Dass Integrationsministerin Susanne Raabin sachlichem Ton von Menschen mit Migrationshintergrund redet und nicht von Ausländern, ist ein Fortschritt.

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Eine Familie, deren Kinder mit einem englischen Vater zweisprachig aufwachsen, erntet Lob und Bewunderung. Eine türkisch-, serbisch- oder rumänischstämmige Familie muss sich hingegen geradezu schämen, wenn sie zugibt, auch in der Muttersprache zu kommunizieren. Wir urteilen bei Mehrsprachigkeit mit zweierlei Maß, aber nicht nur dort. Unser gesamter Zugang zur Integration strotzt vor Ungerechtigkeiten.

Dass die Ministerin bei der Präsentation des Integrationsberichts in sachlichem Ton von Menschen mit Migrationshintergrund redet und nicht von Ausländern, ist ein Fortschritt, aber zu wenig. Integrationsarbeit wird noch immer als Bürde für die Mehrheitsgesellschaft dargestellt.

Neuerdings Systemerhalter

Sprechen wir doch einmal von der Verantwortung als Aufnahmeland und für alle hier geborenen Menschen als Heimatland: Billige Arbeitskräfte im Land haben, das ist gewollt. Sie verrichten seit Jahren in der Pflege, am Bau oder bei der Reinigung die "Drecksarbeit"; sie sind, wie man neuerdings sagt, Systemerhalter. Diesen Menschen und ihren Kindern gleiche Rechte und Chancen zuzugestehen, das ist scheinbar zu viel des Guten. Und wenn eine Migrantin, wie Melisa Erkurt in ihrem neuen Buch, Missstände anprangert, dann wird das als Undankbarkeit ausgelegt.

Erkurts Erfahrungsbericht aus ihrer Zeit als Lehrerin in Wien zeigt, wie im Bildungsbereich die Rechte von Kindern mit Migrationshintergrund ignoriert werden. Warum bestärken wir nicht alle Eltern, Mehrsprachigkeit in einer globalisierten Welt als Chance zu sehen? Wir wissen aus der Forschung, dass Kinder, die ihre Erstsprache gut beherrschen, später in der Volksschule besser und schneller Deutsch lernen als andere, die sich in keiner Sprache zu Hause fühlen.

Separierte Kinder

Warum separieren wir Kinder mit schlechten Deutschkenntnissen schon im Volksschulalter in euphemistisch genannte "Deutschförderklassen"? Dort werden sie meist von überforderten Lehrkräften unterrichtet und fallen oft um Jahre im Regelschulbetrieb zurück. Warum sprechen wir vor allem in Wien von "Brennpunktschulen" mit einem "zu hohen Anteil" an Migrantenkindern? Vielleicht weil die Existenz von "zu vielen" dieser Kinder als das Problem dargestellt werden soll, um von einem maroden Bildungssystem abzulenken, das ihre Bedürfnisse und Talente konsequent missachtet. Eine Bildungsreform scheint in weiter Ferne, umso mehr braucht es einen gerechteren Verteilungsschlüssel für Kinder mit Förderbedarf. So würden sich manche Probleme in der Integration von selbst lösen.

Mit dem verpflichtenden Kindergartenjahr wurde ein guter Anfang gemacht, aber es braucht ein noch stärkeres Bekenntnis zur frühkindlichen Bildung: vor allem mehr und besser bezahltes Kindergartenpersonal, um das Angebot ausweiten zu können. Ein so verbessertes Bildungssystem wird nicht nur Minderheiten zugutekommen, sondern allen. Damit wäre ein Anfang gemacht, mit einem Perspektivenwechsel weg von Integration als Belastung hin zu Integration als Chance: als Chance, unsere Gesellschaft ein Stück weit besser zu machen, für alle. (Philippe Narval, 13.9.2020)