Die Antarktis ist der größte Eisspeicher der Welt – doch der Eisverlust am Südpol schreitet rapide voran. Teile der antarktischen Eismassen sind bereits so instabil, dass sie schon heute ein wesentlicher Faktor für den weltweiten Anstieg des Meeresspiegels sind. Insbesondere die Eisverluste des Pine-Island-Gletschers und des Thwaites-Gletschers in der Westantarktis lassen Wissenschafter befürchten, dass bald ein unumkehrbarer Kipppunkt erreicht sein könnte. Eine aktuelle Studie im Fachblatt "PNAS" untermauert dieses Szenario und zeigt, wie die Ausläufer dieser beiden großen Gletscher immer instabiler werden.

Aufnahmen der Scherzone des Pine-Island-Gletschers, 2016–2020.
Foto: Stef Lhermitte

Die gesamte Antarktis hat genug Wasser in Form von Eis gespeichert, um den Meeresspiegel um rund 58 Meter ansteigen zu lassen. In der aktuellen Studie beschäftigte sich das Team um Stef Lhermitte von der Technischen Universität Delft (Niederlande) mit dem Zustand des Pine-Island- und des Thwaites-Gletschers in der Westantarktis, die in die Amundsensee münden. Zusammen trugen allein diese beiden gigantischen Eisströme in den vergangenen 40 Jahren geschätzt rund fünf Millimeter zum Anstieg des globalen Meeresspiegels bei.

Bessere Beobachtung

Dort, wo die beiden Gletscher aufs Meer treffen, bilden sie große Schelfeisflächen, die weit in das Meer hinausragen. In den vergangenen zehn Jahren wurden deutliche Veränderungen bei den Gletschern registriert, sagte Thomas Nagler vom Innsbrucker Forschungsunternehmen Enveo IT, einer der Ko-Autoren der Studie. Er führte gemeinsam mit seinem Kollegen Jan Wuite die Analyse von neuen, hochauflösenden Satellitenbildern aus dem europäischen Erdbeobachtungsprogramm Copernicus durch, die in die Modellberechnungen zur Instabilisierung in der Scherzone am Ende der beiden Gletscher eingebunden wurden.

Durch das von der EU-Kommission getragene und der europäischen Raumfahrtbehörde Esa umgesetzte Programm könne man die durch die Klimaveränderung bedingten Eisverluste seit wenigen Jahren in bisher unerreichter zeitlicher Auflösung und Genauigkeit beobachten. Enveo IT ist im Rahmen mehrerer Forschungsprojekte in das Monitoring der Landeisflächen eingebunden. Rezente Studien zeigen, dass die in den vergangenen Jahren beobachteten Massenverluste der Eisschilde den höchsten Prognosen zum Meeresspiegelanstieg entsprechen. Für die antarktischen Küstengebiete gibt es in etwa alle sechs Tage neue Aufnahmen, so Nagler.

Risse im Pine-Island-Gletscher, dessen Eismassen heute rund zehn Prozent des Westantarktischen Eisschilds ausmachen.
Foto: Esa

Rascher Verfall

Die neuen Analysen zeigen eine deutlich zunehmende Instabilität der Frontbereiche des Schelfeises des Pine-Island- und des Thwaites-Gletschers. Das zeigt sich in der deutlichen Zunahme von Bruchspalten und Klüften, die am Schelfeis die gesamte Dicke des Eiskörpers durchziehen. Verursacht wird dies einerseits durch die Erwärmung der Atmosphäre, aber auch des Ozeans in der Umgebung der Gletscher. "Dadurch kommt es an der Oberfläche und Unterseite zu einem verstärkten Schmelzen, das Schelfeis wird dünner, und es treten vermehrt Spalten und Risse auf", sagte Wuite. Das führt auch zum Rückzug der unter Wasser befindlichen Aufsetzlinie des Eises, die den auf Grund aufsitzenden vom schwimmenden Teil des Gletschers trennt. In der Bildfolge zeige sich eine deutliche Beschleunigung des Prozesses und ein Zerfall der Randzonen des Schelfeises.

Die eisdynamischen Modelle, mit denen die Forscher arbeiten, machen deutlich, dass diese Destabilisierung an und jenseits der Wasserlinie auch Auswirkungen auf die gewaltigen Eisströme im Hinterland hat. "Die Studie zeigt, dass diese Zerfallsprozesse, die wir auf den Satellitenbildern beobachten und deren Rückkopplungen die Stabilität der Schelfeise und Auslassgletscher beeinflussen, somit auch wichtig sind für die Modellierung des Beitrags der Antarktis zum Meeresspiegelanstieg", erklärte Nagler. Allein die in der Westantarktis gespeicherte Eismasse entspricht einer Differenz des globalen Meeresspiegels von rund 3,4 Metern. (red, APA, 15.9.2020)