Der Standort Steyr steht laut Volkswagen-Konzern "zur Disposition". Seit über 100 Jahren werden in der oberösterreichischen Stadt Lkw gebaut.

Foto: FOTOKERSCHI.AT/WERNER KERSCHBAUM

Die Gerüchte über grobe Umstrukturierungen samt massivem Personalabbau auch am MAN-Standort Steyr gab es schon länger – wohl der Grund, warum an diesem sonnigen Freitagmorgen abseits der produktiven Hektik wenig Nervosität zu spüren ist. Viele der Mitarbeiter, die die Werkstore verlassen, üben sich in Gelassenheit. Eine Gruppe junger Lehrlinge erzählt, man habe am Morgen von den möglichen Plänen erfahren, wirkliche Angst um den Job scheint in der Gruppe aber niemand zu haben: "Wir sind hier in Steyr gut aufgestellt, und es wurde in letzten Jahren viel investiert. Die sperren den Laden sicher nicht zu."

Am Freitag wurden aus manchen Gerüchten Fakten: Der Volkswagen-Konzern, zu dem MAN gehört, will bei dem Lkw- und Bushersteller in Deutschland und Österreich rund ein Viertel aller Stellen streichen – insgesamt 9500. Der Konzern will Kosten reduzieren und das Ergebnis mittelfristig um rund 1,8 Milliarden Euro verbessern. Die Betriebe im sächsischen Plauen und Wittlich im Bundesland Rheinland-Pfalz könnten der geplanten Neuausrichtung zum Opfer fallen, Entwicklung und Produktion sollen an andere Standorte verlegt werden. Auf der Streichliste stehen aber möglicherweise auch die 2300 Mitarbeiter in Steyr. Der Standort steht "zur Disposition", so der Konzern per Aussendung.

Nicht das erste Mal

Der Steyrer Bürgermeister Gerald Hackl (SP) sieht diesen Passus im STANDARD-Gespräch optimistisch. Aus "Der Standort Steyr steht zur Disposition" könne er nicht herauslesen, dass MAN in Steyr bald Geschichte sei. "Ich lebe lange genug Steyr und habe das schon öfter miterlebt. Der MAN-Vorstand legt halt jetzt wieder einmal ein Horrorszenario auf den Tisch. Jetzt wird verhandelt, und dann sind hoffentlich alle zufrieden. So war es meist in der Vergangenheit", ist Hackl überzeugt. Die Lkw-Produktion hat in Steyr eine mehr als 100 Jahre lange Tradition, seit 1999 befindet sich dort die gesamte Fertigung der leichten und mittleren Baureihe von MAN.

Die Landespolitik appelliert, die Ergebnisse der Verhandlungen über die Umstrukturierungen abzuwarten. "Aus unserer Sicht sprechen aber viele gute Gründe für einen Erhalt des Standorts Steyr", sagte Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (VP). Steyr spiele auch mit der Fertigung von Sonderfahrzeugen und Fahrerhäusern sowie insbesondere auch dem Bau von Lkws mit Elektromotorisierung eine wichtige Rolle im MAN-Konzern. Wirtschaftslandesrat Markus Achleitner (VP) sekundierte: "Selbstverständlich steht auch das Land im Rahmen seiner Möglichkeiten zu standortpolitischen Unterstützungsmaßnahmen bereit."

Schärfere Töne schlugen die Gewerkschaften an. In der Ankündigung des Konzerns wird das Vorhaben als "Grundstein für nachhaltigen Unternehmenserfolg" beschrieben. "Perfider und zynischer kann man einen solchen massiven Kahlschlag nicht ankündigen, so Vertreter der heimischen Produktions- und Privatangestelltengewerkschaft: "Das MAN-Management will einsparen. Dann doch bitte bei sich selbst", forderten sie den Rücktritt des MAN-Vorstands. Auch die deutsche IG Metall will nicht hinnehmen, "dass die Beschäftigten für Corona und für jahrelanges Missmanagement des Vorstands bestraft werden", erklärte IG-Metall-Vorstand Jürgen Kerner. Er ist auch Vize-Chef des MAN-Aufsichtsrats. Der deutsche Betriebsrat kündigte vehementen Widerstand an.

Kein Kahlschlag in Industrie

MAN, das in der Corona-Krise tiefrote Zahlen geschrieben hat, galt schon vorher als Problemfall des Lkw-Geschäfts von Volkswagen, das der Konzern 2019 unter dem Namen Traton an die Börse gebracht hat. MAN-Chef Andreas Trostmann, dessen Vorgänger im Streit um eine Neuausrichtung von Arbeitnehmervertretern gestürzt wurde, verschärft nun den zuvor eingeschlagenen Sparkurs. Bisher war in Medien von rund 6000 gefährdeten Stellen die Rede gewesen.

Die Automobilindustrie ist nicht erst wegen Corona unter Druck. Besonders die Neuausrichtung in Richtung Ökologie macht der Branche zu schaffen, erklärt Herwig Schneider vom Industriewissenschaftlichen Institut (IW), der aber zugleich beruhigt: Auch wenn MAN aus Österreich abwandert, werde es keinen Kahlschlag geben. Die Branche sei vor der Krise gut aufgestellt gewesen. Nur wenige heimische Betriebe seien – wie MAN – rein automotiv unterwegs. Das erhöht die Flexibilität, sich an ein neues Umfeld anzupassen. (Markus Rohrhofer, Aloysius Widmann, 11.9.2020)