Bis Ende Oktober gastiert das Studio Berlin im Berliner Club Berghain.

Foto: Rirkrit Tiravanija, courtesy neugerriemschneider Berlin, Foto: Noshe

Ein riesiges Transparent grüßt von der Dachkante des Berghain, des weltberühmten Berliner Clubs: "MORGEN IST DIE FRAGE". In diesen Tagen mehr denn je: Denn wenn es nach den Vorstellungen von wahrscheinlich sehr vielen Feierwilligen in aller Welt geht, sollte diese Institution des Nachtlebens besser morgen wieder aufsperren. Seit März ist das Berghain dicht, eine Wiedereröffnung ist nicht in Sicht, ein realistisches Hygienekonzept für einen Ort, an dem Schweiß und Nähe, Drogen und Sex zum Programm gehören, auch nicht. So bleibt also bis auf Weiteres das Morgen die Frage.

Wie es in Berlin aber zum Usus gehört, hat sich nun eine Zwischenlösung gefunden, die sich schon an den ersten Tagen zu einem der angesagtesten Events in der Stadt entwickelt hat: eine Kunstausstellung in den heiligen Hallen des Techno. Das Sammlerpaar Boros, schon bisher durch seinen Kunstbunker unweit des Deutschen Theaters in Berlin-Mitte mit einer der markantesten Locations der Szene assoziiert, hat für das Berghain unter dem Titel "Studio Berlin" eine Schau organisiert, die mehr ist als nur ein Gruß aus dem Depot.

Geballte Gegenwart

Die "künstlerische Produktion Berliner Ateliers der Gegenwart" wird hier versprochen, und tatsächlich ist in dem ehemaligen Fernheizwerk nun eine Menge zu sehen, was einerseits deutlich auf die zurückliegenden Corona-Monate verweist, andererseits auch den Ort spezifisch würdigt. So wird der Rundgang zu einem zweifachen Ereignis: zum einen eine durchaus touristische Begehung eines Ortes, an den man sonst nicht so leicht kommt (die Türsteher des Berghain lassen kafkaeske Erfahrungen manchmal wie einen Lercherlschas wirken), zum anderen eine ortsspezifische Großinstallation mit über hundert (zum Teil dann wieder sehr kleinen) Kunstwerken.

Wer ein Ticket für eine der Führungen ergattert hat, muss zuerst einmal die Kameraöffnung des Telefons abkleben lassen. Dann geht es in 16er-Gruppen einmal durch die Räume: Begrüßt wird man von einer Boje, die Julius von Bismarck in den hohen Raum gehängt hat, sie ist datentechnisch mit einer echten Atlantikboje verbunden, deren Bewegungen sie exakt nachvollzieht. Sieht gut aus, ist aber eher leer spektakulär. Überzeugender dann ein riesiger Blumenstrauß von Willem de Rooij, der den Charakter des Gebäudes (der auf die härtesten Epochen der Industrialität verweist) mit einer pointierten Duftnote versieht.

Hieronymus Bosch im Klo

Im regulären Betrieb nutzt das Berghain nur einen Teil des Gebäudes. Studio Berlin aber bespielt auch die Halle, mit einem monumentalen Videobrunnen von Julian Charrière etwa, in dem Wasser und Feuer aufeinander einregnen/einprasseln, oder mit einem kuriosen Maximundus, das Raphaela Vogel auf einer Auktion gefunden hat und das hier nun sehr gut hineinpasst: die Tower Bridge und andere Sehenswürdigkeiten in realistischen Nachbildungen in Basketballergröße.

Das Kunstwerk, das am ehesten den Geist von Studio Berlin vertritt, muss man hingegen suchen: auf einer hinteren Klowand eine Handgravur einer Szene aus einem Bild von Hieronymus Bosch. Weitere Tipps: Carsten Nicolai, Tacita Dean, John Bock, Josephine Pryde, Jonas Brinker. (Bert Rebhandl, 11.9.2020)