Der sommerliche Wahlsonntag in Bregenz.

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Bregenz – Die politischen Machtverhältnisse in Vorarlberg haben sich am Sonntag deutlich verändert. Die allmächtige Volkspartei musste bei den Gemeindevertretungs- und Bürgermeisterwahlen viele Mandate abgeben. Bisher hielten ÖVP-Mandatare oder ÖVP-nahe mehr als zwei Drittel der insgesamt 1.800 zu vergebenden Sitzen in den Vorarlberger Gemeindevertretungen. 90 von 96 Kommunen waren in schwarzer Hand. Das hat sich am Sonntag verändert.

Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) zeigte sich nicht erfreut darüber, dass so ungewohnt viele schwarze Ortsvorsteher in die Stichwahlen müssen – allein in drei der fünf großen Städten des Landes. Er macht die Verluste seiner Parteikollegen einerseits an der gestiegenen Zahl an Gegenkandidaten fest, andererseits sei die gesunkene Wahlbeteiligung zum Nachteil der ÖVP gewesen.

Insgesamt 300.721 Bürgerinnen und Bürger waren wahlberechtigt. Die Beteiligung am Urnengang sank jedoch erneut, die Übersichtszahl fehlt derzeit noch. Mitschuld daran dürfte aber auch die Corona-Pandemie sein. Wegen des Virus mussten strenge Sicherheitsregeln befolgt werden. In Bregenz standen sogar Securitys vor den Wahllokalen. Offenbar in Voraussicht dieser Schwierigkeiten haben heuer 17,5 Prozent der Wahlberechtigten Briefwahlkarten beantragt – ebenfalls ein Rekord.

Duell um Bregenz in zwei Wochen

In der Landeshauptstadt jubelte die SPÖ. Ihr Bürgermeisterkandidat Michael Ritsch gewann zwölf Prozent dazu und kam auf 34,5 Prozent. Damit muss der bisher regierende ÖVP-Bürgermeister Markus Linhart, der auf 43,2 Prozentpunkte kam, in zwei Wochen in die Stichwahl. Es ist nicht das erste Mal für ihn, schon 2005 musste er gegen Ritsch ins direkte Zweierduell. Die SPÖ zeigt sich zuversichtlich, den angezählten Linhart vom Thron stoßen zu können und will in den kommenden zwei Wochen alles daran setzen, es zu schaffen, so Ritsch.

Auch Bludenz wird in 14 Tagen wieder wählen. VP-Bürgermeister Simon Tschann erreichte nämlich mit 47 Prozent in der Direktwahl nicht genug, um für seine Partei weiterregieren zu können. Sein Herausforderer Mario Leiter (SPÖ) kam auf 44,9 Prozent und wird nun versuchen, wieder eine Stadt im Ländle für die SPÖ zu gewinnen.

Klares Signal an Muxel in Lech

In Lech am Arlberg erlitt der seit 27 Jahren regierende VP-Ortschef Ludwig Muxel einen Dämpfer. Bei der Bürgermeister-Direktwahl erreichte er nur 35,5 Prozent, sein Herausforderer Stefan Jochum 47,6 Prozent. Beide werden in zwei Wochen zur Stichwahl antreten müssen. Auch in der Gemeindevertretung des Skiortes liegt die Opposition voran. Wie groß das Interesse an dieser Wahl in Lech war, wo man sie mit einem Votum über das neue Gemeindezentrum gleichsetzte, zeigte die Wahlbeteiligung, die auf 81 Prozent gestiegen ist.

In Raggal im Großen Walsertal wird es künftig mit Alexandra Martin eine weitere Bürgermeisterin im Ländle geben. Sie erreichte mit ihrer Liste 55,5 Prozent. Bisher gab es in Vorarlberg acht Bürgermeisterinnen. In Altach siegte Markus Giesinger (ÖVP) bei der Bürgermeister-Direktwahl mit 69,1 Prozentpunkten. In Schwarzach wurde Thomas Schierle (ÖVP) mit 81,4 Prozent im Amt bestätigt.+

Morgenröte im Ländle

Spannend aus roter Sicht ist auch das Ergebnis in Hard. Bisher fest in schwarzer Hand, konnte nun Vorarlbergs SPÖ-Chef Martin Staudinger für einen regelrechten Umsturz sorgen. Seine Liste errang zehn Mandate, die der ÖVP elf. Bei der Direktwahl konnte er seine VP-Konkurrentin Eva Maria Mair (32,8 Prozent) sogar überholen (35,4 Prozent).

Die SPÖ konnte ihre bisherigen beiden Bürgermeister-Sessel in Vorarlberg behaupten. Durch die Stichwahlen besteht für die Sozialdemokraten nun die Chance, noch drei dazuzugewinnen. Die FPÖ verlor einen und hält nun bei drei – könnte in Feldkirch theoretisch dank Stichwahl noch einen vierten gewinnen, aber das ist unwahrscheinlich. Neu ist die Bürgerliste Top in Hörbranz, die ein Zusammenschluss ist, bei dem auch die Grünen mitgemacht haben. Die Neos und Grünen hatten und haben weiterhin keinen Bürgermeister in Vorarlberg.

Interessante Rochaden

In der Gemeinde Nenzing verlor die FPÖ die absolute Mehrheit im Gemeinderat, dafür wurde der blaue Bürgermeister Florian Kaseroller im Amt bestätigt. Eine Patt-Situation. In Lochau erreichten die Grünen 37 Prozent der Stimmen. Auch Bludenz wird in 14 Tagen wieder wählen. VP-Bürgermeister Simon Tschann erreichte nämlich mit 47 Prozent in der Direktwahl nicht genug, um weiterregieren zu können. Sein Herausforderer Mario Leiter (SPÖ) kam auf 44,9 Prozent und wird nun versuchen, wieder eine Stadt im Ländle für die SPÖ zu gewinnen. In Hörbranz wurden der VP-Bürgermeister und die VP-Liste abgewählt.

Bruno Spagolla auf dem Weg zum Wahllokal in Bludenz. Der ehemalige Kommunalpolitiker rechnet mit einem Duell zwischen Rot und Schwarz um den Bürgermeistersessel.
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Sonniger Sonntag in Bludenz

In der Altstadt von Bludenz herrscht am Sonntagvormittag bereits rege Betriebsamkeit. Bruno Spagolla nutzt das spätsommerliche Wetter für einen Spaziergang zum Wahllokal. Als ehemaliger Kommunalpolitiker – er fungierte zuletzt als Ersatzgemeinderat der Grünen, hat sich mittlerweile aber gänzlich aus der Politik zurückgezogen – kennt er die Verhältnisse in seiner Heimatstadt gut. Er sieht eine Chance, dass Bludenz wieder unter rote Führung geraten könnte: "Aber zuletzt war das vor 25 Jahren so." Grund für den Wechsel könnte, so glaubt Spagolla, das Verhalten des langjährigen VP-Alt-Bürgermeisters sein: "Er war zu lange im Amt und zuletzt stur und rechthaberisch."

Der nun für die ÖVP antretende Newcomer Simon Tschann habe darunter zu leiden, glaubt Spagolla. Allerdings stellt er auch dem roten Herausforderer und Stadtrat Mario Leiter kein gutes Zeugnis aus: "Er wirbt mit Projekten und Ideen, ohne dabei auch die finanzielle Machbarkeit mitzubedenken." Insgesamt sei der Wahlkampf in Bludenz von "Allerweltsthemen" dominiert gewesen. Die Corona-Pandemie kam, wie in ganz Vorarlberg, kaum oder gar nicht vor. Mit Spannung erwartet Spagolla das Abschneiden der Grünen und der FPÖ: "Es wird interessant, ob diese den positiven oder eben negativen Bundestrend auf kommunaler Ebene nutzen können."

Alle gegen einen, lautet die Devise in Feldkirch. Die Opposition will eine absolute Mehrheit des regierenden VP-Bürgermeisters Wolfgang Matt verhindern.
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Wenig Interesse in Feldkirch

In Feldkirch ist vom Wahlsonntag wenig zu spüren. Hier verteidigt VP-Bürgermeister Wolfgang Matt die Spitzenposition. Die Devise der Opposition lautet: die schwarze Absolute zu verhindern. Ob das gelingt, ist noch völlig offen. Der ortsansässige Lehrer Patrick (31) hat nicht gewählt, wie er erklärt. Seine Begründung: "Es ist ein Dilemma. Ich kenne die Kandidaten jener Parteien, die ich grundsätzlich wählen würde. Aber eben weil dort diese Personen kandidieren, sind diese Listen für mich nicht mehr wählbar." Und jene Parteien, die er ohnehin nicht wählen würde, seien sowieso keine Option: "Zwischen Pest und Cholera will ich mich nicht entscheiden."

Die Kommunalpolitik erreiche mit ihren Themen die Wähler nicht, sagt Patrick. Er habe sich von keiner Partei angesprochen gefühlt. Bei ihm sei der Eindruck entstanden, dass es weniger um Politik, als um Bürokratie ginge. Die Dominanz der ÖVP in Feldkirch sieht er weniger dramatisch: "Weil es nicht die menschenverachtende, türkise ÖVP ist, die auf Bundesebene regiert." Überhaupt sehe er Bundes- und Kommunalpolitik völlig getrennt.

STANDARD-Wahlberichterstattung vom Fahrrad aus. Hier das Pop-up-Office in Feldkirch. Es gibt wahrlich schlimmere Arbeitsplätze.
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Cilia (29), Sozialpädagogin, kommt gerade vom Nachtdienst und genießt den sonnigen Vormittag in Feldkirchs Altstadt. Sie stammt aus Wald am Arlberg und hat ihre Stimme bereits via Briefwahl abgegeben, so wie mehr als 17 Prozent aller Wahlberechtigten in Vorarlberg. Ihr ist aufgefallen, dass der Gemeindevertretungs-Wahlkampf "überhaupt kein Thema im Bekannten- und Freundeskreis war". Es gab keinerlei Gespräche oder Diskussionen dazu.

In Dornbirn "wenig auszusetzen"

Die nach Einwohnerzahl größte und flächenmäßig drittgrößte Stadt im Ländle ist Dornbirn. Bürgermeisterin Andrea Kaufmann (ÖVP) regiert seit 2013. Sie hat politische Erfahrung als Landesrätin (2009 bis 2013) und 2011 wurde sie sogar zur Stellvertreterin des damaligen ÖVP-Bundesparteiobmannes Michael Spindelegger gewählt. Bei den heutigen Wahlen muss sie sich gegen vier Herausforderer behaupten. Ihre Chancen stehen gut, lautet die einhellige Meinung.

Für Tobias Werner ist die Stimmabgabe ein wichtiges Grundrecht, von dem er heut in Dornbirn Gebrauch gemacht hat.
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Tobias Werner (29) ist eigens zum Dornbirner Rathaus spaziert, um hier mittags seine Stimme abzugeben. Es sei ihm wichtig, von seinem demokratischen Recht Gebrauch zu machen, erklärt er: "Die Wahlbeteiligung ist wichtig, darum gehe ich wählen." Auch wenn er nicht daran glaubt, dass sich durch diese Wahl viel ändern wird: "Vorarlberg ist sehr schwarz und in Dornbirn läuft es gefühlt ziemlich gut, es gibt wenig auszusetzen." Vom Wahlkampf habe er wenig mitbekommen, da die Corona-Pandemie alles überschattet habe.

Badewetter in Bregenz

In der Landeshauptstadt spielte sich das Leben an diesem Wahlsonntag vor allem am Ufer des Bodensees ab. Auch die Diplom-Krankenschwester Agnes hat schon vorab die Option der Briefwahl genutzt und bereits ihr Kreuz gemacht. Den Sonntag verbrachte sie im Strandbad. Die Wahl sei ihr nicht leicht gefallen, erzählt sie. Sie fürchtet, dass die Wahlbeteiligung wegen der Corona-Krise erneut sinken wird. Umso wichtiger sie es ihr gewesen, abzustimmen und von ihrem Recht Gebrauch zu machen.

Von der Wahl erhoffe sie sich einen Paradigmenwechsel hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit. Denn im Moment hat sie das Gefühl, dass die Interessen der Wirtschaft im Zentrum des politischen Handelns stehen. Auch in ihrer Heimatgemeinde Dornbirn, die von der VP regiert wird. (Steffen Arora, 13.9.2020)