Florian Gravogl

Die Übersetzung der österreichischen Gebärdensprache (ÖGS) ins Deutsche ist keine leichte Übung. Es ist viel gleichzeitig zu tun: Verstehen, das Transferieren von der Ausgangs- in die Zielsprache, Sprechen und die gehörlose Person mit dem Tempo steuern, wenn es nötig ist. Es braucht viel Übung. Es wird aber einfacher, je länger man den Job ausübt und auch die Person besser kennt und weiß, wie sie gebärdet. In der ÖGS gibt es regionale Unterschiede und neue verschiedene Dialekte. Auch Jugendliche gebärden teilweise anders als gehörlose Senioren. Ich dolmetsche alle Bereiche des menschlichen Lebens, wie Arztbesuche, Uni-Vorlesungen, aber auch Pressekonferenzen oder Nationalratssitzungen.

Mit 22 habe ich aus Interesse meinen ersten Gebärdensprachkurs begonnen. Ich habe in einer Studenten-WG neben dem Witaf, einem Verein für Gehörlose in Wien, gewohnt. Dadurch wurde mir erst bewusst, wie viel Gehörlose es gibt. Ich habe Bildungswissenschaften studiert und auch Vorlesungen zu Gehörlosenpädagogik besucht. Außerdem habe ich in dieser Zeit in einer Betreuungseinrichtung und in einer Beratungsstelle für taubblinde und hörsehbehinderte Menschen gearbeitet. Nach ein paar Gebärdensprachkursen wollte ich dann aber keine Kurse mehr besuchen und bin mit einer Kollegin zu einem Clubabend des Witaf gegangen. Dort kommen hauptsächlich ältere gehörlose Menschen zusammen, plaudern und tauschen sich aus. Wir wurden sehr nett aufgenommen. Ich habe meinen Mann dort kennengelernt, er war damals Obmann des Vereins. Mein Wortschatz ist dann explodiert. Wir haben gemeinsam Veranstaltungen besucht, und ich habe dort Dolmetscherinnen bei ihrer Arbeit beobachtet. Ich war fasziniert von diesem Beruf, aber noch ein Studium wollte ich dafür nicht machen. In Graz gibt es ein Universitätsstudium, das allerdings kombinationspflichtig mit einer anderen Fremdsprache ist.

Muttersprachniveau

Ich habe mich für eine eineinhalbjährige berufsbegleitende Variante entschieden, die der Österreichische Gebärdensprach-DolmetscherInnen- und -ÜbersetzerInnen-Verband angeboten hat. Die Prüfung legte ich 2013 an der Uni in Graz ab.

Das war für mich der Startschuss als Dolmetscherin. Als fertige ÖGS-Dolmetscherin muss man die Sprache schon auf Muttersprachniveau beherrschen. Auf das Niveau eines Gehörlosen kommt man aber nie. Grundsätzlich heißt es, dass man nicht mehr als 20 Stunden in der Woche aktiv dolmetschen soll. Das ist aber nicht die Realität. Der Dolmetschermangel in Österreich wäre noch schlimmer. Ich habe erst wieder Ende Oktober einen Termin frei. Ab einer Stunde arbeitet man zu zweit. Wir wechseln uns alle fünfzehn Minuten ab. In der Zeit hat man keine Pause, sondern man ist für die Kollegin da, bringt sich ein, wenn sie etwas überhört oder übersieht.

Soziale Kompetenz ist in diesem Job aus meiner Sicht unerlässlich. Ich kann nicht einfach zu einem Termin kommen, die Dienstleistung erbringen und wieder gehen. Man sitzt nicht wie andere Dolmetscher in einer Übersetzungskabine, es besteht zwischenmenschlicher Kontakt mit dem hörenden und den gehörlosen Kunden. Es braucht auch ein hohes Maß an Empathie, und wie in jeder anderen Sprache muss man die Kultur verstehen. Gehörlose Personen sind sehr direkt, das muss man bei der Übersetzung ins Deutsche berücksichtigen. Es ist wichtig, abzuwägen, wie die Personen zueinander stehen, wie gut sie einander kennen. Wenn ich die Personen nicht kenne, hole ich vor jedem Termin eine Vorabinformation ein. Der Klassiker ist: Du bist aber dick geworden. Dem Chef kann ich das nicht so wiedergeben. Da umschreibe ich das charmant. Es gibt auch kein "Sie" in der Gebärdensprache. Das muss man adäquat dolmetschen. Wenn die Person in einem Unternehmen arbeitet, in dem alle per Sie sind, kann man als Dolmetscherin viel anrichten.

Setting bestimmt Wortwahl

Es gibt auch unterschiedliche Sprachregister. Das ist die Wortwahl, die in bestimmten Settings verwendet wird. Ich kann bei einem Elternsprechtag zum Beispiel nicht so gebärden wie in einer Nationalratssitzung. Bei einem Elternsprechtag stelle ich mich dem Lehrer vor, rede vorab mit den Eltern und bringe sie zusammen, wenn sie das möchten. Im Parlament dolmetschen wir nur die Reden, keine Zwischenrufe. Beim Elternsprechtag gebärde ich auch, was nebenbei gesagt wird.

Die Gebärdensprache ist zu meiner Alltagssprache geworden. Mein Mann ist wie schon erwähnt gehörlos, und unsere beiden Töchter wachsen bilingual auf. Bereits als Babys konnten sie sich schon viel früher mitteilen. Am liebsten würde ich allen Eltern raten, die Gebärdensprache einzusetzen. (Protokoll: Stefanie Leschnik 14.9.2020)