Die Ordnung verfügt, dass diese beiden nicht zusammenkommen können: Sigismund (Franz Pätzold) und Rosaura (Julia Riedler).

Andreas Pohlmann

Ist die Welt ein von Gott inszeniertes Theater, fragt Pedro Calderón de la Barca im Stück "Das Leben ein Traum". Wenn ja, dann hat dieser Schöpfer ein extrem finsteres Gemüt. In Martin Kušejs Eröffnungsarbeit am Burgtheater bleibt dieser Weltentraum jedenfalls ein tief eingeschwärzter Alp, ein unentrinnbarer Raum, in dem die Sonne nie aufgeht. In vielem erinnert dieser Spielzeitauftakt an Kušejs Herrmannsschlacht aus dem Vorjahr, das er als dystopisches Roadmovie durch die Geschichte unseliger Männerbünde zeigte.

Auch bei Calderón verbeißt sich der Regisseur im dämonischen Selbstbild des Mannes. Man sieht über drei Stunden lang Könige und Fürsten in semifantastischen Herrschaftsgewändern mit blinkenden Waffen grimmig hantieren (Kostüme: Heide Kastler). Zum Kriegen und Morden geboren, das scheint der Fluch zu sein. Kušej feiert einen märchenhaften Bad-Boys-Club in unzähligen Drehbühnenschwenks bedeutungsschwer ab, es gelingt ihm bzw. dem tollen Ensemble aber auch, deren Konflikte scharf auf den Punkt zu bringen.

Böse Vorsehung

Schwerwiegendes ist auch vorgefallen: Der polnische König Basilius (Norman Hacker) ließ einer bösen Vorsehung wegen seinen Sohn Sigismund (Franz Pätzold) gleich nach der Geburt wegsperren. Die Sterne weissagten ihm, der Spross wäre ein tyrannischer Herrscher geworden. In den späten Jahren seiner Regentschaft plagt ihn nun selbst das Gewissen, ob nicht er selber mit dieser Entscheidung tyrannisch verfahren sei und beschließt, den Sohn für einen Tag, den dieser als Traum erleben soll, an die Macht zu lassen. Das Experiment geht schief. Kaum in Freiheit erwacht, drückt Sigismund einem Diener (Gunther Eckes) schon den Kehlkopf ein.

Der Moment des Erwachens ist für Sigismund also der Beginn des vermeintlichen Träumens. Aus dieser Verwirrung wird er ein Leben nicht mehr herausfinden. Diese Schwelle ist zentrales Motiv des 1635 uraufgeführten barocken Lehrstücks über die Frage der Vorherbestimmtheit des Lebens. Fast 400 Jahre alt und doch hat sich das vertrackte Drama bis heute gehalten und obendrein viele Nachdichter gefunden, von Pasolini bis Grillparzer. Träumen wir unser Leben und erwachen erst im Tod? Die vom katholischen Staatsdichter Calderón bediente barocke Moral der Geschichte lautet, man möge doch im Gottvertrauen das eigene Schicksal nicht unnötig manipulieren.

Sigismund will sich am Ende, nachdem er von Aufständischen final aus dem Kerker befreit wurde, ebenfalls in diese gegebene Ordnung fügen und "recht tun", wie er sagt. Wie desillusionierend dieser Zustand aber im 21. Jahrhundert ist, darüber lässt Kušej am Ende keinen Zweifel. Eine ferngesteuerte Diktatur ist dann errichtet, in der Morde fortan eben legitimiert passieren und in der mit aller Gewalt auch die Eheordnung hergestellt wird. Man hat es kommen sehen.

Widerpart Rosaura

Und hier wohnt der Lichtblick der Inszenierung: Kušej hat die Figur der Rosaura, die auf Rachemission am Hof Basilius‘ gelandet ist, aufgewertet und sie komplementär zu Sigismund zur zweiten Hauptfigur erhoben. Julia Riedler (bis zuletzt an den Münchner Kammerspielen) verkörpert sie als großen Widerpart in einer Männerwelt, die ganz selbstverständlich die Gesetze vorgibt. Rosauras Sprechen ist ein kunstvolles Stocken, ein im Zorn über ihren abgezischten Bräutigam und das dazugehörige System beschädigtes Reden, das sie immer weitertreibt und das sich auch in ihrem Gegenüber Sigismund spiegelt. Ihre Auftritte lassen gar die Idee eines royalen Happyends aufblitzen, aber auch gleich dessen Unmöglichkeit. Ihr zur Seite steht, als zweiter Pechvogel dieser Ordnung, der Diener Clarin, dem Tim Werths in der launigen Übersetzung Soeren Voimas zu prächtigen Bonmots verhilft.

Dass Alptraum und Wirklichkeit eins sind, legt das düstere Bühnenbild von Annette Murschetz nahe. Der schwarze Kerker und der weiße Palast – sie werden zu einer allmählich ineinander wachsenden Hölle aus Anthrazit. Kušej erklärt das schmutzige Schüttloch eines Kohlenkellers zur Pforte der Wahrheit.

Perpektivwechsel

Hier, auf einem steil aufgeschütteten Berg Briketts, purzeln die Figuren herunter auf den Boden der Tatsachen. Hier singt der Diener als Willkommensgruß an den Erwachten ein Nessun dorma, eine Sprache, die Sigismund nicht versteht und sogleich im Mund des Sängers mit der Faust Erkundungen anstellt. Hier obwaltet Roland Koch als Fürst der Unterwelt und Sigismund-Aufpasser; hier steigt auch der König (Hacker) mit seinem unergründlichen Jack-Nicholson-Gemüt herab, und es empfehlen sich Estrella (Andrea Wenzl) und Astolf (Johannes Zirner) als königliche Notlösung.

Das Ende gehört überraschenderweise Rosaura. Ihr bei Pier Paolo Pasolini entliehener Schlussmonolog ist das Angebot, die Perspektive ein wenig mehr aus der Macker-Ecke hinauszudrehen. Und die Aufwertung der Rolle ist der Versuch, sich einen Nebenstrang des Dramas für diese Perspektive nutzbar zu machen. So wirklich glaubhaft wurde das aber nicht. Vielmehr blieb die Idee wie eine äußere Applikation auf einer typisch monumentalen Kušej-Arbeit haften. (Margarete Affenzeller, 12.9.2020)