Der bekannte frühere Werber Harry Bergmann twittert, Rassisten hätten es im Wiener Wahlkampf gut, denn sie könnten zwischen drei Parteien wählen: ÖVP, FPÖ, Strache. Wenn es ein Trost ist: Die rassistische FPÖ hatte schon einmal 30 Prozent. Aber die ÖVP hat sich ganz klar entschlossen, zu einer nationalpopulistischen Partei ("Orbán light") zu werden.

Die Frage ist, wie sehr das Wien-Bashing, das Kanzler Sebastian Kurz eifrig betreibt (zuletzt mit seinem Drängen, die Corona-Kommission möge Wien auf Ampel-Orange stellen), dann doch etliche bewusste bürgerliche Wienerinnen und Wiener davon abhält, türkis zu wählen. Wenn die Neos noch einen Funken Kampfgeist haben, dann setzen sie sich auf dieses Thema.

Kurz trat übrigens beim Wahlkampfauftakt der Wiener ÖVP mit der Ansage an, man müsse eine absolute Mehrheit der SPÖ verhindern. Da er über ein ausgezeichnetes Umfrageteam verfügt, ist da möglicherweise mehr dahinter als der Aufbau eines Wahlkampfpopanzes. Eine Mandatsmehrheit ist in Wien mit rund 46 Prozent der Stimmen zu bekommen, da ist es allerdings noch weit hin von den 41 Prozent, die die Umfragen der SPÖ jetzt ausweisen.

Bürgermeister Michael Ludwig beim Wahlkampfauftakt der SPÖ Wien.
Foto: APA/ROBERT JAEGER

Wie auch immer, Michael Ludwig wird diese Wahl gewinnen. Die Frage ist, was er dann damit machen wird. Koalitionsmäßig wird es wohl bei Rot-Grün bleiben. Ludwig mag sich wohl etwas vom Wirtschaftsflügel der "alten" schwarzen ÖVP versprechen, aber er bekäme unweigerlich Türkis und damit einen absoluten Störfaktor als Partner. Nicht nur in der "Ausländerfrage".

Hässliche Investorenarchitektur

Was wird Ludwig also mit dem Wahlsieg machen? In aufsteigender Reihenfolge ein paar Problemfelder: Es wäre wieder einmal eine Bestandsaufnahme fällig, inwiefern die Wiener Bausubstanz durch banale bis hässliche Investorenarchitektur zerstört wird. Das reicht von stilwidrigen Dachaufbauten in Gründerzeitvierteln bis zur Zerstörung der Ortsbilder der alten Heurigenvororte. Ein schwierig zu fassendes Thema, es bedürfte einer Stadtrat-Persönlichkeit, die sowohl über Stilgefühl wie Durchsetzungsfähigkeit verfügt.

Ein weiteres Thema wäre die Integration des Radverkehrs in ein zukunftsweisendes Verkehrskonzept. Was jetzt gemacht wird, ist pop-up, um bestehende, völlig unzureichende Strukturen zu verbessern. Jeder kann sehen, dass Radfahren massiv zunimmt, gleichzeitig zu wenig Platz dafür da ist, aber auch (oft als Folge) Undiszipliniertheit einreißt. Wien muss viel mehr eine Radstadt werden.

Was immer man für Witze über "Kein Little Ampflwang" machen kann (dort ist die unglückliche Integrationsministerin Susanne Raab aufgewachsen) – das Zuwanderungsthema ist ernst. Wenn ein Drittel der Einwohner nicht wählen darf, dann heißt die Antwort leichtere Staatsbürgerschaftsverfahren. Das gilt vor allem für Junge. Beim Bildungsthema gibt es nur eine Gewissheit: So wie jetzt geht es nicht. Wenn 50 Prozent der Volksschüler Migrationshintergrund haben, dann kann man nicht gewaltige Analphabetenraten zulassen. Wien darf kein neues Subproletariat produzieren. Wien darf nicht mehr an der Realität vorbeischweigen. Die Stadt hat sich soziologisch und meinetwegen ethnisch gewandelt (wie schon einmal um 1900), und zwar nicht nur wegen der Muslime. Das ist nicht in Form von halbwahren Schreckensmeldungen zu behandeln, sondern mit konkreter Politik.

Wenn Ludwig die Wahl gewonnen hat, kann er das auch als Absage an die reaktionären Konzepte der drei rechten Parteien interpretieren. (Hans Rauscher, 12.9.2020)