Die "FAS" warf ein Böhmermann-Interview kurz vor Andruck aus dem Blatt – der Satiriker ("ZDF Magazin Royale" ab November) twitterte das Gespräch.

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Die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" führte ein Interview mit TV-Satiriker Jan Böhmermann, eingeplant für das vergangene Wochenende. Laut Böhmermann ließ Herausgeber Jürgen Kaube das Interview kurzfristig aus dem Blatt werfen, es erschien ohne diesen Beitrag. Böhmermann protestiert in einem Brief an Kaube und veröffentlichte das Interview in 73 Teilen auf Twitter.

In einem ebenfalls auf Twitter veröffentlichten Brief bittet Böhmermann um eine Stellungnahme Kaubes zu den Vorgängen.

Böhmermann fasst das Interview in dem Brief zusammen mit: "Das Gespräch drehte sich unter anderem um 'Cancel-Culture', eine kritische Betrachtung des Versagens demokratischer Gatekeeper im Erkennen und Verhindern rechtsextremer Diskursmanipulation und, na klar, ein bisschen was zum Schmunzeln war auch dabei."

"Medienwandel is a bitch – aber auch keine größere als Demokratie allgemein"

Die "FAS" wollte etwa wissen, ob man sich vor dem "Social-Warrior-Twitter-Mob", vor Jan Böhmermann und seinen 2,2 Millionen Followern fürchten müsse. Böhmermann im unveröffentlichten, von ihm getwitterten Interview dazu:

"Grundsätzlich ja. Ich kann das schlecht geschauspielerte Gejammer über das Phantom Cancel-Culture menschlich nachvollziehen. Es fühlt sich sicher beschissen an, wenn man hauptberuflich von der Großartigkeit seiner eigenen Position derart überzeugt ist, dass man persönlich beleidigt davon ist, dass man innerhalb von fünf Minuten von zehn anonymen Twitter-Nutzerinnen auf 280 Zeichen argumentativ ausmanövriert wird. Oder wenn Du als unfehlbarer Querdenker-Kabarettist die geniale Idee hast, deinem senilen Publikum mit antisemitischem Geraune oder regressivem Volkswitz den allertraurigsten Applaus aus den toten Händen zu saugen und das dann jemand im Internet bemerkt und Dir laut hörbar widerspricht. Wenn ich die Informationshefte der Bundeszentrale für politische Bildung richtig verstanden habe, geht es bei Demokratie um den Wettstreit der Ideen. Und wenn Deine Idee schlecht ist, dann schluck's runter und denk Dir was Schlaueres aus und fantasier nicht irgendwelche Cancel-Cultures herbei oder sehne Dich gar gleich neuen Autoritäten, die dir deine kleine Sperrholz-Wahrheit vor dem bösen Wolf beschützen. Horizont erweitern geht auch nach innen. Das Medium Twitter macht es nun einmal möglich, auch komplexe Gegenmeinungen so pointiert zu artikulieren, dass Du davon als Großkabarettist oder Leitmediums-Chefredakteur berührt wirst. Medienwandel is a bitch, aber auch keine größere als Demokratie allgemein. Das ist doch toll!"

"Bloß Angst und lausige Krisenkommunikation"

Böhmermann verweist in dem von ihm getwitterten Interview etwa auf "diese gezielten Manipulationskampagnen, wie der von Rechtsextremen im Dark Web orchestrierten Empörungswelle rund um die WDR-Satire mit der Umweltsau-Oma im Hühnerstall". Der Intendant des WDR habe da "kein argumentatives Problem" gehabt, "sondern bloß Angst. Er hätte jederzeit selbstbewusst und breit unterstützt von der bärenstarken Institution WDR die ja nun wirklich nicht sehr neue Kunstform Satire erklären können." Er aber habe sich "in lausiger Krisenkommunikation geübt und am Ende Inhalte und die eigenen Mitarbeiter preisgegeben".

"Kommentieren redaktionelle Entscheidungen nicht"

Anlass des Interviews war Böhmermanns neues Buch "Gefolgt von niemandem, dem du folgst", in dem er wesentliche Teile seiner Tweets von 2009 bis 2020 abdruckt, ausgewiesen als "Twitter-Tagebuch".

Der STANDARD bat die Kommunikationsabteilung der "FAZ" um Stellungnahme. Eine Sprecherin erklärt: "Wir kommentieren redaktionelle Entscheidungen nicht". (fid, 11.9.2020)