Viele einfache Südafrikanerinnen und Südafrikaner sind von der Corona-Pandemie in wirtschaftliche Not gedrängt worden. Politiker des regierenden Afrikanischen Nationalkongresses verdienten sich hingegen offenbar ein dickes Zubrot.

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Johannesburg im September des Jahres eins der Corona-Pandemie. Auf den ersten Blick ist die südafrikanische Metropole zu ihrer üblichen Geschäftigkeit zurückgekehrt: Minibusse brausen vollbesetzt durch die Straßenschluchten, Geschäfte und Imbissbuden haben ihre Stahlgitter hochgezogen, Straßenhändler bieten Zwiebeln oder Handyladekabel an. Als Relikte aus der harten Lockdown-Zeit sind lediglich die von der Mehrheit der Passanten getragenen Schutzmasken übrig geblieben sowie die Sperrstunde um zehn Uhr abends – doch um diese Zeit pflegen die Johannesburger ohnehin im Bett zu sein.

Was dem ersten Blick verborgen bleibt: die tiefe Erschütterung, die das vergangene halbe Jahr im Bewusstsein der Südafrikaner hinterlassen hat. Dazu gehören, wie überall in der Welt, die Angst vor dem unsichtbaren und womöglich tödlichen Erreger sowie eine gewisse Skepsis, ob die Maßnahmen der Regierenden zur Eindämmung der Gefahr tatsächlich hilfreich waren. Am Kap der Guten Hoffnung kommt noch ein weiterer Schock hinzu: dass Politiker vor allem der Regierungspartei nicht einmal davor zurückschreckten, die Gesundheitstragödie zu ihrer Bereicherung auszunutzen.

"Für mich ist es Mord"

In den vergangenen Wochen wurden zahllose Fälle von ANC-Politikern bekannt, die sich Aufträge – etwa für Schutzbekleidung – unter den Nagel rissen, um deren Preis zu vervielfachen, während die Plastikhüllen in den Krankenhäusern immer knapper werden und sich Pflegekräfte in Lebensgefahr begeben. "Für mich ist das Mord", sagte WHO-Chef Tedros Ghebreyesus, als er von den Vorfällen erfuhr. Fast 28.000 Ärzte und Pflegekräfte haben sich in Südafrika bereits angesteckt, mehr als 230 mit tödlicher Folge.

Zu Beginn der Pandemie hatte die Regierung in Pretoria 500 Milliarden Rand (rund 25 Milliarden Euro) für den Kampf gegen das Virus zur Verfügung gestellt. Davon sollten Verdienstausfälle, Lebensmittelhilfe und der Kauf medizinischer Ausrüstung finanziert werden. Da es eilte, wurden die sonst üblichen Kontrollen für öffentliche Ausschreibungen ausgesetzt: Eine goldene Gelegenheit für politisch gut vernetzte Ganoven.

Darunter auch die Sprecherin des Präsidenten Cyril Ramaphosa, deren Gatte in den Genuss eines sechs Millionen Euro umfassenden Auftrags für Schutzbekleidung kam, ohne dass er jemals etwas mit ihrer Herstellung oder ihrem Handel zu tun gehabt hatte. Allein in der Gauteng-Provinz, dem wirtschaftlichen Maschinenraum des Landes, wird derzeit gegen 91 verdächtigte Firmen ermittelt: Der dem ANC angehörende Gesundheitsminister wurde suspendiert. Recherchen von Journalisten zufolge zweigten die gut vernetzten Betrüger alleine in dieser einen Provinz mehr als 500 Millionen Rand (25 Millionen Euro) ab. Mindestens 44 zu diesem Zweck gegründete Firmen sollen an den Raubzügen beteiligt gewesen sein.

Überteuerung, Unfaires, Betrug

Seine Beamten hätten eine Reihe "furchterregender Entdeckungen" gemacht, sagte der Chef des Rechnungsamts, Kimi Makwetu, zu Beginn des Monats: Eine erste Überprüfung der Ausgaben des Corona-Pakets habe "Überteuerung, unfaire Verfahren, Betrug und Verstöße gegen die gesetzlichen Vergaberichtlinien" offengelegt. In jeder Sparte des staatlichen Hilfspakets sei es zu Unregelmäßigkeiten gekommen: Entweder wurden Hilfsberechtigte aus- oder Unberechtigte eingeschlossen, doppelt oder gar nicht ausbezahlt oder sonst wie betrogen.

Für Gesichtsmasken wurde in Gauteng 5,65-mal mehr als der übliche Preis gezahlt, die Nordwest-Provinz löhnte fünfmal mehr für Gummihandschuhe und KwaZulu/Natal 4,2-mal mehr für Plastikschürzen. "Schockierend, dass es in einer Krise, in der die Bevölkerung eigentlich zusammenstehen sollte, zu solchen Betrügereien kommt", fasst sich Julius Kleynhans von der Organisation zur Verhinderung des Missbrauchs von Steuergeldern (Outa) an den Kopf: "Wir erwarten, dass der Staatspräsident unverzüglich dagegen vorgeht."

"Der ANC ist der Angeklagte Nummer eins"

Tatsächlich platzte dem eher phlegmatisch-jovialen Staatschef Cyril Ramaphosa inzwischen der Kragen. In einem offenen Brandbrief an die knapp 800.000 ANC-Mitglieder drückte er seinen Widerwillen dagegen aus, dass sich eine hochmoralische Organisation, die der Apartheid eine "solidarische und gerechtere Gesellschaft" entgegensetzen wollte, in derartige Niederungen begeben habe. "Und machen wir uns nichts vor", fügte der Parteichef hinzu, "der ANC ist der Angeklagte Nummer eins." Das Zugeständnis brachte wiederum Ramaphosas Vorgänger Jacob Zuma auf die Palme: Er schrieb seinerseits einen Brief, in dem er Ramaphosa des Verrats an unschuldigen ANC-Mitgliedern bezichtigte.

Die beiden Briefe kursierten nur wenige Tage vor einer entscheidenden Sitzung des ANC-Vorstands: Dort musste es zum Showdown der sich unversöhnlich gegenüberstehenden Parteiflügel kommen. Hier die Anhänger Ramaphosas, die Südafrika und den ANC weitreichenden Reformen unterziehen wollen, dort die alten Seilschaften Zumas, die teilweise hohe Gefängnisstrafen wegen Korruption zu erwarten haben. Seit seiner Machtübernahme im Februar 2018 wird Ramaphosa vorgeworfen, nicht entschieden genug gegen den verrotteten Teil seiner Partei vorzugehen: Dessen Vertreter sitzen wie ANC-Generalsekretär Ace Magashule noch immer in höchsten Ämtern, kein Einziger der Zuma-Seilschaft wurde bislang angeklagt.

Regelmäßig Aufschreie

Der Grund dafür: Zuma hatte auch die Ermittlungs- und Anklagebehörden, die seinen korrupten Machenschaften auf die Spur hätten kommen können, entweder aufgelöst oder geschwächt. Ihre Rehabilitierung dauere Jahre, sagen die neuen Behördenchefs. Für September hat die Generalstaatsanwaltschaft die ersten prominenten Anklagen angekündigt. Kein Wunder also, dass die Nerven blank liegen.

Überraschend klar setzte sich bei der Vorstandssitzung Anfang vergangener Woche Parteichef Ramaphosa durch. Erstmals gab danach nicht Generalsekretär Magashule, sondern der Präsident selbst die Ergebnisse der Sitzung öffentlich bekannt: So konnte Magashule die Vorstandsbeschlüsse nicht wie früher auf seine Weise biegen. Kern der neuen Parteilinie ist, dass der Korruption angeklagte ANC-Funktionäre ihre Ämter ruhen lassen müssen, selbst wenn sie noch nicht rechtskräftig verurteilt worden sind. Bisher galt in der Partei der Grundsatz: "Unschuldig bis zum Beweis des Gegenteils". Mehrere Parteimitglieder, die bereits in anderen Zusammenhängen der Korruption angeklagt wurden, befinden sich noch immer in ihren alten Ämtern oder wurden gar in neue eingesetzt – ein Vorgang, der regelmäßig für öffentlichen Aufschreie sorgte.

Rücktritte Fehlanzeige

So wurde die Bürgermeisterin von Durban, Zandile Gumede, die sich wegen manipulierter öffentlicher Aufträge vor Gericht verantworten muss, zwar nach langem Hin und Her ihres Amtes enthoben. Allerdings setzte sie der ANC gleich wieder als Abgeordnete des Parlaments der KwaZulu-Provinz ein. Zwei ANC-Stadträte, die sich in der Limpopo-Provinz an der Plünderung einer Bank und dem Verlust der Einlagen tausender Kleinsparer beteiligt hatten, wurden nach einer kurzen Schonfrist rehabilitiert, ohne dass das Ende ihres Verfahrens abgewartet wurde. Schließlich dient ein ehemaliger Geheimdienstminister noch heute als Vorsitzender des parlamentarischen Innenausschusses, obwohl er im vergangenen Jahr wegen Korruption angeklagt wurde.

Selbst nach dem Beschluss des ANC-Vorstands trat bislang keiner der angeklagten "Comrades" zurück – wie ein junger ANC-Stadtrat in Port Elizabeth, der wegen schwerer Körperverletzung verurteilt wurde, weil er einen oppositionellen Kollegen mit einem Wasserkrug niedergeschlagen hatte. Obwohl er laut ANC-Verfassung zurücktreten müsste, amtiert er drei Jahre nach seiner Verurteilung noch immer. Zudem er wird offensichtlich vom Generalsekretär Magashule gedeckt, der selbst in mehrere Korruptionsskandale verwickelt ist. Der ANC sei gar nicht in der Lage, sich selbst zu reformieren, ist der Ökonom Peter Attard Montalto überzeugt: weil er damit seine eigene, ebenfalls auf krummen Geschäften beruhenden finanzielle Grundlage zerstöre. Der ANC sei nur an der Wahlurne zu schlagen, meint der nüchterne Wirtschaftsanalyst: "Doch auch das ist angesichts der mangelnden Alternativen eher unwahrscheinlich." (Johannes Dieterich aus Johannesburg, 12.9.2020)