Stephan Pauly, neuer Chef des Wiener Musikvereins

Wolf-Dieter Grabner

Konzerthausleiter Matthias Naske

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Zweckoptimismus gehört zur Grundphilosophie eines Veranstalters. Selten jedoch war Zuversicht so notwendig und zugleich auf so schwankendem Prognoseboden unterwegs. Stephan Pauly, der neue Chef des Wiener Musikvereins, ist trotz der über allem schwebenden unterschiedlichen Ampelfarben jedenfalls guter Dinge: Es gebe zwar "so viele Unbekannte, dass wir die Szenarien Woche für Woche neu beobachten müssen. Dennoch freuen wir uns, in die Saison starten zu können. Das Kulturleben kehrt zurück."

Nebst einem durchdachten Sicherheitskonzept erwarten Besucher Konzerte ohne Pause: "Wir alle sehnen uns zurück zu einer Situation, in der wieder normal gespielt werden kann. So gesehen sind die Konzerte ohne Pause eine Form der Überbrückung. Man muss dankbar sein, dass hierzulande die Möglichkeit besteht, mit 1200 Leuten zu veranstalten, dass Klassik auf diesem Niveau stattfinden kann.

Die Kompromisse mit Konzerten ohne Pause gehören dazu." Grundsätzlich will Pauly seine Zukunftskonzepte evolutionär implantieren: "Die Institution steht in solch einer Blüte! Mein Vorgänger Thomas Angyan hat in über 32 Jahren international eine unvergleichliche Dichte an Angeboten geschaffen, da gibt es keine Notwendigkeit der Verbesserung. Vielleicht aber die Möglichkeiten, neue Dinge hinzutreten zu lassen."

Die steigenden Zahlen

Die großen Abo-Zyklen werden bleiben, gehen nahtlos weiter. Er habe in seinen früheren Tätigkeiten zwar "viele ungewöhnliche Formate entwickelt. Aber Formate sind kein Selbstzweck, ich suche sie nicht als Effekt", sagt Pauly und ist da wohl einer Meinung mit Konzerthauschef Matthias Naske, der die Saison bereits eröffnet hat.

Beide Intendanten sind allerdings aufmerksame Beobachter der Corona-Zahlen und der Vorgaben durch das Ampelsystem. "Die grüne Stufe kennen wir sehr gut, auf sie hin haben wir den Saisonstart ausgerichtet", so Pauly. "Bei Gelb gibt es nur einen Unterschied zu Grün: Masken müssen auch während des Konzertes getragen werden. Bei Orange reden wir aber über maximal 250 Besucher. Für die Konzerte im Goldenen Saal und im Brahmssaal würde man genau schauen müssen, was überhaupt möglich ist."

Nicht eskalieren lassen

Naske sieht in Orange auch eher Ungemütliches nahen: "Orange würde, den kursierenden Informationen gemäß, einen erneuten kompletten Stillstand der großen Häuser nach sich ziehen." Eine der konkreten Herausforderungen zurzeit sei auch, "die Verunsicherung jener, die am kulturellen Leben teilhaben wollen, nicht eskalieren zu lassen. Niemand soll sich fürchten. Alle kulturellen Einrichtungen arbeiten intensiv und mit Verantwortungsgefühl gegenüber allen Beteiligten daran, erneuten Stillstand zu vermeiden."

Ein kultureller Lockdown hätte gravierende wirtschaftliche Folgen. "Entscheidend ist, dass die objektiv messbare Qualität der Sicherheitskonzepte und die räumliche Beschaffenheit der Spielstätten und deren technische Ausstattungen Einfluss auf die Begrenzung der Anzahl der Besucherinnen und Besucher haben. Die Politik muss hier differenziert vorgehen", so Naske.

Subvention als Baustein

Ohnedies wird Politik bei beiden Häusern auch finanziell stützen müssen: Die zwei Prozent Subvention "sind für uns ein wichtiger Baustein", sagt Pauly, "aber die Situation ist nicht leicht bewältigbar, auch bei uns entstehen erhebliche Einbußen. Wir nehmen Hilfe vom Nonprofitfonds in Anspruch, auch haben wir von der Kurzarbeit profitiert. Zudem nutzen wir die Umsatzsteuerreduktion. Aber das zentrale Problem ist: Diese Hilfen adressiert die Kosten des Betriebes, nicht die einbrechenden Einnahmen. Das ist es, worüber ich mit der öffentlichen Hand spreche."

Auf Finanzielles verweist auch Naske. "Das Grunddilemma bleibt, dass Veranstalter anderen zeitlichen Parametern folgen, als die epidemiologische Konstellation es nahelegt. Wir können Spielpläne nicht plötzlich komplett flexibel gestalten." Engagements von Musikern oder Orchestern aus anderen Ländern würden Monate, oft Jahre im Vorhinein mit bindenden Verabredungen vereinbart, die mit Verpflichtungen zur Kostenübernahme verbunden sind. "Das finanzielle Risiko, zu veranstalten und das kulturelle Leben lebendig zu halten, war noch nie so groß wie in diesen Monaten."

Exzellente Arbeit

Vielleicht wird nächstes Jahr, wenn Pauly seine Ideen für die Saison 2021/22 präsentiert, die Unsicherheit gewichen sein. Der Kölner brennt jedenfalls darauf, das Traditionshaus behutsam weiterzuentwickeln. Zudem betont er die Bedeutung des historischen Erbes, das Archiv und Bibliothek hüten. "Ein großer Schatz! Er unterscheidet uns weltweit von allen anderen. Wir wollen weitere Möglichkeiten schaffen, diesen Schatz mit unserem Konzertleben zu verknüpfen." Wer Paulys exzellente Arbeit bei der Mozartwoche kennengelernt hat oder sieht, dass er an der Alten Oper Frankfurt Projekte gar mit Performerin Marina Abramović initiiert hat, ahnt jedoch: Da kommt noch einiges an Ideen. Aber evolutionär und hoffentlich Corona-befreit. (Ljubisa Tosic,12.9.2020)