Im September machte Ungarn die Grenze für Ausländer wieder dicht. Unter Auflagen gibt es Schlupflöcher.

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Sopron – Im Dienstleistungzentrum beim Stadion in der westungarischen Grenzstadt Sopron herrscht eine trübselige Stimmung. Wo es sonst von Österreicherinnen und Österreichern wimmelt, die sich hier die Haare machen, die Nägel lackieren oder das Make-up auftragen lassen und entsprechende Produkte shoppen, schlägt einem jetzt gähnende Leere entgegen. Friseurinnen, Kosmetikerinnen und Verkäuferinnen stehen traurig in den Eingängen ihrer Läden herum, um vergeblich auf eine Kundschaft zu warten, die nicht kommt.

Denn seit dem 1. September gilt im EU-Land Ungarn wegen der Corona-Pandemie eine Einreisesperre für Ausländer, auch für die Bürger des EU-Nachbarlandes Österreich. Ungarn, die aus dem Ausland zurückkehren, müssen in eine 14-tägige, behördlich überwachte Quarantäne Ministerpräsident Viktor Orbán, ein Rechtspopulist mit autoritärer Ader, wollte angesichts steigender Corona-Zahlen Entschlossenheit zeigen. Das Virus sollte "nicht aus dem Ausland eingeschleppt werden", verkündete er.

1.400 Neuansteckungen

Dabei hatte sich das Virus, wie selbst die eigenen Experten betonen, in einem sorglosen ungarischen Sommer schon seit Juli mit Partys, Hochzeiten und dicht gefüllten Stränden am Balaton (Plattensee) ausgebreitet. Allein am am Samstag und Sonntag verzeichnete die Gesundheitsbehörde 1.400 Neuansteckungen.

Die Verordnung über die Einreisesperre lässt nur wenige Ausnahmen zu. So dürfen Geschäftsreisende, die den Zweck ihrer Reise belegen könne, nach Ungarn kommen. Auch Tagespendler, die im grenznahen Bereich arbeiten, ersparen sich die Quarantäne. Nicht darunter fallen im Sinne der Verordnung jedoch jene Österreicher, die einfach nur in Sopron oder anderen grenznahen ungarischen Orten einkaufen oder Dienstleistungen in Anspruch nehmen wollen.

Unsichere Zukunft

"Das hat uns echt den K.O.-Schlag versetzt", sagt die Friseurin Renáta Szeles, die mit ihrer Kollegin Adrienn Horváth den "Adri-Reni-Frisiersalon" im Soproner Stadion betreibt. Den Lockdown im Frühjahr hatten sie eben noch irgendwie überstanden – damals waren in vielen Teilen Europas die Grenzen dicht. Es dauerte durchaus eine gewisse Zeit, bis danach die österreichische Kundschaft in gewohnter Stärke zurückkehrte. "Im August waren wir so weit", erzählt Szeles, "dass wir behaupten konnten: Jetzt wird es wieder."

Mit der neuen Grenzsperre ist nun wieder alles in Frage gestellt. Szeles und Horváth sind seit 21 Jahren in ihrem Laden, seit 18 Jahren betreiben sie ihn als Pächterinnen. "Es gibt Fixkosten, die Miete ist zu bezahlen. Das gilt für jeden hier. Niemand weiß, was die Zukunft bringt." Staatliche Hilfen gibt es für Mikro-Unternehmen wie ihres keine.

Lokale Wirtschaft macht Druck

Gelegentlich taucht im Straßenbild von Sopron dennoch das eine oder andere Auto mit österreichischem Kennzeichen auf. Die lokale Wirtschaft – möglicherweise mit Rückenwind der von Orbáns Fidesz-Partei kontrollierten Kommunalpolitik – baute offenbar so viel Druck auf, dass die ungarischen Beamten am Grenzübergang Klingenbach Österreicher mit der Auflage durchlassen, dass sie innerhalb von 24 Stunden zurückkehren und sich nicht weiter als 30 Kilometer von der Grenze entfernen. Unter der Hand wird auf die kaufkräftigen und –willigen Nachbarn die Tagespender-Regelung angewendet.

In der geltenden Verordnung findet sich dies allerdings in keiner Weise wieder. Deshalb lassen sich nur relativ wenige Österreicher darauf ein, die informelle Lockerung in Anspruch zu nehmen. Friseurin Szeles könnte sich deshalb die Haare raufen. "Es kommt trotzdem niemand", sagt sie entnervt. "Ich bin mit den Stammkunden über Facebook und WhatsApp verbunden und schreibe ihnen, dass sie ohne weiters kommen können. Aber sie wollen es mir nicht glauben! Wir streiten uns fast deshalb."

Eng verflochten

Seit 31 Jahren ist der "Eiserne Vorhang" weg, seit 16 Jahren ist Ungarn in der EU, seit fast 13 Jahren in der Schengen-Zone, womit die Grenzkontrollen zwischen Österreich und Ungarn wegfielen. Seitdem ist die Region Sopron wirtschaftlich und sozial eng mit dem Burgenland – und dem Großraum Wien – verbunden. Nicht nur Österreicher kommen als Kunden, sondern Ungarn arbeiten in Österreich. Dort verdienen sie wesentlich mehr, eignen sich aber häufig auch bessere Fachkenntnisse an. Viele kehren mit dem Ersparten nach Ungarn zurück und machen dort ein Geschäft auf.

Wie etwa die Unternehmerin Judit Marton, die mit ihrem Mann János in Sopron ein Dessous-Geschäft betreibt. "Ich habe 15 Jahre in Österreich gearbeitet, ebenso mein Mann, aber wir hatten stets vor, hier wieder etwas aufzubauen." Das kleine Geschäft in einer Nebengasse lebt nicht unbedingt von österreichischen Käufern.

Sparen statt konsumieren

Über die Jahre hat sich ihr "Fehérnemü Outlet" eine lokale Kundschaft erworben. "Viele haben wegen des Lockdowns und der unsicheren Lage den Job in Österreich verloren", klagt Marton. "Und selbst wer Geld hat, gibt es derzeit eher nicht aus." Die neue Grenzsperre, die die Ungewissheit steigert, hat ihrem Geschäft einen weiteren Schlag versetzt. Ohne Einnahmen und mit einem vor dem Frühjahr eingekauften Sortiment, auf dem sie sitzenzubleiben zu droht, sind auch ihre Aussichten düster. (Gregor Mayer, 14.9.2020)