Gernot Blümel will Deutschkenntnisse zur Voraussetzung für den Erhalt einer Wiener Gemeindebauwohnungen machen. Halten Sie das für eine gute Idee?

Raab: Deutsch ist die Basis dafür, dass Integration stattfinden kann. Es hilft deshalb auch, wenn wir im Wohn- und Gemeindebau Deutschpflichten forcieren. Man sollte als Staat jede Möglichkeit nutzen, damit Menschen die Sprache lernen.

STANDARD: Gibt es auf Bundesebene ähnliche Überlegungen – etwa die Familienbeihilfe an Deutschkenntnisse zu knüpfen?

Raab: Im Regierungsprogramm haben wir das nicht verankert. Ich halte es aber grundsätzlich für klug, Leistungen des Sozialstaats zu nutzen, um Menschen bei der Integration in die Pflicht zu nehmen. Man muss sich das halt immer vor dem Hintergrund des Gleichheitsgrundsatzes ansehen. Den Weg der Verpflichtung im Integrationsbereich gehen wir seit dem Systemwechsel 2017. Jeder, der zu uns kommt, muss Deutschkurse, Integrationsberatung und Wertekurse besuchen bei sonstiger Kürzung der Sozialleistungen. Diesen Weg werden wir konsequent weitergehen.

STANDARD: Die angesprochenen Pflichten gelten für Menschen, die jetzt kommen. Es gibt aber eine große Gruppe an einstigen Gastarbeitern, die staatlich nie unterstützt wurde. Wie wollen Sie die erreichen?

Raab: In den Sechziger-, Siebziger- und Achtzigerjahren hat man im Sinne eines Laissez-faire-Stils geglaubt, Integration passiert von allein. Migranten aus älteren Generationen erreicht man heute ganz zentral über Kinder, die Deutschförderbedarf haben. Daher haben wir diesen Sommer jetzt die Elternkurse gestartet.

STANDARD: Die Elternkurse sind wie auch die Sommerschule für Kinder mit Förderbedarf freiwillig. Streben Sie auch hier eine Verpflichtung an?

Raab: Derzeit sind dort natürlich vor allem jene, die sich in dem Bereich bemühen wollen. Wir werden evaluieren, welche Zielgruppen tatsächlich erreicht wurden. Im Regierungsprogramm haben wir vereinbart, dass wir Mitwirkungspflichten der Eltern stärken.

STANDARD: Wann wird in Österreich jedes Kind bei Schuleintritt gut Deutsch sprechen?

Raab: Es wird immer eine Herausforderung bleiben, wenn Kinder die ersten Jahre ihres Lebens ausschließlich ihre nichtdeutsche Muttersprache sprechen. Aber wir setzen Maßnahmen, um dem entgegenzuwirken.

Die Integrationsministerin fordert die Stadt Wien auf, dass sie ihren Zugang zu Integration ändert.
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STANDARD: In Wien hat mehr als die Hälfte der Schüler eine andere Umgangssprache als Deutsch. Sie beherrschen also jedenfalls eine zweite Sprache. Ist das nicht auch bereichernd?

Raab: Mehrere Sprachen zu sprechen ist selbstverständlich eine Bereicherung. Aber aus Integrationssicht ist es ein Problem, wenn die gemeinsame Sprache Deutsch nicht gut gesprochen wird, und leider ist das oft der Fall. Die staatliche Aufgabe ist es deshalb, den Deutscherwerb zu forcieren.

STANDARD: Sie kritisieren laufend Wien. Was ist dort aus Ihrer Sicht die drängendste Integrationsmaßnahme?

Raab: Das Wichtigste wäre der richtige Zugang: eine restriktive Migrationspolitik und Verpflichtungen in der Integration. Da muss auf Bundesebene, in den Ländern und in den Gemeinden überall dasselbe kommuniziert werden. Nämlich: Österreich ist ein Land der Chancen, aber jeder muss sich um sich selbst bemühen. Das wünsche ich mir von Wien, aber auch von jedem, der in der Flüchtlingsbetreuung tätig ist. Integration passiert nicht, nur weil wir alle tolerant genug sind.

STANDARD: Warum ist Wien aus Ihrer Sicht so attraktiv für Flüchtlinge und Migranten?

Raab: Wir erheben regelmäßig, warum so viele Flüchtlinge mit positivem Asylbescheid nach Wien ziehen. Es gibt drei Gründe, die sich herauskristallisiert haben: Erstens sind es die hohen Sozialleistungen. Zweitens ist es der Glaube, dass man in der Großstadt einen Arbeitsplatz findet. Was schwierig ist, weil Wien im Vergleich zu allen anderen Bundesländern die höchste Arbeitslosigkeit hat. Drittens ist es der Gedanke, dass man sich dort, wo es schon viele Migranten gibt, auch weniger fremd fühlt. Auf dem Land fällt man als Flüchtling mehr auf als in Wien.

STANDARD: Aber die Integration funktioniert auf dem Land besser?

Raab: Es hängt immer von der Anzahl der zu integrierenden Menschen ab. Eine einzelne syrische oder irakische Familie ist in einer Gemeinde meist sehr gut integriert. Schwierig wird es dann, wenn viele Menschen mit Migrationshintergrund auf engem Raum leben. Die Menschen können sich nach Abschluss des Asylverfahrens ja auch selbst aussuchen, wo sie hingehen.

STANDARD: Das wollen Sie ändern?

Raab: Aus integrationspolitischer Sicht ist es völlig unverständlich, dass wir 35.000 arbeitslose Asylberechtigte haben und ein Großteil davon in Wien lebt, während woanders Stellen offenbleiben. Wenn Menschen an einem Ort noch nicht verwurzelt sind, das ist bei Zuwanderern der Fall, dann sollen sie dorthin gehen, wo der Arbeitsplatz ist.

Für Raab ist Wien eine wunderschöne Stadt, in der sie gerne arbeite. Sie lebt in Niederösterreich.
Foto: Christian Fischer

STANDARD: Man wird umgesiedelt?

Raab: Es ist doch nur logisch, dass man dort hingehen muss, wo Arbeit ist, wenn man noch nicht verwurzelt ist, also etwa keine Kinder hat, die in die Schule gehen.

STANDARD: Zu wie viel Prozent ist Integration eine Holschuld und zu wie viel Prozent eine Bringschuld?

Raab: Es ist ein zweiseitiger Prozess. Es braucht den Staat und die Mehrheitsgesellschaft, aber es braucht aus meiner Sicht noch mehr das Zutun des Zuwanderers.

STANDARD: Wo fühlen Sie sich denn selbst zu Hause?

Raab: Meine Wurzeln habe ich in Oberösterreich. Wenn ich bei meinen Eltern im Garten sitze, geht mein Herz auf. Ich liebe meinen Wohnsitz in Niederösterreich, aber auch die wunderschöne Stadt Wien, in der ich gern arbeite. (Katharina Mittelstaedt, 11.9.2020)