"Entschuldigung, wo geht’s denn hier zum Empfang?" Der nicht mehr ganz junge waschechte Bayer ist mit einem halben Dutzend Begleitpersonen angereist, er betritt gerade das Kundencenter der Autostadt, dem Herzstück des riesigen Areals. Portilla Garcia, die mich durch die Anlage führt und erläutert, was sich seit der Eröffnung im Juni 2000 getan hat – eine Konstante ist der ständige Wandel oder so –, jedenfalls: die Mexikanerin weiß, wohin es geht: "Rolltreppe bitte rauf und anmelden." Freunde und Familie müssen draußen bleiben.

Denn da habe Corona zu gewissen Restriktionen geführt, ein neues Fahrzeug (der Marken VW und Seat) dürfe nur noch vom Eigner, der Eignerin übernommen werden, ohne Mehrpersonenspektakel. Derweil Frau Garcia dies nach geglückter Zielführung des ebenso netten wie aufgeregten Bayern erläutert, oben an der Galerie, von wo aus links das altehrwürdige Wolfsburger Schloss und geradeaus die Fußballarena zu sehen sind, fährt eine junge Dame in ihrem Tiguan raus aus dem Kundencenter und biegt in die mit "Ehrenrunde" ausgeschilderte kurze Wegstrecke ein. Da kann man sich noch rasch mit dem Gerät vertraut machen, ehe man sich selbst in die freie Straßenwildbahn entlässt.

Die Autostadt in der Bauphase.

Kurz davor werden jeweils beim Entree am KonzernForum die Nummerntafeln von Frau oder Herr Zulassungsbesitzer übernommen, per kleinem, sechsrädigem – nach Anzahl der Beine eines Käfers (Achtung! Tradition!) – Wuselroboter ins Auslieferungszentrum transportiert und dort ans Fahrzeug montiert.

Corona-Effekte

Jedenfalls, Covid-19 hat heuer generell Spuren hinterlassen. Statt der sonstigen rund 500 Abholungen seien es derzeit kaum 400, und aber aufgemerkt, die ID-Ära ist nun auch in der Autostadt angebrochen: Soeben wurde mehr oder weniger synchron hier und in der Gläsernen Manufaktur in Dresden die ersten beiden ID.3 in Kundenhand übergeben.

Reichlich Prominenz (Niedersachsens Ministerpräsident Sigmar Gabriel, Kanzler Gerhard Schröder) rund um den damaligen Konzernchef Ferdinand Piëch am Vorabend der Eröffnung im Jahr 2000.

Corona-bedingt, so Garcia, sei der Besucherandrang auf täglich 2500 limitiert. Zum Vergleich: Beim Winterevent 2019 wurden an Wochenenden bis zu je 21.000 Personen gezählt. Immerhin komme man, verrät Autostadt-Pressereferent Christian Gräber, zur Halbzeit des heurigen Sommerevents auf 166.000 (2019 Sommer gesamt: 364.000). Die tummeln sich beispielsweise auf der Cool Summer Island, wie das im alten britischen Besatzerjargon heißt, auf dem Areal rum – eine der vielen Neuerungen seit der Eröffnung 2000, und damit zur Genese dieses außergewöhnlichen Orts und Konzepts.

Sommers wie winters herrscht an Veranstaltungen kein Mangel...

Vor 20 Jahren, da war Wolfsburg noch nicht allzu lange der Tristesse der Zonengrenze entkommen und lag im Norden plötzlich in Deutschlands Mitte. Ferdinand Piëch wiederum hatte als VW-Konzernchef (1993 bis 2002) den Laden auf Erfolgskurs gebracht und reichlich neue Marken – Škoda, Lamborghini, Bentley, Bugatti (Porsche kam 2009 hinzu) – angesammelt. Der Mann mit dem untrüglichen Gespür für Marketing, Zeitgeist, Kundenwünsche und subtile persönliche Botschaften hatte womöglich als Erster in dieser Form gewittert: Individuelle Mobilität und Auto, das müsse man heute viel weiter denken und vermitteln:

...und Selbstabholer können sich mit ihrem Auto auf einem eigenen Gelände vertraut machen.

in Form eines Themenparks etwa, in dem rund um das geschichtsträchtige Stammwerk mit dem markanten Backstein-Kraftwerk die Konzernwelt in einzelnen Markenpavillons auch baulich anspruchsvoll inszeniert wird (die Le Mans-Rennstrecke z. B. bildet den Grundriss für das "Premium Clubhaus"). Wo in einem grandiosen Museum (ZeitHaus) die Historie zur Sprache kommt (neuerdings wird auch, auf 800 m2, im KonzernForum die Zukunft der Mobilität thematisiert). Wo Kunden, wie berichtet, ihre Autos selbst abholen können (über drei Millionen machten inzwischen davon Gebrauch!), sie (die Autos) werden automatisch aus zwei gläsernen Zylindertürmen nebenan ins Kundencenter transportiert. Und wo Kulturbetrieb, Gastronomie, wo Sommer- und Winterveranstaltungen (Eislauf!) auch Privatpublikum in hellen Scharen lockt.

Wer wagt, gewinnt

Die Ausstellung "Beziehungs-Kisten" im Automobilmuseum ZeitHaus.

Was soll man sagen: 28 Hektar groß ist diese Park- und Lagunenlandschaft, 435 Millionen Euro kostete das Projekt und Piëch wurde von den deutschen Leitmedien abgewatscht, doch statt des von ihnen kassandrierten Millionengrabes entpuppte sich das weltweit immer noch einzigartige Konzept als durchschlagender Erfolg: 42 Millionen Besucher bisher!

Der Großteil stammt aus Niedersachsen und Umgebung, internationale Klientel wird aber zahlreicher (die asozialen Medien), mit dem ICE ist Berlin nur eine Stunde entfernt, Hannover eine halbe.

Das Autostadt-Gelände dieser (Sonnen-)Tage.

Apropos feines Gespür, symbolträchtige Orte und Medienschelte. Als VW Ende 2001 in Dresden die Gläserne Manufaktur (für den gefloppten VW Phaeton; inzwischen werden hier E-Autos gebaut) eröffnete, konterte Ferdinand Porsches Enkel die Vorwürfe der am Tisch befindlichen Journalisten mit der Frage: "Waren Sie schon einmal in Dresden? Das ist die schönste Großstadt Deutschlands, und wir haben dort auch einen Kulturauftrag." Inzwischen steht die "Gläserne" in etlichen Architekturführern, der Bau am Großen Garten ist zur fixen Tourismus-Anlaufstätte geworden.

Was die Autostadt bewirkt hat? Wie gesagt, die ganze Region wurde belebt. Und BMW, Mercedes und Porsche initiierten ihre jeweiligen Antworten, deren aufwendigste das 100-Millionen-Projekt "BMW Welt" in München war, ebenfalls ein Themenpark inklusive Selbstabholung, gefolgt von den zwei phänomenalen Automuseen – von Mercedes und Porsche – in Stuttgart.

Die Autostadt ist einer der deutschen Top-Tourismusmagneten, die BMW-Welt matcht sich in Bayern gern mit Neuschwanstein um die Nummer eins als Tourismusdestination. Solche Flops: gerne mehr. (Andreas Stockinger, 22.9.2020)